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Hasta siempre, Pepe! – Ein Nachruf auf Pepe Mujíca

José „Pepe“ Mujica prägte Lateinamerika als Kämpfer, Staatsmann und politische Leitfigur. Sein Leben stand für Integrität, soziale Gerechtigkeit und den Traum eines geeinten Südamerikas.

 

Von Dörte Wollrad, Büroleiterin der FES Uruguay 

 

Hasta siempre, Pepe! 

José Pepe Mujíca, ehemaliger Präsident Uruguays, wurde zu Lebzeiten mit vielen Ehrentiteln bedacht – als „bescheidenster Staatschef der Welt“, „philosophischer Präsident“, oder gar  „Nelson Mandela Südamerikas". Mit seinem Tod scheint eine politische Ära zu Ende zu gehen, in der das Amt als Berufung, das Mandat als Verpflichtung und persönliche Integrität als Selbstverständlichkeit galt – ein Politikstil, der weltweit, besonders bei jungen Menschen, zu inspirieren vermochte. 

 „Wir brauchen im Leben ein Anliegen, einen Traum von einer besseren Welt und müssen bei uns selbst anfangen. Man kann nicht das Eine denken und das Andere leben. Politik ist kein Beruf, sondern eine Leidenschaft.“ (Foro Progresista de Partidos Políticos 2021)
 

Im Widerstand 

Pepe wurde 1935 in einem Vorort von Montevideo als Sohn eingewanderter Eltern geboren. Schon als Kind erlebte er soziale Ungleichheit und Ausgrenzung hautnah. Früh engagierte er sich politisch gegen die Privilegien der besitzenden Elite. Die wachsende Repression durch die konservative Regierung und des Militärs, die von 1973 bis 1985 in einer der brutalsten Militärdiktaturen Südamerikas gipfelte, führte ihn in den bewaffneten Widerstand: In den 60er Jahren schloss er sich der Stadtguerilla Movimiento de Liberación Popular MLP Tupamaro an. 

Er lebte im Untergrund, wurde mehrfach verhaftet und konnte zweimal aus dem Gefängnis entkommen. 1972, ein Jahr vor dem Militärputsch, wurde er erneut gefasst und verbrachte 13 Jahre im Gefängnis - teils in Einzelhaft und unter Dauerfolter. Bis zum Ende der Diktatur 1985 hielten die Militärs ihn gemeinsam mit weitereren Anführer_innen der Tupamaro als Faustpfand, um Aufstände in der Bevölkerung zu unterdrücken. Gegen Mujíca lagen rechtlich weder eine Anklage noch ein Urteil vor; entsprechend kam es auch nie zu einem Freispruch. Seine Freilassung erfolgte im Rahmen des Amnestiedekrets mit dem Ende der Diktatur. 
 

In der Demokratie 

In den Jahren nach seiner Freilassung setzte er seinen politischen Kurs fort. 1989 gründete er die Partei Movimiento de Participación Popular (MPP), die sich dem linken Parteienbündnis Frente Amplio (FA) anschloss. Sein parlamentarisches Engagement begann 1994 mit der Wahl ins Abgeordnetenhaus, gefolgt vom Amt des Senators und schließlich dem des Landwirtschaftsministers in der ersten Regierung des Frente Amplio. 2010 übernahm er das höchste Staatsamt und diente bis 2015 als Präsident Uruguays.  

Der Vergleich mit Nelson Mandela mag in vielerlei Hinsicht hinken, doch er beruht auf  drei markanten Parallelen: Mandela und Mujíca haben jahrelang unter Staatsterrorismus und Folter gelitten, ohne dabei den Glauben an einen demokratischen Staat zu verlieren; endlich in Freiheit haben sie weder vergessen noch vergeben, aber stets und selbst mit den Tätern den Dialog gesucht, um eine starke Demokratie aufzubauen. Und schließlich: In Regierungsverantwortung verzichteten beide auf Rache. Stattdessen setzten sie konsequent auf Gerechtigkeit – im Rahmen demokratischer Prinzipien. 

