5 Fragen an Marei John-Ohnesorg, FES-Expertin für Bildungs- und Hochschulpolitik, anlässlich des Starts des neuen FES-Bildungsportals.
Bildung ist zentral für die Integration. Darin sind sich alle einig, aber wie das genau aussehen soll, ist oft umstritten. Das neue Bildungsportal der FES informiert zum Stand der Debatte. Wir sprachen mit Marei John-Ohnesorg über das Thema.
FES: Wie wichtig ist im Moment das Thema Integration in der deutschen Bildungspolitik?
John-Ohnesorg: Integration wird neben Digitalisierung und dem demografischen Wandel immer als eine der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen genannt. Wir arbeiten in der Friedrich-Ebert-Stiftung auch zu all diesen Themen. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass nach dem großen öffentlichen Interesse angesichts der Flüchtlingszuwanderung jetzt deutlich weniger Dynamik zu spüren ist. Das ist aber kaum verwunderlich: Integration ist ein komplexer Vorgang und erfordert ein erfolgreiches Zusammenspiel zwischen Bildung, Arbeit, Wohnen, Gesundheit und gesellschaftlicher Teilhabe. Handeln auf allen Ebenen und ein langer Atem sind nötig. Ideal erscheint mir deshalb der Weg von Städten und Kreisen, die abgestimmte Integrationskonzepte vorlegen.
Integration ist zuletzt ja vor allem mit Blick auf die nach Deutschland geflüchteten Menschen – unter ihnen viele schulpflichtige Kinder und Jugendliche – in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Gibt es jetzt auch neuen Schwung für Integration in Kitas, Schulen, Berufs- und Hochschulen?
Es gibt neuen Schwung, aber auch die Mühen der Ebene. Geflüchtete Kinder haben einen Anspruch auf Kita-Besuch, nicht immer kann dieser jedoch sofort umgesetzt werden. In Schulen wurden erhebliche Anstrengungen unternommen und z.B. relativ schnell und unbürokratisch Willkommensklassen eingerichtet, wenn auch nicht immer in ausreichend hoher Qualität. Inzwischen hat für die Schulen die „eigentliche“ Integrationsarbeit begonnen: nach dem Übergang geflüchteter Schüler_innen in den Regelunterricht.
Das Thema Ausbildung ist auf den ersten Blick von einzelnen Erfolgsgeschichten junger Geflüchteter geprägt, die nach Integrationskurs und berufsbezogener Deutschförderung einen Ausbildungsplatz erhalten haben. Diese Berichte zeichnen sich meist dadurch aus, dass besonders hohe Motivation eines Einzelnen und umfassende Beratung und Unterstützung von außen glücklich zusammengetroffen sind. Auch Betriebe erklären ihre Bereitschaft, Geflüchtete ausbilden und einstellen zu wollen. Die konkreten Zahlen sind dagegen ernüchternd, wie das Beispiel einer Beratungsstelle in Essen zeigt, die ich kürzlich besuchte. Trotz umfangreicher Beratungsbemühungen wurden aufgrund vielfältiger Hindernisse nur wenige Vertragsabschlüsse erreicht – und das Beispiel ist sicher kein Einzelfall. Das Konzeptpapier Ausbildung gibt einen Überblick über Projekte und Maßnahmen, die eine erste Orientierung ermöglichen, den Übergang in die Ausbildung unterstützen und Begleitung während der Ausbildung anbieten.
Das Thema Hochschulzugang für Geflüchtete, wurde – auch unterstützt durch Aktivitäten der Friedrich-Ebert-Stiftung – früh diskutiert. Geflüchteten steht der Zugang zu deutschen Hochschulen grundsätzlich offen. Die Hochschulen beraten und unterstützen Geflüchtete auf vielfältige Weise, durch Deutschkurse, Mentoringprojekte, studienvorbereitende Angebote. Schwieriger bleiben die Anerkennung von ausländischen Studienleistungen und die Finanzierung des Studiums.
Bei „Integration durch Bildung“ werden viele gleich an Deutschunterricht denken. Sie schreiben aber auf dem Portal, dass Sprachförderung allein nicht ausreicht. Was muss noch hinzukommen?
Sprachförderung ist ein zentrales, aber nicht das einzige Element. Es geht darum, Kinder und Jugendliche in den Schulalltag einzubinden. Schule ist ein Lernort auch über den Unterricht hinaus. Eine Ganztagsschule bietet besonders gute Möglichkeiten, auch außerschulische Partner einzubeziehen. Ein anderer Aspekt ist der Umgang mit Heterogenität im Unterricht: die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichen Lernerfahrungen und Deutschkenntnissen erfordert einen binnendifferenzierten Unterricht, nicht das gleiche Tempo für alle. Lehrer_innen sollten darüber hinaus Belastungen wie Traumata und Trauer erkennen lernen, und wissen, wann Hilfestellung von professionellen Psycholog_innen erforderlich ist.
Relativ frisch erschienen ist ein Konzeptpapier für Schule. Können Sie in wenigen Sätzen zusammenfassen, was Sie Schulen im Interesse von Integration und Teilhabe raten?
Wir empfehlen ein abgestimmtes Vorgehen. Es gibt nicht die eine Einzelmaßnahme, die unerlässlich ist. Das Konzeptpapier nennt Beispiele für Maßnahmen vor der Einschulung, zu Schulbeginn, beim Übergang in den Regelunterricht, zum Umgang mit Heterogenität im Unterricht, zu Schule als Sozialisationsort und zur Berufsorientierung. Einen guten Gesamtüberblick mit Beiträgen zu all diesen Bereichen bietet die Publikation Integration durch Bildung des Netzwerk Bildung.
Im Moment führt die FES eine Roadshow „Integration durch Bildung“ in den verschiedenen Bundesländern durch. Die föderale Bildungsvielfalt in Deutschland ist ja oft Gegenstand von Diskussionen und bei vielen Bürgern unbeliebt. Sehen Sie auch in Bezug auf die Integrationsmöglichkeiten von Bildung große Unterschiede zwischen den Bundesländern?
Wir sehen auch bei dem Thema Integration einen sehr verschiedenen Umgang innerhalb der Bundesländer. Es finden sich an vielen Stellen gut ausgearbeitete Integrationskonzepte und großes Engagement. In manchen Ländern gibt es aber auch stärker werdende Tendenzen, Mittel einzusparen, zusätzliche Lehrer_innen wieder zu entlassen und eine Ghetto-Bildung in sozialen Brennpunkten zuzulassen. Wir werden in den nächsten Monaten kurze E-Paper zu den Integrationsbemühungen einzelner Bundesländer auf unserer Website veröffentlichen.
Marei John-Ohnesorg arbeitet für die Friedrich-Ebert-Stiftung und verantwortet den Arbeitsbereich Bildungs- und Hochschulpolitik in der Abteilung Studienförderung.
Kontakt: marei.john(at)fes.de