„Wie schon im vergangenen Jahr treffen wir uns zur Fachtagung ländlicher Raum wieder virtuell. Es freut uns, dass wir mit dem neuen digitalen Format auch neue Teilnehmerkreise hinzugewonnen haben. Natürlich vermissen wir das persönliche Gespräch, aber auch diesmal haben wir wieder Möglichkeiten für Interaktionen vorbereitet: Wir lernen uns in Kleingruppen kennen, beantworten Fragen, stimmen ab und diskutieren im Plenum!“ Herzlich hieß Anne Haller, die Leiterin der KommunalAkademie der Friedrich-Ebert-Stiftung die Kommunalpolitiker_innen zur digitalen Tagung willkommen.
„Wie stellen wir uns die typische Stadt – Land – Beziehung vor? Und wie wird sich dieses Verhältnis in Zukunft vor dem Hintergrund der anstehenden Transformationen wie der Digitalisierung und der Anpassung an den Klimawandel verändern?“ Diese Fragen stellte Andrea Franz, Referentin der Bundes-SGK, zu Beginn ins Zentrum des Austauschs zwischen Expert_innen und Praktiker_innen und führte in das Thema der Tagung ein.
Verflechtungsbeziehungen zwischen Stadt und Land
Manfred Miosga, Professor für Stadt- und Regionalentwicklung der Universität Bayreuth, räumte in seinem Eingangsstatement sogleich mit dem Vorurteil auf, dass Stadt und Land gegensätzliche Pole darstellten. Die Gegensätze lösten sich immer mehr auf. Das Land habe sich emanzipiert und der urbane Raum werde zur weitläufigen „Schwarmstadt“. Zugleich aber bestehe die Stadt-Land Dichotomie in den Köpfen der Menschen weiter und diese sei auch identitätsstiftend. Dabei gebe es regionale Disparitäten, die unter dem Druck von Krisen und Transformationsprozessen noch verschärft würden. Hier nannte er die Digitalisierung, die Pandemie, den Klimawandel, die Integrität der Biosphäre und auch eine Krise des sozialen Zusammenhalts. Manfred Miosga machte anhand der Themenschwerpunkte der Konferenz Ernährung, Arbeit und Wohnen deutlich, wie diese Herausforderungen auf die Entwicklung von urbanen und ländlichen Räumen wirken. Dabei habe die Region als solche, leider keine politische Entsprechung und interkommunale Zusammenarbeit gebe es zu wenig. Vor diesem Hintergrund verwies er darauf, dass die Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge und eine am Gemeinwohl orientierte Politik im regionalen Bezugsraum wichtiger denn je seien.
Beim Austausch in den anschließenden Breakout-Sessions für die Diskussion in Kleingruppen und später dann im Plenum gab es vielfach die Gelegenheit, sich besser kennenzulernen und die Besonderheiten der eigenen Kommune herauszustellen. Drei Themen in Bezug auf die Nachhaltigkeitsdebatte in der Gesellschaft müsse man besonders im Auge behalten: Die Flächenversiegelung durch neue Bauprojekte der in Konkurrenz stehenden Kommunen, die Nutzung von Flächen für Windräder, die oftmals auf Widerstand stoße oder auch der anhaltende Trend zum Wohnen im Einfamilienhaus auf dem Land, was sich mit den Nachhaltigkeitsaspekten schwer vereinbaren ließe. Hier bedürfe es einer gesellschaftlichen Debatte.
Kommunen gestalten Ernährung
Warum sollten wir auf regionale Ernährung setzen? Nach einem kleinen einstimmenden Film zur regionaler Wertschöpfung gab Alexander Handschuh, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes erste Antworten auf diese Frage. Mit seinem Input "Kommunen gestalten Ernährung – neue Handlungsfelder nachhaltiger Stadtentwicklung", stellte er die Erkenntnisse aus dem Verbundforschungsprojekt KERNIG (Kommunale Ernährungssysteme als Schlüssel zu einer umfassend-integrativen Nachhaltigkeits-Governance) vor. Grundlegend sei, dass Kommunen ökologische Nachhaltigkeit als Ziel ihrer Stadtentwicklung in den Blick nehmen und auch Ernährung und regionale Produktion in ihre Strategie integrieren. 30 Prozent der CO2-Emissionen seien dem Landwirtschafts- und Ernährungssektor zuzurechnen. Kommunale Ernährungsstrategien seien nicht nur Beitrag zu, sondern ein zentraler Treiber von nachhaltiger Stadt- und Regionalentwicklung. Dabei müsse das Ernährungssystem von der Produktion bis zur Entsorgung analysiert werden und auch alle Akteure von der Verwaltung über die Wirtschaft und Initiativen bis zur Bürgerschaft betrachtet werden. Dabei spiele die Region eine besonders wichtige Rolle, weil sie mit einer saisonalen und lokalen Produktion unter hohen Qualitätsstandards für mehr Nachhaltigkeit sorgen könne. So würden beispielsweise Transportwege und Ressourcen gespart.
