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Popkultur als Scharnier: Digitale Strategien zur Ansprache unpolitischer Zielgruppen

Die Gewinnerinnen des Zukunftspreises für Demokratie der FES erkunden mit ihrem Projekt „Plataforma Bisagra“ neue Wege der politischen Kommunikation in sozialen Netzwerken.

Das Progressive Democracy Lab startete Ende 2024 im Rahmen des 100-jährigen Jubiläums der FES eine internationale Initiative, die Projekte begleitet, die mit innovativen Ansätzen Demokratie und soziale Gerechtigkeit stärken wollen. Eines davon war „Plataforma Bisagra“, ein in Chile entwickeltes Projekt, das neue Wege der politischen Kommunikation in sozialen Netzwerken erkundet – insbesondere mit Blick auf bislang unpolitische Zielgruppen.

Vom Verfassungsprozess zur Popkultur

Die Initiative wurde von den chilenischen Journalistinnen Catalina Castex Barraza und Estefanía Labrín Cortés in Reaktion auf den zweiten Verfassungsprozess ins Leben gerufen. Während dieser Zeit versuchten sie, in den sozialen Netzwerken die Verfassungsdebatte zu erklären und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen: „Wir stellten schnell fest, dass wir mit der direkten Erklärung politischer Inhalte nur sehr wenig Engagement erzielen konnten“, erinnert sich Estefanía. „Wir haben dann umgeschwenkt und begonnen, den Verfassungsprozess mithilfe von Popkultur zu erklären.“

Aus dieser Erfahrung entstand „Bisagra“ – ein Projekt, das Popkultur, Memes und kulturelle Referenzen nutzt, um politische Inhalte einem Publikum näherzubringen, das sich mit der Sprache klassischer Politik nicht identifiziert. „In dieser Sprache konnten wir dann über Themen wie Demokratie, soziale Rechte, Umwelt oder Feminismus sprechen – also all das, was für progressive Bewegungen zentral ist“, erklärt Estefanía.

Recherche, Zielgruppen und digitale Strategien

Um diese Sprache zu entwickeln, erarbeiteten Catalina und Estefanía eine eigene Methodik, die auf Fokusgruppen und digitalem Zuhören basiert. Zunächst lag der Fokus auf Frauen zwischen 35 und 50 Jahren, später auch auf 18- bis 25-Jährigen. „Wir starteten mit zwei Produkten für Frauen, und während diese liefen, führten wir parallel eine Untersuchung unter jungen Menschen durch“, erzählt Catalina. Dabei zeichnete sich in der Zielgruppe ein deutliches Muster ab: „Sie wussten nicht, was in Chile passiert, waren sehr individualisiert, interessierten sich kaum für das Gemeinwohl – es ging ihnen vor allem um sich selbst. All das kam in der Studie sehr klar zum Vorschein“, sagt Estefanía.

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen, entwickelten sie gezielte Formate für die jeweiligen Zielgruppen. Statt klassische politische Kampagnen nachzubilden, vermittelten sie Botschaften über Kanäle und Inhalte, die dem Publikum vertraut sind – etwa durch Szenen aus Fernsehserien oder Anspielungen auf bekannte Medienfiguren. Einer der erfolgreichsten Inhalte war ein Video, in dem eine populäre Reality-Show-Gewinnerin über sexuelle und reproduktive Rechte spricht. „Solche Botschaften erzeugen mehr Empathie, wenn sie von Menschen kommen, die nicht aus der Politik stammen“, erklärt Catalina.

Auch auf spezifische Nischen gingen sie ein. Eines ihrer Formate etwa nutzt südkoreanische Dramen als Einstieg, um über psychische Gesundheit zu sprechen. In diesen Inhalten wird Psychotherapie, die Einnahme von Medikamenten oder das Aufsuchen professioneller Hilfe ganz selbstverständlich thematisiert. „Das hat großartig funktioniert“, sagt Estefanía. „Das ist das Top-Thema in diesem Bereich.“

Die Projektphase im FES-Democracy Lab

An dem Aufruf des Progressive Democracy Lab, Projekte einzureichen nahmen 23 Initiativen aus verschiedenen Teilen der Welt teil. Fünf von ihnen wurden für eine vertiefte Begleitphase ausgewählt – darunter auch „Plataforma Bisagra“. Zu Beginn hatten sich Catalina und Estefanía lediglich mit dem Projektteil beworben, der sich an junge Menschen richtet – und dabei die gesamte Vorarbeit mit erwachsenen Frauen vernachlässigt. Erst in den Sitzungen mit dem FES-Team wurde ihnen bewusst, welchen Wert die geleistete Vorarbeit und ihre bereits gesammelten Forschungsergebnisse tatsächlich hatten.

Im Laufe des Programms wurden sie intensiv von Miriam, der Leiterin des Democracy Labs, betreut. Eine zentrale Rolle spielte auch die mexikanische Coachin María José. „Wir hatten großes Glück mit María José – sie war sehr vertraut mit den Themen unseres Projekts“, sagt Estefanía. „Und weil sie selbst Mexikanerin ist, verstand sie viele kulturelle Referenzen, die Miriam – als Deutsche – vielleicht nicht ganz so präsent hatte. Die beiden haben sich hervorragend ergänzt.“

Eine echte Hürde dagegen war die Sprachbarriere, denn die Originalinhalte waren auf chilenischem Spanisch verfasst worden. Um das zu überwinden, mussten die beiden Journalistinnen ihre Materialien anpassen und auf global verständliche Referenzen zurückgreifen: „Wir haben Inhalte mit international bekannten Popkulturfiguren wie Pedro Pascal oder Will Smith erstellt und diese in unsere Botschaften eingebettet“, erinnert sich Catalina. „Bei der Präsentation haben die Leute verstanden, worum es ging, und über die Memes gelacht, die wir gezeigt haben. In dieser Hinsicht hat es super funktioniert – aber es war definitiv eine Herausforderung in dem Moment“, fügt sie hinzu.

Regionale Ausstrahlung und nächste Schritte

Dank der Unterstützung der FES arbeiten sie heute an einem Toolkit, das den gesamten Prozess systematisieren soll: von der Zielgruppenforschung bis zur Erstellung von Inhalten. „Die Idee hinter dem Toolkit ist es, ein Instrument zu entwickeln, das zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Verfügung steht, die sich für die Stärkung der Demokratie engagieren. Unser Ziel ist es, mit dieser Methodik unsere Netzwerke zu erweitern und andere Länder, vor allem in Lateinamerika, zu erreichen“, erklärt Catalina.

Dreh- und Angelpunkt für neue Gespräche

Mit einer soliden Methodik, reichhaltigen Erfahrungen und einer aktiven digitalen Community blicken Catalina und Estefanía nach vorn – und geben ihr Wissen weiter. Ihre aktuelle Herausforderung besteht darin, mehr Organisationen dazu zu bewegen, ihre Strategie zu übernehmen und genau jene Menschen zu erreichen, die in politischen Debatten oft ungehört bleiben. Wie sie im Laufe des Prozesses betonten: Inhalte müssen nicht explizit politisch sein, um Wirkung zu entfalten. Manchmal reicht es, die Sprache zu nutzen, die bereits im Umlauf ist – die Sprache, die Menschen im Alltag verwenden. Denn genau dort, an dieser Schnittstelle, liegt der Schlüssel.

 

 


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