Zweimal unklar, einmal deutlich – über diese Ergebnisse und diese Richtungsfrage hinaus gibt es dringendere Herausforderungen in der Region.
Nur Argentinien liefert ein klares Ergebnis
Rechts oder links? Die Antwort auf diese Frage fällt im Rahmen einer Diskussion von FES und Lateinamerika-Forum Berlin (LAF) e. V. am 28.10.2019 nicht eindeutig aus. Betrachtet man die drei Wahlergebnisse vom 20. und 27.10.2019, steht nur in Argentinien der Wahlsieg des peronistisch-kirchneristischen Bündnisses von Alberto Fernández und Cristina Fernández de Kirchner fest, sagte Claudia Zilla von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
In Bolivien hat die oberste Wahlbehörde zwar die Wiederwahl von Evo Morales mit hauchdünner Mehrheit verkündet, aber ein großer Teil der Bevölkerung spricht von Wahlbetrug, und auch internationale Beobachter_innen stellten »Unregelmäßigkeiten« fest. Die Opposition fordert eine Annullierung der Präsidentschaftswahlen oder eine zweite Runde als Stichwahl, berichteten Juliana Ströbele-Gregor, LAF e. V. und Daniel Agramont, Universität Frankfurt. Derzeit prüft die Organisation Amerikanischer Staaten die Wahlergebnisse.
In Uruguay – dem »gallischen Dorf« links-progressiver Regierungen – verlor die Frente Amplio mit ihrem Spitzenkandidaten Daniel Martínez ihre absolute Mehrheit im Parlament. In der Stichwahl am 24.11.2019 gilt laut Sebastian Sperling von der FES in Uruguay ein Wahlsieg des konservativen Lacalle Pou als wahrscheinlich.
Trend zur Heterogenität bestätigt sich
Ein Rechtstrend, den einige Beobachter_innen in den letzten Jahren in Lateinamerika auszumachen glaubten, bewahrheitet sich damit jedoch nicht. Vielmehr belegen die Wahlen den Wunsch nach Veränderung und die Unzufriedenheit mit allen Regierenden – es »bestätigt sich der Trend zur Heterogenität«, stellte Klaus Bodemer, ehemals vom German Institute of Global and Area Studies, fest. Nicht entscheidend ist, ob rechte oder linke Politik den Alltag bestimmt, denn künftig wird die Realpolitik überwiegen, so Bodemer. Dies zeigt der Fall Argentinien besonders eindeutig: Die weit verbreitete Armut bei gleichzeitig enorm hoher Auslandsverschuldung und starker konservativer Opposition im Parlament zwingen zu einer pragmatischen Politik und zur Zusammenarbeit.
Hohe Wahlbeteiligung, kaum Fake News – aber rechte Erfolge
Erfreulich sind jedoch die hohe Wahlbeteiligung in allen drei Ländern und die enorme Politisierung der Wählerschaft – in Europa können wir davon nur träumen. Claudia Zilla fiel positiv auf, dass Fake News und Beschimpfungen in sozialen Medien diesmal – etwa im Vergleich zu Brasilien letztes Jahr – nicht die Wahlkämpfe dominierten. Trotzdem gibt Bolivien Anlass zur Sorge: Die Polarisierung und Radikalisierung auch in den sozialen Medien verstärken sich seit der Wahl. Damit hier die Demokratie keinen dauerhaften Schaden nehme, sei laut Daniel Agramont eine schnelle Klärung der Situation durch eine Prüfung des Wahlergebnisses, eine Stichwahl oder eine Annullierung der Wahl dringend erforderlich. Bedenklich ist zudem, dass in Uruguay Parteien wie die neue ultrarechte Cabildo Abierto beim Thema der inneren Sicherheit deutlich punkten konnten. Uruguay folgt damit dem Trend der Region, und es zeigt sich einmal mehr, dass linke Parteien dafür derzeit keine ausreichenden Konzepte für die Wähler_innen liefern.
Alternativen zum Neoliberalismus und Extraktivismus verlangt
Im Bereich der Wirtschaft fällt die Richtungsentscheidung jedoch klar aus: Neoliberale Politik wurde in Argentinien deutlich abgestraft. Die große soziale Ungleichheit in der Region braucht andere Antworten, was auch die aktuellen Proteste in Chile oder Ecuador deutlich zeigen. Neben dem Extraktivismus, so Sebastian Sperling, verschärft derzeit die unregulierte Digitalisierung der Wirtschaften bestehende Ungleichheiten. Dabei könnte diese – reguliert und gut gestaltet – durchaus zu einer möglichen Diversifizierung der Wirtschaft beitragen.
Die Herausforderungen in der Region sind also klar: Bekämpfung der gravierenden sozialen Ungleichheit, Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Demokratie sowie wirtschaftliche Entwicklung mit Alternativen zum Extraktivismus.