Thorsten Krüger, Bürgermeister der Stadt Geestland und Nachhaltigkeitsbotschafter des Deutschen Städte und Gemeindebundes brachte auf den Punkt, wie für mehr Nachhaltigkeit bei der Ernährung gesorgt werden kann: Jede und jeder habe die Möglichkeit tagtäglich mit dem Kassenbon abzustimmen. Wer regionale und gesunde Nahrungsmittel einkaufe, leiste einen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit. Er stellte sein Projekt der GemüseAckerdemie vor. Es sei vor allem wichtig, Heranwachsende in den Kitas und Schulen und deren Eltern zu sensibilisieren. Oftmals würden sie den Bezug zur Nahrungsmittelproduktion vollkommen verlieren, weil sie keinen Garten zum Pflanzen und Ernten hätten. Es sei bedeutsam, den Kindern ein Bewusstsein für die Herkunft ihrer Nahrungsmittel und deren Verarbeitung zu vermitteln.
In der anschließenden Diskussion mit den Kommunalpolitiker_innen und den Expert_innen wurde schnell klar, dass die Ernährungsfrage auch eine soziale und zugleich gesundheitliche Frage ist. Die SPD-Landespolitikerin aus Nordrhein-Westfalen, Annette Watermann-Krass, stellte die gesellschaftlichen Kosten ungesunder Ernährung denjenigen einer besseren Schulverpflegung gegenüber. Gesundes Essen dürfe etwas kosten und sei am Ende für die Gesellschaft ein eindeutiger Gewinn, so ihr Resümee, dem die Diskutierenden einhellig zustimmten.
Zukunft der Arbeit in einem Zeitalter der Digitalisierung
Für den zweiten Themenschwerpunkt lud Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales dazu ein, "Regionale Disparitäten und Fachkräftesicherung in Zeiten des digitalen Wandels" näher zu betrachten. Er brachte eine Menge empirischer Daten und Fakten mit. Insgesamt sei bis zum Jahr 2025 mit einer Arbeitskräftelücke von rund 500 000 Personen zu rechnen. Insbesondere IT-Berufe, die Altenpflege und die Energietechnik seien betroffen. Es fehle insofern auch am Personal zur Bewältigung der Energiewende. Der Fachkräftemangel stelle sich räumlich sehr unterschiedlich dar. Es drohe eine Abwärtsspirale für betroffene Regionen, die durch den Fachkräftemangel verursacht sei. Durch den Verlust von Arbeitskräften und Know-How könnten Unternehmen den betroffenen Standorten ebenfalls den Rücken kehren. Um Gegenmaßnahmen ergreifen zu können, bedarf es einer regionalen Analyse der Bedürfnisse und einem Ausbau der auf die Region abgestimmten Weiterbildungs- und Qualifikationsmaßnahmen.
Der Geschäftsführer der Strausberger Technologie- und Innovations Center- Wirtschaftsförderunggesellschaft (STIC ) Märkisch Oderland, Andreas Jonas, informierte umfassend über die in seinem Landkreis etablierten alternativen Formen der Arbeit. Er stellte die drei Standorte von „CoWorking Oderland“ in Strausberg, Letschin und Bad Freienwalde und ihre unterschiedlichen Funktionen für die Gemeinden und den Landkreis dar: Wiederbelebung durch Umnutzung von Gebäuden und deren Umfeld, Ergänzung und Stärkung vorhandener Strukturen, Erhöhung der Attraktivität von Dörfern und Quartieren, Bildung und Stärkung von regionalen Netzwerken. Andreas Jonas vertrat nach den Erfahrungen aus Märkisch Oderland die These, dass Coworking-Spaces und Flex Desks/ Offices ein wichtiger infrastruktureller Baustein in der Mobilitätswende werden können, weil Pendelverkehre eingespart würden. Voraussetzung für die dezentralen Arbeitsorte sind natürlich eine gute digitale Infrastruktur und Erreichbarkeit. Interessant war, dass gerade in ländlichen Gegenden auch ortsansässige Handwerker_innen und andere gewerbliche Berufe von den alternativen Arbeitsorten profitieren könnten.
