Welche Mitwirkungsmöglichkeiten hatte die Zivilgesellschaft beim virtuellen Globalen Forum für Migration und Entwicklung?
Der Pandemie-bedingte Boom von Videokonferenz-Software hat die Kommunikation im Arbeits- und Privatleben spürbar beeinflusst. Auch internationale Gipfel lebten bislang von persönlichen Begegnungen und direktem Austausch. Viele dieser Konferenzen wurden nun aber abgesagt oder ins Netz verlagert. Welche Auswirkungen hat diese „Zoomification“ – und was bedeutet sie für die Mitwirkungs- und Einflussmöglichkeiten der Zivilgesellschaft?
Erste Eindrücke zu Chancen und Schwachstellen der neuen Kommunikationsräume ließen sich bei der 13. Auflage des Globalen Forums für Migration und Entwicklung (GFMD) beobachten. Das Forum wurde von den Vereinigten Arabischen Emiraten (UAE) ausgetragen und stand unter dem Motto „The Future of Human Mobility: Innovative Partnerships for Sustainable Development“.
Das GFMD als vertrauensbildendes Dialogforum
Bei dem GFMD handelt es sich in erster Linie um ein Dialogforum: Herausforderungen werden benannt, gute Beispiele aus der Migrationspolitik vorgestellt, Empfehlungen ausgesprochen. Trotz seines informellen Charakters hat das Forum über die Jahre durchaus Einfluss auf die Debatte zur Entwicklung globaler Migrationspolitik ausgeübt und neben einem zunächst eng gefassten Entwicklungsbegriff auch Themen wie klimabedingte Migration, Gender, Irregularität sowie grundlegende Arbeits- und Menschenrechte von Migrant*innen behandelt. Der GFMD-Prozess kann als vertrauensbildende Maßnahme für die beteiligten Akteure sowie als Wegbereiter für den 2018 verabschiedeten Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration der Vereinten Nationen (GCM) gesehen werden.
Der direkte Austausch mit der Zivilgesellschaft im Gastgeberland fällt weg
Einen wichtigen Anteil an dieser Entwicklung hat die Zivilgesellschaft, die bislang ein von den Regierungsvertrer*innen getrenntes zweitägiges Treffen abhielt; zum gemeinsamen Austausch gab es zudem einen (eintägigen) „common space“. Hierzu hatten die UAE beim 12. Treffen des Forums, das im Januar 2020 noch in Präsenz in Ecuador stattfand, eine beachtenswerte Neuerung verkündet: Ein fünftägiges gemeinsames Beraten in Dubai, statt getrennter Veranstaltungen für Zivilgesellschaft und Regierung. Ein bedeutsamer Schritt für das GFMD, zumal er durch eine Föderation von sieben Emiraten initiiert wurde, die im letztjährigen Freedomhouse-Report mit 17 von 100 Punkten bei Freiheitsrechten ein verheerendes Zeugnis ausgestellt bekommen hatte, darunter Tiefstwerte für Versammlungsfreiheit, Freiheit der Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaftsarbeit.
Es wäre nun interessant gewesen, zu verfolgen, wie sich die physische Präsenz von einer größeren Zahl von Vertreter*innen der migrantischen Zivilgesellschaft vor Ort ausgewirkt hätte: Vorherige GFMD-Treffen haben oft zu einer Mobilisierung und besseren Vernetzung der Zivilgesellschaft im ausrichtenden Land beigetragen. Bis in den späten Herbst hatten die Emirate versucht, zumindest eine Hybrid-Veranstaltung zu ermöglich, mussten dann aber auf „online only“ umschalten.
Den Gipfel als fortlaufenden Prozess verstehen
Auch die vorgeschalteten fünf regionalen Konsultationen wurden ins Netz verlegt – ebenfalls eine sinnvolle Neuerung, die das GFMD nicht nur zu einer Abfolge von Gipfeltreffen, sondern zu einem fortlaufenden Prozess machen sollte. Hierzu kann die Digitalisierung sicherlich einen Beitrag leisten, eine breitere Teilnahme ermöglichen und Kosten sowie den ökologischen Fußabdruck reduzieren. Bei den regionalen Konsultationen wurden sechs Schwerpunktthemen besprochen, die beim Gipfel im Januar im Mittelpunkt standen. Neben grundlegenden Fragen wie die „Governance von Arbeitsmigration im Kontext einer sich verändernden Arbeitslandschaft“ standen auch recht konkrete Themen wie die Ausbildung von Migrant*innen für den Arbeitsmarkt, ein besserer Schutz von Migrant*innen sowie der Einsatz neuer Technologien auf der Agenda. Regierungen und Zivilgesellschaft sind dabei schon länger nicht mehr die einzigen Akteure: In den vergangenen Jahren sind ein „Business Mechanism“ zum Austausch zwischen Arbeitgeber*innen und Wirtschaftsvertreter*innen, ein „Mayors Mechanism“ für Kommunalpolitiker*innen sowie das „GFMDYouth Forum“ hinzugekommen.
