Eugenia Scanferla

Die Rezession ist weiblich: Frauen in der Corona-Krise

Im Vergleich zu früheren Wirtschaftskrisen sind Frauen von den negativen Auswirkungen der Covid19-Pandemie unverhältnismäßig stark betroffen: Das gilt vor allem für die traditionell weiblich dominierten Sektoren der sozialen oder personennahen Dienstleistungen, des Handels und des Gastgewerbes und für den immerwährenden Konflikt zwischen bezahlter Arbeit und unbezahlter Sorge-Arbeit.

"Frauen tragen die Hälfte des Himmels" – so lautet ein chinesisches Sprichwort, und der Titel einer 2009 erschienenen Reportage der  Pulitzerpreisträger Nicholas D. Kristof und Sheryl WuDunn. Geschlechtergleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit sind nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch für die Marktwirtschaft eines Landes wichtig. Auch deswegen muss die soziale und ökonomische Gleichberechtigung von Frauen mit aller Macht angekurbelt werden: jetzt dringender denn je. Das bekräftigt das Dossier „Women and the Coronavirus“, das 2021 in Zusammenarbeit mit Social Europe, der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung erschienen ist und geschlechterspezifische Missstände, aber auch progressive Lösungsansätze beleuchtet.

Frauen an der „systemrelevanten“ Front verbrennen im Corona-Burnout

Die Zahlen, die Sofia Fernandes und Klervi Kerneïs im Dossier darstellen, sind ernüchternd bis schockierend: Frauen stellen in der EU die Mehrheit der Beschäftigten im Gesundheitswesen (76 Prozent), in der professionellen Kinderbetreuung und Schulbildung (93 Prozent), im Lebensmittelhandel (82 Prozent), in der persönlichen Pflege (86 Prozent) und bei den Reinigungskräften und Haushaltshilfen (95 Prozent), kurz – Bereiche, die von der Pandemie besonders schwer getroffen wurden.

Viele Frauen in „systemrelevanten Berufen“ kämpften monatelang an vorderster Front gegen das Virus. Die Folgen sind bekannt: völlige physische und mentale Erschöpfung, Unterbezahlung und die Unvereinbarkeit von Arbeit und Familienleben. Das verdeutlichten auch die Proteste des Gesundheits- und Pflegepersonals. Eifriges Klatschen auf den Balkonen, politische Solidaritätsbekundungen und das durch die Medien vermittelte Held_innen Narrativ reichen eben nicht aus die Missstände in der Branche zu beheben.

Frauen arbeiten mehr und verdienen weniger

Die aktuelle wirtschaftliche Rezession in Europa ist in vielerlei Hinsicht so stark weiblich geprägt, dass bereits der Begriff "She-cession" dafür erfunden wurde. Zwischen März 2020 und Februar 2021 stieg die Zahl der Arbeitslosen in der Europäischen Union (EU) um rund 2,4 Millionen. Die Arbeitslosigkeit von Frauen stieg um 20,4 Prozent, während sie bei Männern nur 16,3 Prozent betrug. Die Ungleichheit zwischen erwerbstätigen Frauen und erwerbstätigen Männern existierte bereits vor der Pandemie, wurde durch diese aber deutlich verstärkt. In Italien fiel 2020 die Erwerbstätigenquote der Frauen auf 49 % (!), nachdem sie 2019 endlich die 50 %-Marke überschritten hatte – also eine Verbesserung in Sicht schien. Im Vergleich: fast 77% der Frauen waren 2019 in Deutschland erwerbstätig. Allerdings: der bundesweite Verdienstabstand zwischen den Geschlechtern – der sogenannte Gender Pay Gap – lag auch in Deutschland 2019 bei 20 Prozent. Ein Wert, der in den letzten Jahrzehnten dank Verbesserungen in der Ganztagsbetreuung von Kindern und der Elternzeit, die endlich auch von Männern genommen wurde, gesunken war, nun aber wieder steigt.

Frauen leisten mehr unbezahlte Arbeit

Die Pandemie verdeutlichte auch die Ungleichheit der Rollenaufteilung in den Familien, den sogenannten Gender Care Gap. Oder, wie es Caroline Criado Perez in ihrem Buch „Unsichtbare Frauen“ treffend formulierte: „Es gibt keine Frauen, die nicht arbeiten. Es gibt nur Frauen, die nicht für ihre Arbeit bezahlt werden.“ Frauen wenden pro Tag doppelt so viel Zeit für unbezahlte Care-Arbeit auf wie Männer. Und während der mittlerweile mehrfachen „Lockdowns“ mussten Frauen oftmals alles gleichzeitig sein - Mutter, Lehrerin, Haushälterin und Angestellte oder Selbstständige in ihrem bezahlten Beruf. So nahm das klassische Spannungsfeld zwischen Kind und Karriere mit „Homeschooling und Homeoffice“ neue Dimensionen an. Für viele aber entstand dieses Dilemma erst gar nicht – die Homeoffice-Option war branchenbedingt für weibliche Arbeitskräfte viel seltener eine Möglichkeit als für Männer.

Eine neue, geschlechtergerechte Normalität schaffen

Die anhaltende Pandemie ist in vielerlei Hinsicht eine Katastrophe für die Gender-Gerechtigkeit. Einziger Pluspunkt: sie hat soziale und ökonomische Missstände stärker in den Vordergrund der öffentlichen Debatte gestellt. Es liegt nun an der Politik, diesen Missständen entgegenzuwirken. Lisa Pelling und Linn Brolin zeigen auf, dass es durch eine bessere Gleichstellung von Männern und Frauen in der EU bis 2050 möglich wäre 10,5 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Diese könnten zu 70 Prozent von Frauen besetzt werden und würden das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt der EU von 6,1 auf 9,6 Prozent erhöhen. Es braucht geschlechterorientierte Maßnahmen, um sowohl den Pay Gap als auch den Care Gap zu schließen. Der Anfang ist gemacht: die Bundesregierung will in diesem Jahr einen zweiten Bundespflegebonus an die Beschäftigten im Gesundheitswesen auszahlen. Die Debatte um eine Veränderung des Ehegattensplittings erlebt wieder neuen Aufschwung. Auf europäischer Ebene wird eine neue EU-Richtlinie zur Beseitigung von Entgeltungleichheit diskutiert. Wie Maria Jepsen im Dossier formulierte, „diese Initiativen sollten als Gelegenheit genutzt werden, um ein Szenario zu schaffen, das sowohl für Frauen als auch für Männer optimal funktioniert“ - insbesondere jetzt, wo wir auf eine „neue Normalität“ zusteuern.

Women and the Coronavirus crisis

Berlin, 2021

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Katharina Hofmann de Moura
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