Bei der abschließenden Umfrage unter den Teilnehmenden: "Wie verändert Digitalisierung Deine Arbeit?" gab es sehr unterschiedliche Antworten, die sich zwischen den Polen "nur wenig" und "es warten grundsätzliche Veränderungen" bewegten. Sorge bereitete der sich abzeichnende Fachkräftemangel und die Frage wie Kommunen mit dem Problem umgehen sollen. In der weiteren Diskussion wurde unter anderem die Hoffnung geäußert, dass sich das Homeoffice als dauerhafte Einrichtung zur Flexibilisierung des Arbeitsalltags und zum Vorteil für die Arbeitnehmer_innen entwickelt.
Wohnungsmärkte regional denken
Unerwartet war das Ergebnis der Befragung zu Beginn der Veranstaltung nach der Häufigkeit der Pendelwege. Viel weniger Teilnehmende als erwartet, waren täglich zwischen Stadt und Land unterwegs! Offenbar ein Zufall oder ein Beleg dafür, dass Kommunalpolitiker_innen eher auf ihr lokales Umfeld konzentriert sind?
Dabei stellte Ricarda Pätzold, Projektleiterin beim Deutschen Institut für Urbanistik, in ihrem Vortrag klar, dass die Verflechtungsintensität zwischen den ländlichen und städtischen Räumen auch Ausdruck der zunehmenden räumlichen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsorten sei. Dabei gebe es eine Vielfalt möglicher Ursachen: Verdrängung aus der Stadt, Wunsch nach Eigentumsbildung, die Suche nach dem Landleben oder auch Jobwechsel unter Beibehaltung des Wohnorts. Dabei wirke das Angebot von relativ günstigen Eigenheimen auch als „Wettbewerbsvorteil“ für Umlandregionen gegenüber den Kernstädten. Für mehr Nachhaltigkeit sei man aber auf Alternativen zum Eigenheim angewiesen.
Lena Abstiens, Projektleiterin bei der RegioKontext GmbH konzentrierte ihren Vortrag auf Alternativen zum neu erbauten Wohneigentum im Umland. Gesunde Nachverdichtung und Umzugsketten seien ein Teil der Lösung für den angespannten Wohnungsmarkt. Die kleine Gemeinde Jork, 30 Kilometer von Hamburg entfernt, hat eine alte und jahrelang ungenutzte Brandruine eines ehemaligen Gasthauses zu einem Mehrfamilienhaus mit 13 Wohneinheiten umgebaut. Der Ort verfügte bis dahin vor allem über Ein- und Zweifamilienhäuser und kaum kleine, bezahlbare Mietwohnungen. Nach Fertigstellung konnte dem Wohnungsmangel durch die Nachverdichtung etwas entgegengesetzt werden. Ein zweites Beispiel ist das niedersächsische Hiddenhausen. Hier wird nach dem Prinzip „Jung kauft Alt“ der Erwerb von „gebrauchten“ Häusern für junge Familien gefördert – mittlerweile gibt es 700 Förderfälle. Dies wirkt der Überalterung entgegen und macht die Ausweisung neuer Baugebiete zunächst überflüssig.
In der anschließenden Diskussion stellte sich heraus, dass Kommunalpolitiker_innen wie auch Expert_innen den anhaltenden Trend zum Einfamilienhaus kritisch sehen, aber nur langsam ein Umdenken in Politik und Gesellschaft stattfindet. Es herrsche immer noch das Idealbild des Eigenheims im Grünen vor, was dazu führe, dass die Wohnungsmärkte im urbanen und im ländlichen Raum noch sehr unterschiedlich aufgestellt seien.
Was braucht eine gute Politik für Regionen?
Die Konferenz-Teilnehmer_innen schlossen den Tag mit einer Sammlung von Anregungen und Vorschlägen für weitergehende Überlegungen und Debatten. Um die regionalen Bezüge beurteilen zu können, sind die die Themenfelder Ernährung, Arbeit und Wohnen wichtig. Letztendlich müsse hier eine gesellschaftliche Debatte über zukünftige gemeinsame Ziele geführt werden. Die Teilnehmenden wünschten sich, dass die neue SPD-geführte Regierungskoalition diese Debatten anstoße und sich dies sich auch in kommenden Initiativen niederschlage.
Das Thema Mobilität als ein Träger der Verflechtungsbeziehung spielte während des Konferenztages eine wichtige Rolle in den Diskussionen. Zum einen solle der regionale bzw. lokale Bezug Verkehrsströme verhindern. Zum anderen bleibe es wichtig, flexible Mobilitätsmöglichkeiten zur Verfügung zu haben, um auch entlegene Winkel zu erschließen. Dünn besiedelte strukturschwache Räume seien nach wie vor auf das Auto angewiesen. Eine weitere Erkenntnis, die vertieft diskutiert werden müsse, sei die Funktion der Stadt als identitätsstiftendes Zentrum einer Region.
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