Interview mit Marlese von Broembsen, Leiterin des Bereichs Recht bei der internationalen Organisation WIEGO (Women in Informal Employment: Globalizing and Organizing)
Heimarbeit bedeutet, dass Menschen Güter - oder Teile davon - in ihrer Privatwohnung herstellen. Heimarbeitende arbeiten in den verschiedensten Branchen und somit in zahlreichen globalen Lieferketten. Laut Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation gibt es weltweit 49 Millionen Heimarbeitende. Dabei sind abhängige Vertragsnehmende noch nicht mitgezählt. Eine Analyse von 340 Textilfabriken in zwei indischen Städten ergab, dass 58 Prozent von ihnen Arbeit an Heimarbeitende vergeben. Für die Unternehmen hat Heimarbeit mehrere Vorteile: Sie kann Fluktuationen in der Nachfrage abfangen; es können spezialisierte Arbeiten wie Stickereien übernommen werden, die nur schwer in Fabriken erledigt werden können; nicht zuletzt spart sie Raum-, Energie- und Gerätekosten. Da die Arbeit unreguliert ist, werden Heimarbeitende zudem geringer entlohnt als Fabrikarbeitende.
In den meisten Ländern des Globalen Südens haben Heimarbeitende keine Rechte, weil sie juristisch als selbstständige Vertragsnehmende gelten. In Thailand gibt es Gesetze, um Heimarbeitende zu schützen, aber Arbeitgebende haben damit gedroht, die Produktion nach Myanmar zu verlagern, wenn diese Gesetze durchgesetzt werden. Das Problem kann also nicht allein auf der nationalen Ebene gelöst werden.
Viele Heimarbeitende sind Frauen und für sie ist es wichtig von zu Hause zu arbeiten. Entscheidend ist für sie, dass ihre Arbeitnehmerinnenrechte gemäß ILO-Übereinkommen Nr. 177 über Heimarbeit respektiert werden. Es gibt vier Gründe, warum sie wollen, dass die Heimarbeit nicht abgeschafft, sondern geschützt wird: Erstens bekommen ältere Arbeitnehmerinnen in Fabriken keine Arbeit. So stellen Fabriken beispielsweise in Thailand angeblich keine Arbeitnehmende über 40 ein. In Indonesien werden Menschen über 50 aus der Fabrikarbeit gedrängt, und Fabrikarbeitende in Vietnam sind im Schnitt 25 Jahre alt. Ein Zitat aus einer Studie des Professors Mark Anner fasst die Intensität der Arbeit in Fabriken, die für den Export produzieren, gut zusammen: „Für sie [die Fabrikbesitzenden] sind wir wie Zuckerrohr. Sobald wir ausgequetscht sind, werfen sie uns raus.“ Heimarbeit zu verbieten würde bedeuten, Männer und Frauen über 40 vom Arbeitsmarkt zu verdrängen. Zweitens können kulturelle und religiöse Normen Frauen daran hindern, außer Haus zu arbeiten. Heimarbeit ermöglicht ihnen, einer Lohnarbeit nachzugehen. Drittens gibt Heimarbeit auch Menschen aus den dörflichen Regionen Zugang zu Arbeit. Die Auftraggebenden bringen die Rohmaterialien in die Dörfer und holen die fertigen Waren wieder ab. Viertens lässt sich Heimarbeit mit der Versorgung von Kindern, Enkelkindern und älteren sowie kranken Verwandten teilweise besser vereinbaren.
Zunächst muss die Gesetzgebung alle Arbeitnehmenden über die gesamte Lieferkette hinweg abdecken – egal, welchen Beschäftigtenstatus sie haben. Das ist wichtig, weil die Menschenrechte aller Arbeitnehmenden zu achten sind, aber auch noch aus einem anderen Grund: Eine Studie der Cornell University über fünf Sektoren kam zu dem Ergebnis, dass Zulieferunternehmen in der Regel eine Fabrik haben, die sich an Verhaltenskodizes hält, und dann Arbeit an weitere Fabriken outsourcen, die sich nicht daran halten. Studien haben gezeigt, dass Gesetze, die sich nicht auf alle Arbeitnehmenden erstrecken, die Informalisierung von Arbeit begünstigen. Das bedeutet, dass einige Arbeitnehmende den Preis dafür zahlen, dass die Rechte der anderen gewahrt werden.
Zweitens können Arbeitnehmende sich nicht wehren, wenn sie nicht wissen, für welche Marke sie produzieren. Die Fabriken halten diese Information geheim. Wenn Heimarbeitende oder ihre Organisationen versuchen, die Namen herauszufinden, werden sie bedroht. Gesetzliche Regelungen sollten daher eine Transparenzklausel enthalten, die Unternehmen dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass jeder und jede einzelne Arbeitnehmende in ihrer Lieferkette einen Arbeitsvertrag hat, in dem die Namen der Marken genannt sind, für die gearbeitet wird.
Eine Arbeitsgruppe aus 14 Interessenvertretungen von Heimarbeitenden aus neun Ländern hat sich mit der Frage befasst, wie der Schutz von Heimarbeitenden gesetzlich verankert werden kann. Die Ergebnisse wurden als Forderungen an die EU-Kommission übergeben. Der OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten in der Bekleidungs- und Schuhwarenindustrie sowie Australiens Regelungen zu Lieferketten zeigen, wie Heimarbeitende einbezogen werden können. Eine Möglichkeit ist, dass Unternehmen ihre Zulieferer vertraglich dazu verpflichten, ein Register ihrer Heimarbeitenden zu führen, in dem Kopien der Arbeitsverträge jedes und jeder einzelnen hinterlegt sind. Durch einzelstaatliche Gesetzgebung in den EU-Mitgliedsstaaten kann eine solche gesetzliche Verpflichtung geschaffen werden.
Dass Sozialaudits nicht ausreichen, um Arbeitnehmende zu schützen, ist hinlänglich bewiesen. Eine Alternative ist eine Sorgfaltspflicht, die von den Arbeitnehmenden gestaltet wird. Das bedeutet, dass Arbeitnehmende und ihre jeweiligen Vertretungen – häufig Gewerkschaften – an jedem Aspekt der Sorgfaltspflicht beteiligt werden. Dazu gehört etwa die Gestaltung von Regeln, der Beschwerdemechanismus und Abhilfeprozesse. Arbeitnehmende können selbst am besten beurteilen, wie und wo ihre Rechte verletzt werden.
Beschwerdemechanismen, die von Arbeitnehmenden gestaltet werden, müssen u.a. folgende Kriterien enthalten:
Mehr Informationen zu diesem Thema finden Sie in der englischen Publikation: SUPPLY CHAIN GOVERNANCE: Arguments for worker-driven enforcement
Broembsen, Marlese von
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