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Warum die Forderung nach schnellstmöglicher Rückkehr syrischer Geflüchteter deren (Re-)Integrationschancen untergräbt und was stattdessen zu tun ist
Die deutsche Diskussion über Rückkehr nach Syrien übersieht zwei wesentliche Punkte: der Fokus auf Ausreisezahlen wirkt der Bereitschaft und Fähigkeit geflüchteter Menschen zur Rückkehr eher entgegen und Rückkehrförderung kann derzeit keine nachhaltige Wirkung entfalten.
Die aktuelle Debatte um die Rückkehr syrischer Geflüchteter legt den politischen Zielkonflikt zwischen Rückführbarkeit und (Re)Integrationschancen offen. Die Forderungen nach mehr und schnellerer Rückkehr ignorieren, dass die Anerkennungspraxis in Deutschland ohnehin flexibel auf Veränderungen in den Herkunftsländern reagiert. Erhielten 2015 noch 99,7% der syrischen Asylsuchenden Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention, so wurde im ersten Halbjahr 2024 77% nur noch subsidiärer Schutz zugesprochen. Beide Schutztitel müssen in unterschiedlichen Abständen erneuert werden und können widerrufen werden, sobald die Gefährdungslage in Syrien sich erheblich und dauerhaft verändert hat. Ein verfrühter Widerruf, bei gleichzeitigem Bestehenbleiben von Abschiebehindernissen, führt zu einem schlechteren Schutzstatus der Betroffenen ohne jedoch die Ausreisezahlen zu erhöhen, wie die Lehren aus 2004 bezüglich Irak zeigen.
Wenn Politik auf die Erhaltung von Rückführbarkeit und Ausreisezahlen abzielt, erschwert sie es den Geflüchteten, selbst die Voraussetzungen zu schaffen, die sie zu einem konstruktiven herkunftslandbezogenen Engagement und / oder einer selbstbestimmten Rückkehr befähigen würden. Denn dafür braucht es einen sicheren rechtlichen Status und Integrationschancen. Die Aussetzung der Asylverfahren ist in diesem Sinne eher kontraproduktiv: Sie verlängert die Asylverfahrensdauer, auch für vulnerable Geflüchtete, und wirkt der Integration der Neuangekommenen entgegen, welche gleichzeitig als Voraussetzung für ein dauerhaftes Bleiberecht gefordert wird. Eine unvorbereitete Rückkehr kann Menschen – ähnlich wie eine Flucht – um ihre beruflichen Chancen, Netzwerke und den Wert ihres Humankapitals bringen. 12% der in Deutschland lebenden Syrer_innen mit Schutzstatus sind hier geboren, ein Fünftel aller Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte befindet sich derzeit in Ausbildung. Ihnen die Realisierung ihrer Lebensziele zu ermöglichen, erhöht ihre Chancen auf Integration ebenso wie auf erfolgreiche und selbstbestimmte Rückkehr.
Aktuelle Überlegungen der Bundesregierung, syrischen Geflüchteten eine temporäre Rückkehr nach Syrien zu ermöglichen, ohne dadurch ihren Schutzstatus in Deutschland zu verlieren, weisen in die richtige Richtung. In Hinblick auf die Unwägbarkeiten der anhaltenden Transition in Syrien wäre die Schaffung flexibler Aufenthaltsmodelle, die das besondere Potential der Geflüchteten als Brückenbauer_innen zwischen Deutschland und Syrien anerkennen, wegweisend. Vorausschauende Politik sollte zudem gerade auch die Menschen in den Blick nehmen, die im Fall eines Widerrufs des Schutzstatus schlechte Bleibechancen haben, und sie gezielt – beispielsweise durch inklusive, transnational ausgerichtete Berufsausbildung – gezielt zu fördern.
Denn neben guter Vorbereitung erfordert Rückkehr zunächst eine Stabilisierung der Lage vor Ort. Syrische Geflüchtete können in Deutschland erworbene und erprobte Fähigkeiten gezielt einsetzen, um den Wiederaufbau in Syrien zu unterstützen und sollten bei entsprechenden Überlegungen und Vorhaben direkt einbezogen werden. Die syrische Diaspora hat darüber hinaus eine lebendige Zivilgesellschaft hervorgebracht, die – außerhalb der direkten Zwänge des Assad-Regimes – zahlreiche Organisationen in allen erdenklichen Bereichen unterhält. Diese Kräfte können wesentliche Impulse für die politische Transformation liefern und die deutsche Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik sollte sich die Chancen, die in der Aktivierung und Einbeziehung dieser Netzwerke liegen, nicht entgehen lassen.
Der Vorschlag, Ausreiseanreize zu schaffen und Syrien von der Liste der REAG/GARP-suspendierten Länder zu streichen fand bisher fast ungeteilten Anklang. Geförderte Ausreisen nach Syrien waren auch bisher möglich, allerdings nur aus den Bundesländern, die eigene Rückkehrförderprogramme unterhalten. In diesem Zusammenhang ist zum einen wichtig festzuhalten, dass weder die Freude über den Sturz von Assad noch der Wunsch Angehörige wiederzusehen oder auch der Frust über Integrationshürden eine wohlüberlegte Rückkehrentscheidung darstellen. Zum anderen ist die Frage zentral, was Rückkehr- und Reintegrationsunterstützung überhaupt leisten können.
Rückkehrförderung kann Menschen dabei helfen, die erste, meist schwierige, Phase nach der Rückkehr zu überbrücken. Wenn Rückkehrer_innen die Voraussetzungen und zusätzlich eigene Ressourcen dafür mitbringen, kann die Förderung – in stabilen Kontexten – auch dazu beitragen, sich langfristig eine Existenz aufzubauen. Wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit von Reintegrationshilfen finden jedoch insgesamt wenig Evidenz für einen messbar positiven Einfluss auf den Reintegrationsverlauf. Sie verweisen stattdessen auf den deutlich stärkeren Einfluss von individuellen, sozialen und Kontextfaktoren.
Eindeutig belegt ist, dass Kontextbedingungen, wie anhaltende Gewalt und Unsicherheit, in Transformation begriffene Institutionen, eine schwache Wirtschaft und fehlende Infrastruktur, von Rückkehrförderung a) nicht beeinflusst werden können und b) Reintegrationsanstrengung – mit oder ohne staatliche Förderung – leicht zunichtemachen. Zum jetzigen Zeitpunkt würde eine Rückkehr Menschen zwingen, ihre Ersparnisse und gegebenenfalls staatliche Reintegrationshilfen für das unmittelbare Überleben aufzuwenden, wodurch sie ohne nachhaltigen Effekt verpuffen würden. Gleichzeitig würde den Familien in Syrien die – insbesondere in Zeiten des Umbruchs – dringend benötigte finanzielle Unterstützung aus dem Ausland genommen. Rückkehr in größerem Stil könnte zudem aufgrund ungeklärter Eigentumsverhältnisse zu neuen Spannungen und Konflikten führen und durch die ohnehin schwierige Wirtschaftslage die Zahl derer, die von humanitärer Hilfe abhängig sind, erhöhen. Wer erneute Vertreibungen vermeiden will, gibt der Rückkehr Zeit.
Ruth Vollmer, Selina Engelberth, Dr. Osman Bahadır Dinçer und Dr. Zeynep Şahin-Mencütek sind Mitarbeiter_innen des bicc (Bonn International Centre for Conflict Studies).
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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