In der kroatischen Stadt Rijeka zeigt ein erfolgreicher Bürgerrat, wie Bürgerbeteiligung neu gelebt werden kann. Die Bürger_innen erarbeiteten Empfehlungen für eine verbesserte Verwaltung und mehr Partizipation. Ein Weg zu mehr bürgernaher Regierungsführung und aktiver Demokratie.
Nicht nur Deutschland versucht der schwelenden Demokratiemüdigkeit mittels mehr direkter Beteiligung der Bevölkerung in Form von Bürgerräten entgegenzuwirken. Auch ein erster Bürgerrat in der kroatischen Stadt Rijeka hat belegt, dass das Format eine konstruktive Antwort auf das Erodieren repräsentativer Demokratien sein kann. Unterstützt und beraten wurde die Stadt Rijeka in der Umsetzung des Bürgerrats vom Landesbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zagreb, vom in Wien ansässigen Kompetenzzentrum "Demokratie der Zukunft" der FES, sowie von Prof. Wolfgang Merkel, der sich federführend mit der Gestaltung von Bürgerräten beschäftigt und Gemeinden dabei unterstützt, dieses Instrument anzuwenden.
Vorab war die Skepsis groß, ob Bürgerbeteiligung in Kroatien tatsächlich funktionieren würde, berichtet Sonja Schirmbeck, Leiterin des Büros in Kroatien. Mittlerweile gibt es aufgrund des Erfolgs auch Interesse aus der Hauptstadt Zagreb und anderen Städten Kroatiens. Elementar für das Gelingen war dabei die Einhaltung bestimmter Kriterien, insbesondere das der repräsentativen Inklusion, der Gewährleistung eines qualitativ hochwertigen deliberativen Verfahrens sowie der systemischen Wirksamkeit des Prozesses. Inhaltlich hatte der im Herbst 2023 tagende Bürgerrat in Rijeka die Aufgabe, sich mit den Feinheiten der lokalen Selbstverwaltung zu befassen, Möglichkeiten zur Verbesserung der Bürgerbeteiligung zu erkunden und gemeinsam Empfehlungen zur Verbesserung der Stadtverwaltung zu erarbeiten.
Unterstützt von Expert_innen aus den Bereichen Verwaltung und Bürgerbeteiligung setzte die Versammlung auf Inklusivität und Vielfalt: Die Mitglieder repräsentierten die Bevölkerung der Stadt in Bezug auf Geschlecht, Alter und Wohnsitz. Mittels dem sogenannten aufsuchenden Losverfahren, das für die Anwendung in Rijeka vom Meinungsforschungsinstitut Stratosfera gemeinsam mit der zivilgesellschaftlichen Organisation SMART entwickelt wurde, wurden die eingeladenen Personen zu Hause besucht, um sie über den Bürgerrat zu informieren und zum Mitmachen zu bewegen. Durch dieses gezielte Ansprechen wird insbesondere jenen Zugkräften entgegengewirkt, die andernfalls bewirken würden, dass beispielsweise besonders interessierte Personen zum Zug kommen und gerade die politikverdrossene Bevölkerung nicht erreicht wird.
Um eine breite Beteiligung auch logistisch zu ermöglichen, konnten die Teilnehmenden neben einem Kinderbetreuungsangebot auch kostenlose Verpflegung in Anspruch nehmen und wurden mit 140 Euro für ihren Aufwand entschädigt. Jede Stimme zählte, und jede in Rijeka ansässige Person ab 18 Jahren, die ein Wahlrecht bei den nationalen Wahlen in Kroatien hat, hatte grundsätzlich die Möglichkeit, die demokratische Landschaft mitzugestalten. Das jüngste Bürgerrat-Mitglied war 22 Jahre alt, der älteste Teilnehmer war 74. Für viele Teilnehmenden bildete der Bürgerrat die erste Gelegenheit, in einem Kreis mit Unbekannten zu sitzen, einander zuzuhören und eigene Interessen einzubringen.
Zwischen dem 3. November und dem 7. Dezember 2023 tagte der Bürgerrat insgesamt sieben Mal. Am Ende überreichten 33 Personen dem Oberbürgermeister Marko Filipović ein Gutachten mit 90 Empfehlungen zur Verbesserung der lokalen Verwaltung und Bürgerbeteiligung, um weitere wirksame Maßnahmen gegen Vertrauensverlust, selektive Nichtbeteiligung und soziale Polarisierung bieten zu können, welche die repräsentative Demokratien plagen. Die Empfehlungen des Gremiums beinhalten die Bereitstellung besserer Informationen vor den Wahlen und die Betonung von Beteiligung. Sie wurden von der Stadt veröffentlicht und Interessensgruppen zur Prüfung und Kommentierung übermittelt. Oberbürgermeister Marko Filipović hat eine ausführliche Stellungnahme im ersten Halbjahr 2024 angekündigt.
Bürgerräte sind eine demokratische Übung. Sie sind kein Ersatz für Parteien und Institutionen der repräsentativen Demokratie, doch können diesen dazu dienen, ihre eigene Rolle zu reflektieren und kooperativ zu stärken. Nicht Verdrängung oder Entmachtung von klassischen Institutionen ist das Ziel, sondern Komplementarität. Durch die explizite Förderung der Inklusion jener Menschen, die die Instrumente der repräsentativen Demokratie weniger stark nutzen, können Bürgerräte politische Systeme bürgernäher machen und die öffentliche Willensbildung fördern. Wenn die Empfehlungen berücksichtigt und hoffentlich umgesetzt werden, ebnet Rijeka den Weg für eine neue Ära der bürgernahen Regierungsführung und beweist damit, dass das Gegenmittel gegen Demokratiemüdigkeit in den Händen der Bürger_innen selbst liegt. Die Bewährungsprobe liegt nun in der Umsetzung der Empfehlungen.