China ist aus der globalen Sicherheitsordnung nicht mehr wegzudenken. Was das für den Rüstungskontrolldialog bedeutet, klärt eine neue Analyse der FES.
Die Volksrepublik China ist aktive Mitgestalterin der globalen Sicherheitsordnung des 21. Jahrhunderts. Dafür hat das Land seine traditionelle außen- und sicherheitspolitische Zurückhaltung aufgegeben. Unsere jüngste Analyse nimmt diese Veränderungen in den Blick und konzentriert sich explizit auf Chinas Rolle in der multilateralen Rüstungskontrolle. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob und wenn ja in welchen Bereichen ein Rüstungskontrolldialog mit Deutschland und der EU möglich und sinnvoll ist.
Multilaterale Rüstungskontrolle: eine Vertrauensfrage
Abrüstung und Rüstungskontrolle sind zentrale Bausteine globaler Sicherheitsarchitektur und erfordern Vertrauen zwischen Staaten. Vertrauen, welches in einer Vielzahl von Regionen der Welt stetig abnimmt und zur Folge hat, dass die multilaterale Rüstungskontrollarchitektur brüchig geworden ist. Auch die russische Invasion in der Ukraine wird die Erfolgsaussichten für Rüstungskontrolle mit großer Wahrscheinlichkeit weiter erschweren. Zugleich zeigen Herausforderungen internationaler Rüstungskontroll- und Ordnungspolitik – wie der Iran- oder der Nordkorea-Konflikt, dass diese nicht effektiv geregelt werden können, wenn China nicht konstruktiv mitwirkt.
Um Chinas Rolle in der multilateralen Rüstungskontrolle besser zu verstehen, hat das Referat Asien-Pazifik der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) kürzlich eine neue Analyse von Dr. Oliver Meier und Prof. Michael Staack mit dem Titel Chinas Rolle in der multilateralen Rüstungskontrolle veröffentlicht. Die Analyse liefert wichtige Hintergrundinformationen für eine notwendige Diskussion über die Grundsätze chinesischer Rüstungskontrollpolitik und welche Optionen sich daraus für einen rüstungskontrollpolitischen Dialog mit Beijing ergeben könnten.
Ohne China wird es nicht gehen
Dr. Meier und Prof. Staack betonen: Wenn die Rüstungskontroll- und Ordnungspolitik aufrechterhalten und fortentwickelt werden soll, muss das Land einbezogen werden und aktiv mitwirken. Dem steht entgegen, dass China seine (Auf-)Rüstungspolitik weiterhin aktiv vorantreibt und sich in der multilateralen Rüstungskontrolle bisher eher passiv verhält.
Dabei folgt Beijing zwei Grundsätzen, skizzieren die beiden Autoren. Zum einen strebt das Land nach strategischer Ebenbürtigkeit mit den USA und zum anderen verbietet es sich jegliche Einmischung in innere Angelegenheiten. Jenseits dessen ist Chinas Handeln in den Themenfeldern Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung jedoch keineswegs »aus einem Guss«. Die beiden Autoren attestieren Zielkonflikte und ein gebrochenes Rollenverständnis. Das lässt Chinas Politik in einigen Themenfeldern ambivalent oder sogar widersprüchlich erscheinen. Ungeachtet dieser Ambivalenzen zeigt sich Beijing jedoch grundsätzlich bereit, sich stärker in der Rüstungskontrollpolitik zu engagieren. Daraus ergeben sich Anknüpfungspunkte für einen vertieften Rüstungskontrolldialog mit Deutschland und Europa.
Erfolgschancen rüstungskontrollpolitischer Dialogversuche
Die zunehmende Einbindung Chinas in Rüstungskontrollregime kann also helfen, die brüchige internationale Ordnungspolitik zu stabilisieren. Um mit Beijing ins Gespräch über kooperative Sicherheit zu kommen, empfehlen Dr. Meier und Prof. Staack nachhaltigere Dialoge über Fragen der Verifikation sowie über Vertrauens- und Sicherheitsbildung. Die Etablierung von Gesprächskanälen fördert Transparenz, Empathie und Verständnis über geteilte Interessen und kann so zu einer längerfristigen Veränderung im politischen Verhältnis beigetragen. Deutschland und die EU sollten Chinas rüstungskontrollpolitische Grundsätze zur Kenntnis nehmen und, wo geboten, Unterschiede zur deutschen und europäischen Position artikulieren. Spezifität, Flexibilität und Dialogbereitschaft können die Erfolgschancen rüstungskontrollpolitischer Dialogversuche erhöhen.
Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Davor war er stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.
Michael Staack ist Professor für Politikwissenschaft, insbesondere Theorie und Empirie der Internationalen Beziehungen, an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg.
Dieser Bericht ist Teil der Veröffentlichungsreihe »Gestaltungsmacht China« der FES, die Beijings Herangehensweise in einer Reihe unterschiedlicher globaler Politikfelder untersucht. Das übergreifende Thema ist die Zukunft des Multilateralismus angesichts Chinas Aufstieg zur Weltmacht und einem immer stärker werdenden Wettbewerb um Werte und Normen: Wie können wir einen konstruktiven Verhandlungsprozess zwischen Europa und China über die Rahmenbedingungen für die Global Governance einleiten? In welchen Bereichen sind mehr Koordinierung und Zusammenarbeit mit China möglich, und wo muss Europa zunehmend Gegenmaßnahmen ergreifen und seine Hausaufgaben machen, zum Beispiel um in Schwellen- und Entwicklungsländern als verlässlicher Partner wahrgenommen zu werden?