Referat Lateinamerika und Karibik

Militärs in der Politik - eine Gefahr für die Demokratie in Brasilien und den Kampf gegen die Corona Pandemie

Die Wahl von Jair Bolsonaro stellte die Rückkehr der Militärs zu den höchsten Rängen der brasilianischen Politik dar. Die durch die Streitkräfte unterstützte obskurantistische, unwissenschaftliche, reaktionäre und religiös geprägte Agenda Bolsonaros macht die Militärs zu Komplizen eines Regimes, dessen politische Ausrichtung viele, unter ihnen einige Richter_innen am Obersten Bundesgerichtshof (STF), als dem Völkermord und der Eugenik nahe stehend bezeichnen – etwas, das nicht einmal die 21 Jahre währende Militärdiktatur geschafft hat.

Bild: der ehemalige Falschirmjäger und Reservist Staatspräsident J. Bolsonaro mit Waffe und Kind von © Carolina Antunes PR

Die Wahl von Jair Bolsonaro stellte die Rückkehr der Militärs zu den höchsten Rängen der brasilianischen Politik dar und konsolidiert somit einen Bruch mit dem Primat der Politik, der Unterordnung des Militärs gegenüber ziviler Entscheidungsmacht Die Geschwindigkeit und die Art und Weise, in der die Militärs politische Ämter auf den verschiedensten Ebenen der öffentlichen Verwaltung in Brasilien besetzten, hat sogar die erfahrensten Expert_innen der Streitkräfte im Land erschrocken.

Anfangs war man geneigt zu glauben, die Militärs würden als ein pragmatischer, sachdienlicher Arm fungieren und dazu beitragen, ein Gegengewicht zum sogenannten »ideologischen Flügel« der Regierung Bolsonaro zu bilden. Dieser Flügel besteht aus Anhänger_innen des ehemaligen, in den USA lebenden, Astrologen Olavo de Carvalho. Dieser erlangte Ruhm als Impulsgeber eines sog. rechtsextremen Kulturkampfs, der sich auf einen antikommunistischen, nationalistischen »Kreuzzug« und einen rückschrittlichen Konservatismus stützte, und der von den Söhnen des Präsidenten zum ideologischen Guru der Regierung hochstilisiert wurde.

Was sich jedoch feststellen ließ, ist, dass die Militärs sich schnell der obskurantistischen Agenda Bolsonaros anschlossen und zu Komplizen einer Regierungsverwaltung wurden, die eine umfassende Bewaffnung der Bevölkerung unterstützt und die Abwicklung von Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen, die Militarisierung öffentlicher Politiken in den unterschiedlichsten Bereichen, die politische Verfolgung Oppositioneller, die Gewalt gegen Minderheiten, die Gefährdung der Sicherheit von Indigenen, Schwarzen und Quilombolas[1] vorantreibt sowie die öffentliche Maschinerie nutzt, um Verbündete und Familienangehörige des Präsidenten zu begünstigen.

Im ersten Jahr seiner Amtszeit hat Bolsonaro Fachleute entlassen, um deren Stellen unter dem vorgeschobenen Argument des Moralismus und der Antikorruption mit Reservist_innen und aktiven Militärs zu besetzen, was die Unterstützung seiner Regierung durch die Streitkräfte, vor allem durch das Heer, entsprechend verstärkte.

Die erfolgreiche Strategie der politischen Abwerbung verfolgte drei Hauptziele:

  • erstens den individuellen Charakter; begleitet von der Erhöhung der Einkünfte der Militärs, die zur Reserve wechselten
  • zweitens den institutionellen Charakter; begleitet von der Verbreitung eines historischen Revisionismus, um die Vergangenheit einer Politik der Gewalt und einer inkompetenten Verwaltung während der Militärdiktatur abzustreiten und
  • drittens den populistischen Charakter; begleitet von der Darstellung der Militärs in der Politik als Garanten eines moralistischen und konservativen Diskurses.

Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten: Mit mehr als 6 100 aktiven Soldat_innen und politisch nominierten Reservist_innen (eine noch höhere Zahl als die in der Militärdiktatur), wurde die Kaserne, zusammen mit den evangelikalen Neo-Pfingstkirchen, zur tragenden sozialen Basis der Regierung Bolsonaro. Die Militarisierung eines Sektors ist die Antwort, die der Präsident Bolsonaro dann heranzieht, wenn er nicht in der Lage ist ‒ sei es aus Mangel an fähigem Personal im Umfeld der Familie Bolsonaro ‒ kohärente öffentliche Politiken vorzuschlagen. Dies gilt für die Bildung im Primarstufenbereich mit der Einrichtung sogenannter zivil-militärischer Schulen; für den Bereich der Renten- und Sozialversicherung; für den Bereich der öffentlichen Sicherheit; für den politischen Meinungsaustausch mit dem Kongress und den technisch-wissenschaftlichen Bundesinstituten.

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie werden die Militärs allerdings aufgrund der Militarisierung des Gesundheitswesens direkt als mitverantwortlich für den Tod von Tausenden von Menschen in Brasilien gesehen. Nach der Entlassung zweier Gesundheitsminister und verschiedener Ärzt_innen, die sich geweigert hatten, das Arzneimittel Chloroquin für die Behandlung des neuen Coronavirus zu verschreiben, berief Präsident Bolsonaro General Eduardo Pazuello zum Interimschef des Gesundheitsministeriums.