Es lässt sich sagen, dass das neue, inklusivere GFMD-Format auch online zu einem regen Austausch zwischen diesen Gruppen führte, wobei es für einige Sitzungen Zugangsrestriktionen gab. Dafür hatte die Zivilgesellschaft im Vorfeld des Gipfels gleich vier Tage zur Verfügung gestellt bekommen, um sich untereinander auszutauschen und gemeinsame Standpunkte für das Gipfeltreffen zu entwickeln. Abgestimmt wurde über die in Zoom integrierte Funktion. Hier wurde auch praktiziert, was beim Haupttreffen nicht möglich war: Mehrere Diskussionsrunden fanden zweimal täglich statt, um die vielfältigen Zeitzonen abzudecken. Neben Bandbreite und Diskussionskultur ist dies einer von vielen Aspekten, die in der neuen Welt der virtuellen Konferenzen bedacht werden müssen.
Zugang für die Zivilgesellschaft
Der Zugang ist bei zivilgesellschaftlicher Beteiligung stets ein heikles Thema, denn das Instrument der Akkreditierung kann dazu genutzt werden, unbequeme oder als zu radikal empfundene Positionen auszugrenzen. Aufgrund der unklaren Planungslage in diesem Jahr, entschied sich UAE, nur Teilnehmer*innen vergangener Gipfel einzuladen. Das Argument, mit dem GFMD bereits vertrauten Delegierten falle die Mitwirkung an dem neuen Online-Format leichter, klang dabei durchaus plausibel. Andererseits lassen sich online aufgezeichnete Treffen mit relativ wenig Aufwand einer breiteren Öffentlichkeit per Aufzeichnung zugänglich machen, wovon die Zivilgesellschaft auch Gebrauch machte. Der Gipfel hielt sich dagegen mit Verweis auf die vertraulichen Diskussionen sehr zurück. Ebenfalls auffallend: Es wurde weit weniger getweetet als bei einer Präsenzveranstaltung – vielleicht, weil die Teilnehmer*innen sich ohnehin online wähnten, vielleicht aber auch, weil sie aktiver an der Diskussion beteiligt waren.
Verändert das virtuelle Format die Diskussionskultur?
Einige Vertreter*innen von Staaten und internationalen Organisationen verzichteten auf eine Wortmeldung und spielten vorab aufgenommene Videobotschaften ein. Das klingt zunächst nach einem wenig partizipativen Format. Andererseits lassen sich somit etwa umfangreiche Eröffnungszeremonien auslagern und je nach Bedarf anschauen. Über die Jahre gab es zahlreiche GFMD-Sessions mit schier endlos scheinenden Frontal-Vorträgen und zu wenig Raum für Interaktion.
Das jüngste GFMD überzeugte dagegen mit striktem Zeitmanagement und technischer Moderation. Die Gefahr, dass die Veranstalter unerwünschte Beiträge stummschalten könnten, hat sich beim GFMD nicht gezeigt. Neben der häufig langen Redner*innenliste bietet das Zoom-Format einen weiteren Kanal der Kommunikation – den Chat. Es war auffallend zu sehen, wie intensiv Positionen und Praxisbeispiele geteilt oder Nachfragen an die Redner*innen in Echtzeit formuliert wurden, wobei der Tonfall Internet-untypisch stets respektvoll blieb. Als sich herausstellte, dass die Download-Funktion für die Chatverläufe deaktiviert war, regte sich Misstrauen unter manchen Teilnehmer*innen. Allerdings stellte das technische Team diese nachträglich zur Verfügung. Nicht ersetzen konnten diese digitalen Mittel aber den informellen analogen Austausch am Kaffeetisch – an diesen kommt auch eine Vernetzungsanfrage per Privatnachricht im Zoom Chat nicht heran.
Die Zukunft liegt in hybriden Formaten
Die „Zoomification“ bringt Vor- wie Nachteile mit sich. Sie kann den Zugang für Teilnehmer*innen erleichtern, denen eine Mitwirkung aus finanziellen oder logistischen Gründen – zu denen in der Vergangenheit auch oft abgelehnte Visaanträge zählten – sonst nicht möglich wäre. Technische Aspekte wie mangelnde Bandbreite können aber neue Hindernisse bedeuten. Diskussionen können sich so inklusiver gestalten lassen und, wenn die Aufzeichnungen zugänglich gemacht werden, auch transparenter. Andererseits erhöht das digitale Format auch die Kontrollmöglichkeiten und vermindert die Möglichkeit zum Netzwerken und den direkten Austausch mit Akteuren vor Ort. Letzteres ist gerade für die Zivilgesellschaft wichtig, die mit Parallel- oder auch Gegenveranstaltungen Präsenz zeigen kann. Wünschenswert wären daher künftig hybride Formate: Regelmäßige Online-Treffen können für Kontinuität sorgen, der eigentliche Gipfel sollte aber vor Ort stattfinden – idealerweise ergänzt um digitale Formate für eine breitere Einbindung und Außenwirkung.
Über den Autor
PD Dr. Stefan Rother ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Privatdozent am Arnold-Bergstraesser-Institut an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind transnationale Migration, Soziale Bewegungen, Global Governance und regionale Integration. Er ist Mitautor des 2021 erschienen Buchs „Internationale Migrationspolitik“ (UTB 2021, mit Uwe Hunger).