Dabei griff er kontroverse Themen auf, wählte oft bildhafte und unkonventionelle Zugänge und polarisierte. Nicht ohne Grund fielen so konfliktive Politiken und Gesetze wie die Regulierung von Marihuana-Anbau und -konsum sowie die Legalisierung der Abtreibung in seine Präsidentschaft. Gemeinschaft und ein gelingendes Miteinander zählten zu seinen zentralen Anliegen, während seine Kritik an der Konsumgesellschaft ein beständiger Leitgedanke blieb. 

„Die Linke ist extrem ideologisiert und hat den Bereich der menschlichen Affekte vergessen. Wir überlassen diese der extremen Rechten. Es geht um die Suche nach Glückseligkeit. Wir müssen Glückseligkeit und Gemeinschaft aufbauen und den Mut haben zur wirklichen Rebellion, sich von der Konsumgesellschaft nicht versklaven zu lassen.“ (Foro Progresista de Partidos Políticos 2021). 
 

Regionale Integration 

Nach seiner Präsidentschaft widmete sich Mujíca als Senator einem politischen Herzensanliegen: der Verwirklichung eines Traums – der Integration Südamerikas zu einer Gemeinschaft von Staaten, getragen von Frieden und Wohlstand. Bereits vor rund 20 Jahren hatten progressive Regierungen der Region diesen Weg mit der UNASUR (Union der südamerikanischen Nationen) eingeschlagen. Auch der MERCOSUR (Gemeinsamer Markt des Cono Sur) hat auf subregionaler Ebene wirtschaftlich wie institutionell bedeutende Fortschritte erzielt. 

Dennoch gelingt es den Staaten der Region bis heute nicht, geschlossen aufzutreten – zu leicht lassen sie sich weiterhin von Investoren und Weltmächten gegeneinander ausspielen. Nach Mujícas Einschätzung verspielt Südamerika damit eine historische Chance: den überfälligen Paradigmenwechsel im Entwicklungsmodell. Gerade jetzt, da die Region angesichts ihrer Rohstoffe und der globalen geopolitischen Polarisierung über erhebliche Verhandlungsmacht verfügen könnte. 

Auch über parteipolitische Lager hinaus wollte Mujíca hier die Schnittmenge der Interessen herausarbeiten und die Bevölkerung aktiv mitnehmen. Die sogenannte Initiative Mujíca reicht vom Symbolischen wie einer gemeinsamen Hymne und einem Regionalfeiertag bis hin zu sehr konkreten Projekten wie regionalen Stromnetzwerken und Infrastrukturvorhaben. Und 2024 fand das erste Gipfeltreffen der Völker Südamerikas statt, in dem sich soziale Bewegungen von Gewerkschaften bis Umweltaktivist_innen für eine gemeinsame Agenda der Staaten der Region einsetzten, die Frieden, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. Wie so vieles war auch dies eine Initiative, die das Vermächtnis von Pepe Mujíca überdauern wird. 

Nun ist man schwerlich Prophet im eigenen Land. Positionen wie sein Dialog mit den uruguayischen Militärs wurden gerade von den Familienangehörigen der Opfer des Staatsterrorismus verurteilt, die auch nach 40 Jahren noch nichts zum Verbleib der „Verschwundenen“ wissen. Was Mujíca den Ruf eines politischen Philosophen einbrachte, waren seine im politischen Betrieb seltene Direktheit und die Übereinstimmung von Wort und Tat – eine Authentizität, an der selbst Kritik an der politischen Klasse wirkungslos abprallt. 

Pepe wohnte immer – selbst zu Präsidialzeiten – in seinem Häuschen auf dem Lande, fuhr den wohl weltberühmtesten VW-Käfer und spendete 90% seines Gehalts an soziale Projekte. 

In Zeiten, in denen Hasstiraden die sozialen Netzwerke fluten, politische Positionen volatil, weil gewinn- und nicht wertegeleitet sind und die Verletzung aller Regeln und Tabus Wählerzuspruch findet, sollten sich demokratische Gesellschaften auf Respekt, Kohärenz und Solidarität rückbesinnen – und das nicht nur als Anforderung an politische Führung, sondern als Haltung von Individuen und Gemeinschaften. 

Pepe Mujíca verstarb am 12. Mai 2025, wenige Tage vor seinem 90. Geburtstag. 

 


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