Referat Lateinamerika und Karibik

Rauch steigt auf… In Uruguay gibt’s Cannabis jetzt in der Apotheke.

Bild: Cannabis auf einer staatlichen Plantage von © Rafael Sanseviero, FES Uruguay

Fragen an Sebastian Sperling, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Uruguay

Juli 2017

Am vergangenen Mittwoch, den 19.07.2017, ging in Uruguay erstmals Cannabis über den Apotheken-Tresen. Der Verkauf an Konsument_innen begann damit dreieinhalb Jahre, nachdem das uruguayische Parlament die Einrichtung eines staatlich kontrollierten Marihuana-Marktes beschlossen hatte.

Warum hat sich die Umsetzung des Gesetzes so lange hingezogen?

Es ist nicht so, dass bislang nichts passiert wäre. Der private Eigenanbau ist seit Jahren legal und wird kontrolliert, dafür sind 6.900 Personen sowie 63 Cannabis-Clubs registriert. Aber es stimmt natürlich: Der Beginn des Apothekenverkaufs war der lange erwartete und wichtigste Schritt der Umsetzung. Vom Anbau bis zum Verkauf ist nun endlich die gesamte Wertschöpfungskette für Marihuana unter staatlicher Kontrolle. Das gibt es in dieser Form in keinem anderen Land. Und genau deshalb dauerte es auch so lange. Es ergaben sich bei der Organisation von Anbau und Vertrieb eine Reihe von ganz praktischen Fragen und Problemen, die bislang noch keine andere Regierung lösen musste. Man kam legal nicht an Samen, die Apotheken wollten den Vertrieb nicht übernehmen, die Postangestellten nicht die Registrierung verwalten, es gab Streit um die Hygieneauflagen bei der Verpackung. Und politisch ist die Reform auch weiterhin umstritten, bis hinein in Regierungskreise, sodass hier und da wohl auch der politische Wille fehlte, schneller voranzugehen. Umso wichtiger ist es, dass der Verkauf nun endlich läuft. Entsprechend groß waren das Medieninteresse und die Freude unter den Befürworter_innen der Reform am vergangenen Mittwoch. Die Schlangen vor den Apotheken waren lang.

Was sind die ersten Erfahrungen? Wie läuft der Verkauf denn nun konkret?

Wer Marihuana in der Apotheke kaufen möchte, muss sich so wie beim Selbstanbau und der Mitgliedschaft in einem Cannabis-Club zuvor online registrieren. Registrierte Nutzer_innen können dann in den Apotheken, die einen entsprechenden Rahmenvertrag mit dem Staat haben, staatlich produziertes Marihuana für etwas über einen Euro pro Gramm kaufen, maximal 40 Gramm pro Monat. Sie weisen sich mit dem Fingerabdruck aus. Trotz dieser Hürden und vieler technischer Probleme haben sich seit Mai bereits 5.000 Konsument_innen registriert. In den zwei Tagen nach Verkaufsbeginn kamen 700 weitere hinzu. Auch die Apotheken, die sich lange geweigert hatten, den Vertrieb zu übernehmen, sind offenbar von der Nachfrage überrascht. Nur 16 Apotheken hatten sich in der ersten Phase des Verkaufs beteiligt, deren Vorrat war letzte Woche rasch ausverkauft. Zusätzliche 20 Apotheken wollen nun ebenfalls einsteigen, weitere werden hoffentlich folgen. Wie viele Konsument_innen nun vom illegalen in den legalen Marihuana-Markt wechseln, wird auch von der Qualität des Produkts abhängen. Es gibt schon eine Debatte um den Gehalt der Wirkstoffe THC und CBD. Zwei weitere Sorten mit unterschiedlicher Wirkstoffkonzentration sollen bald in den Vertrieb gehen. Und die Produktion muss gesteigert werden. Erst zwei der vorgesehenen sechs lizensierten Unternehmen produzieren derzeit. Mit dieser Kapazität könnten maximal 9.200 Konsument_innen versorgt werden.

Was lässt sich schon über die Auswirkungen der Reformen sagen?

Dass es öffentliche Debatten um den THC- und CBD-Gehalt gibt, ist schon mal ein sehr positives Zeichen. Es geht um eine Droge und ihre Wirkung und nicht mehr länger um das Strafgesetzbuch. Das für die Regierung politisch schlagende Argument für die Regulierung war damals, dem organisierten Verbrechen ein Geschäftsfeld und Profit zu entziehen. Ob sich der Apothekenverkauf bereits merkbar in den Bilanzbüchern der Kartelle niederschlägt, sei mal dahingestellt. Viel entscheidender ist aus meiner Sicht aber, dass sich Konsument_innen nicht länger mit der Polizei und kriminellen Dealer_innen auseinandersetzen müssen, sondern mit Apotheker_innen. Das schafft Voraussetzungen für sinnvolle Suchtprävention und Aufklärung. Die Stigmatisierung von Konsument_innen ist hoffentlich bald Geschichte. Viele Politiker_innen haben sich auch deswegen bewusst als erste registrieren lassen, auch einige meiner Kolleg_innen.

Das internationale Interesse an Uruguays Experiment ist groß – zu Recht?

Uruguay leistet hier wirklich Pionierarbeit. Es ist ein Prozess des beständigen Vortastens und Lernens. Derzeit arbeiten wir als FES mit unseren Partnern daran, die bisherigen Erfahrungen bei der Umsetzung der Reformen auszuwerten. Das ist sicher interessant für alle, die nach Alternativen zum gescheiterten Krieg gegen die Drogen und auch zur marktbasierten Legalisierung in den US-Staaten suchen. Mit den bestehenden UN-Drogenkonventionen gilt weltweit ja noch immer das überkommene und schädliche Diktat der Prohibition, die auch hier natürlich noch viele Anhänger_innen hat. Entsprechend großen politischen Mut hat die uruguayische Regierung bewiesen. Das positive Echo und die große Aufmerksamkeit, die dieses kleine Land weltweit für seine Drogenpolitik bekommt, helfen der Regierung gegen die Kritiker_innen von innen. Man ist hier inzwischen durchaus stolz darauf, Pionier zu sein. Doch andererseits will und muss das Land bei weiteren Fragen auch von den Erfahrungen anderer lernen. Die medizinische Nutzung von Marihuana ist beispielsweise noch nicht geregelt, hier hinkt Uruguay wiederum Ländern wie Chile oder Deutschland hinterher.


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