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Bewaffnete Gruppen und die erzwungene Migration von Frauen

Das Globale Forum für Migration und Entwicklung legt einen Schwerpunkt auf Zusammenarbeit für sichere Migration - insbesondere zum Schutz von Frauen und Kindern.


 

In Lateinamerika und der Karibik hat die zunehmende Verschlechterung der Sicherheitslage die Dynamik der Migration entscheidend beeinflusst. Insbesondere die Ausbreitung und Konkurrenz zwischen verschiedenen bewaffneten und kriminellen Akteuren hat die erzwungene Migration verstärkt – mit gravierenden Auswirkungen auf Frauen und Mädchen.

Frauen, die migrieren, übernehmen auf ihrem Weg und an ihren Zielorten unterschiedliche Rollen. Bewaffnete und kriminelle Gruppen nutzen sie als leichte Ziele, um ihre Macht zu demonstrieren und auszuüben. Sie werden für das organisierte Verbrechen instrumentalisiert, kriminalisiert und als Informantinnen der gegnerischen Seite ins Visier genommen. Gleichzeitig werden sie oft zu geschlechtsspezifischen Tätigkeiten wie Kochen, Putzen, Pflege oder Sexarbeit gezwungen.

Viele der Frauen sind selbst Überlebende von Gewalt und werden zu Führungspersönlichkeiten, die andere Migrantinnen in der Prävention und im Schutz vor Gewalt unterstützen.

Vor diesem Hintergrund haben sich die Risiken für migrierende Frauen und Mädchen entlang der Hauptkorridore der Aktivitäten von Gruppen wie den „Lobos“ und „Choneros“ in Ecuador, dem ELN und FARC-Dissidenten in Kolumbien und Venezuela, dem „Primeiro Comando da Capital“ und „Comando Vermelho“ in Brasilien sowie mexikanischen Kartellen an der Grenze zu Guatemala intensiviert.

Zusätzlich verschärften die zunehmende Militarisierung und der wahllose Einsatz von Gewalt durch die Regierungen in Venezuela, Nicaragua, der Dominikanischen Republik und Honduras die Situation migrierender Frauen.

 

Merkmale der erzwungenen Migration

  1. Grenzüberschreitend: Die meisten Betroffenen fliehen in Nachbarländer, doch restriktive Politiken erschweren längere Migrationswege.
  2. Irregulär: Viele Migrantinnen reisen ohne Dokumente oder nutzen inoffizielle Grenzübertritte, aus Angst vor Zurückweisung an Kontrollpunkten.
  3. Mangel an internationalem Schutz: Die meisten Betroffenen haben Schwierigkeiten, als Geflüchtete anerkannt zu werden, und kennen ihre Rechte auf alternative Schutzmechanismen nicht.
  4. Erhöhte Verwundbarkeit: Migration verstärkt bestehende Ungleichheiten und Risiken, insbesondere für Frauen und Mädchen.
  5. Unterregistrierung: Es fehlen umfassende statistische Erhebungen, die die Situation pro Land dokumentieren.

Zahlreiche Interviews und Presseberichte belegen die wachsenden Auswirkungen der Unsicherheit auf die Mobilität von Frauen in verschiedenen Regionen Amerikas. Beispiele sind:

  • Der Exodus, der in der Karibik, in Ecuador, Venezuela und Surinam verzeichnet wird.
  • Die Migration von 800 Mexikaner:innen nach Guatemala aufgrund der Gewalt zwischen Kartellen im Jahr 2024.
  • Die Vertreibung von mehr als 2000 Menschen aus Apure (Venezuela) nach Kolumbien infolge von Kämpfen zwischen der venezolanischen Armee und FARC-Dissidenten im Jahr 2021.
  • Der Exodus von fast 1000 Personen aus Kolumbien nach Venezuela im Januar 2025 infolge von Auseinandersetzungen in Catatumbo.

Diese Ereignisse verlieren zunehmend ihren Ausnahmecharakter und verdeutlichen die Dringlichkeit umfassender politischer und humanitärer Antworten.