Seit dem 15. Mai 2020 hat der General der Streitkräfte, der keinerlei Erfahrung im Gesundheitsbereich aufweisen kann, die Empfehlungen von Expert_innen ignoriert und eine Reihe von Veränderungen im Ministerium vorgenommen. Dazu zählt der Austausch von medizinischem Fachpersonal durch Militärangehörige ohne Erfahrung auf dem entsprechenden Gebiet sowie die Änderung medizinischer Protokolle des Ministeriums mit dem Ziel, Chloroquin und Hydroxychloroquin zur Behandlung von Covid-19 im gesamten Land zu empfehlen.

Was die Medikation betrifft, so spricht Bolsonaro weiterhin von einem Wundermittel gegen das Virus, auch wenn es dafür keine wissenschaftlichen Beweise gibt. Während seiner Erkrankung an Covid-19 war der Präsident bei diversen öffentlichen Auftritten zugegen und in Videos zu sehen, in denen er das Arzneimittel schwang wie eine Trophäe oder eine wundertätige Heiligenfigur. Abgesehen von dem Angriff auf die Wissenschaft sowie der Verbreitung öffentlicher, auf Fake Newsgestützter Politiken (etwas, das in der politischen Karriere Bolsonaros nicht neu ist) könnte das nachdrückliche Vorgehen des Präsidenten und seines Gesundheitsministers auch mit einem obskuren Interesse zusammenhängen, die Millionen von Chloroquin-Tabletten, die auf Anordnung des Präsidenten in den Laboratorien des Heeres hergestellt werden, in Umlauf zu bringen.

Abgesehen von der Möglichkeit, wegen Verschwendung öffentlicher Gelder durch die Herstellung eines Medikaments verurteilt zu werden, welches weder von Wissenschaftler_innen noch von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen wird, ermittelt die Staatsanwaltschaft bereits im Zusammenhang mit der Produktion des Medikaments durch das Heer wegen des Verdachts überhöhter Preise – was dem Präsidenten Sorgen macht, da er in diesem Fall ein Amtsenthebungsverfahren aufgrund strafrechtlicher Verantwortlichkeit befürchtet. Die brasilianische Gesundheitsbehörde ANVISA, ebenfalls unter dem Kommando eines Militärangehörigen, nämlich des Admirals Antonio Barra Torres, verändert die Protokolle, um den Erwerb von Medikamenten zu erleichtern, die der Präsident anpreist, wie es bei Ivermectin und Nitazoxanid der Fall war.

Neben den Maßnahmen, die sich gegen die nationale und internationale Wissensgemeinschaft richten, ist die Militarisierung des Gesundheitsministeriums auch wegen des Versuchs, die Zensur einzuführen, beunruhigend. Der Oberste Bundesgerichtshof (STF) sah sich gezwungen, das Ministerium aufzufordern, die offizielle Zahl der Todesfälle an Covid-19 wieder bekannt zu geben, was auf Anordnung von Gesundheitsminister General Pazuello eingestellt worden war. Bedienstete des Ministeriums hatten wiederholt eine Nachricht erhalten, in denen ihnen die Überwachung ihrer privaten sozialen Netzwerke mitgeteilt wurde. Sie waren verpflichtet worden, gemäß den Bestimmungen des Nationalen Sicherheitsgesetzes Verschwiegenheitserklärungen zu unterschreiben - eine Hinterlassenschaft der Militärdiktatur, die unter Bolsonaro immer wieder willkürlich als eine Möglichkeit heraufbeschworen wird, jedwede Kritik an dem Regierungschef und seiner Regierung zu verhindern.

Schließlich wurden Militärmissionen in den indigenen Reservaten beschuldigt das Coronavirus in einer ohnehin schon sehr vulnerablen Bevölkerung zu verbreiten. Aufgrund des negativen Echos war das Verteidigungsministerium während der Corona-Krise gezwungen, auf eine öffentlichkeitswirksame Pressemission in isoliert lebende Indigenengebiete, an der Politiker_innen, Journalist_innen und Militärs hätten teilnehmen sollen, zu verzichten. Dies verhinderte jedoch nicht, dass in verschiedenen Regionen Brasiliens Chloroquin-Vorräte an Indigene verteilt wurden.

Die Politisierung von Militärangehörigen ist in Brasilien ein stets wiederkehrendes Problem. Die durch die Streitkräfte unterstützte obskurantistische, unwissenschaftliche, reaktionäre und religiös geprägte Agenda Bolsonaros macht die Militärs jedoch zu Komplizen eines Regimes, dessen politische Ausrichtung viele, unter ihnen einige Richter_innen am Obersten Bundesgerichtshof (STF), als dem Völkermord und der Eugenik nahe stehend bezeichnen – etwas, das nicht einmal die 21 Jahre währende Militärdiktatur geschafft hat.

Lucas Pereira Rezende, PhD, ist Politikwissenschaftler, Professor an der Universidade Federal de Santa Catarina, im Jahr 2018 Visiting Fellow am German Institute for Global and Area Studies (GIGA)

Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Sarita Brandt

[1] Quilombolas sind die Einwohner_innen von Quilombos, Siedlungen gegründet von entflohenen schwarzen Sklaven. Die ersten Quilombos wurden in der Kolonialzeit gegründet (17. Jahrhundert). Sie hatten bestenfalls einen gewohnheitsrechtlichen Status. Viele Quilombos  wurden ab 2003 vom Staat zertifiziert. Bolsonaro hat sich wiederholt gegen die Einwohner_innen der Quilombos ausgesprochen. [Anmerkung der Übersetzer_in]

 


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