 

Anhaltende Gewaltspirale

Die Risiken und Formen der Gewalt, die Migrantinnen in ihren Herkunftsländern erleben, setzen sich in den Transit- und Zielländern fort. Dies liegt an der transnationalen Ausbreitung und Einflussnahme bewaffneter Akteure:

  • Venezolanische Frauen, die der Erpressung und sexuellen Gewalt durch Gruppen wie der ELN in den venezolanischen Bundesstaaten Apure, Zulia und Bolívar zu entkommen versuchen, sind denselben Gefahren an den Grenzübergängen und in kolumbianischen Regionen ausgesetzt, in denen diese Gruppen aktiv sind.
  • Der Anstieg der Mordrate an venezolanischen Migrantinnen in Kolumbien um mehr als 300 % zwischen 2017 und 2024 verdeutlicht die Verschlechterung der Sicherheitslage in verschiedenen Aufnahmegebieten.
  • In zahlreichen Ländern sind Frauen während ihrer Migration und in den Zielländern von Femiziden, Menschenhandel und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen. Diese Gewalt führt häufig zu Rückkehrbewegungen oder neuen, riskanten Routen, wie etwa durch den Darién.

 

Ansatz regionaler Zusammenarbeit

Die Begrenzung des Einflusses bewaffneter und krimineller Gruppen sowie der Schutz und die Unterstützung von Migrantinnen sind nicht nur Pflichten der Staaten, sondern auch eine Chance, gemeinsame Vorteile zu schaffen. Die Gewährleistung von Sicherheitsrechten für Migrantinnen stärkt Institutionen und ihre Legitimität in betroffenen Gebieten.

Eine koordinierte Multi-Akteur-Allianz zum Schutz von Migrantinnen kann durch folgende Maßnahmen unterstützt werden:

  • Einbindung der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC): Förderung nachhaltiger multilateraler Aktionen.
  • Stärkung von Präventionsmaßnahmen: Entwicklung von Programmen zur Gewaltprävention und zum Selbstschutz unter Migrant_innen.
  • Förderung regionaler Abkommen: Erstellung von Protokollen zur Prävention, Verfolgung und Bestrafung von Gewalt und Verbrechen.
  • Zugang zur Justiz: Sicherstellung des effektiven Zugangs für Migrantinnen, z. B. durch Gesetze wie das kolumbianische Gesetz 2124 von 2024.
  • Informationsaustausch: Einrichtung von Mechanismen zur Weitergabe bewährter Praktiken zwischen Sicherheitskräften, Staatsanwaltschaften und Schutzorganisationen.
  • Datenerfassung: Entwicklung von Monitoring- und Datenerfassungssystemen zur fundierten Entscheidungsfindung.
  • Förderung von Frauenführung: Sicherstellung der aktiven Teilnahme und des effektiven Führungsanspruchs von Migrantinnen in Politik und Programmen.
  • Schulung von Akteuren: Verbesserung der Identifikation, Prävention und Reaktion auf Gewalt und Menschenhandel.
  • Schaffung umfassender Schutzmechanismen: Zugang zu Unterkünften, medizinischer und psychologischer Versorgung, rechtlicher Beratung sowie sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdiensten für Migrantinnen und Mädchen.
  • Reform des Sicherheitssektors: Förderung von Transparenz und Verantwortlichkeit bei staatlichen Sicherheitskräften.

Diese Maßnahmen zielen darauf ab, die Sicherheit und Würde von Migrantinnen zu gewährleisten und die Effektivität regionaler Strategien zu verbessern.

 

Globales Forum für Migration und Entwicklung

Das GFMD ist ein informeller, staatlich geführter und nicht bindender Prozess außerhalb des UN-Systems, der 2006 von Kofi Annan initiiert wurde. Es fördert Migration und Entwicklung durch Dialog, strukturiert internationale Prioritäten und ermöglicht den Austausch bewährter Praktiken. Zivilgesellschaftliche Organisationen werden aktiv eingebunden, koordiniert durch den Civil Society Mechanism (CSM).


Zur Person

Irene Cabrera Nossa ist Professorin und Forscherin in der Gruppe für Konflikte, Frieden und Sicherheit an der Fakultät für Finanzen, Regierung und internationale Beziehungen der Universidad Externado de Colombia. Zu ihren jüngsten Veröffentlichungen gehört das Buch „Cross-border views between Colombia and Venezuela: war, mobility and territoriality“(Miradas transfronterizas entre Colombia y Venezuela: guerra, movilidad y territorialidad).

Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.

Redaktion

Salome Lienert
+41 22 733-3450
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