Referat Lateinamerika und Karibik

Hoffnungsträger oder Nachlassverwalter? Auf den neuen Präsidenten Perus warten große Herausforderungen

Nach dem Rücktritt seines Vorgängers liegt es nun an Martín Vizcarra, das Land durch Reformen aus der andauernden politischen Krise zu führen.

Standpunkt

von Astrid Becker, Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Peru

 

Das Ende der politischen Konfrontation, der verstärkte Kampf gegen Korruption und die Stabilisierung der politischen Institutionen – in seiner Antrittsrede hat der neue peruanische Präsident Martín Vizcarra ein ehrgeiziges Programm angekündigt. Vizcarra übernimmt das Amt nach Monaten der politischen Krise vom glücklosen Pedro Pablo Kuczynski (Partei Peruanos Por el Kambio, PPK), der Ende März seinen Rücktritt einreichte, um einer Amtsenthebung wegen „incapacidad moral“ (moralischer Untauglichkeit) zuvor zu kommen.

Nach den Präsidentschaftswahlen 2016 war die Hoffnung groß, dass Kuczynski mit seiner Regierungserfahrung als Wirtschafts- und Premierminister unter Präsident Alejandro Toledo sowie seiner Wirtschaftsexpertise als ehemaliger Investmentbanker und Lobbyist der Richtige sei, um die nach dem Ende der Rohstoffbooms schwächelnde Wirtschaft wieder anzukurbeln. Seine Strategie setzte allerdings einseitig auf verbesserte Konditionen für Großunternehmen und neue Investitionen im Bergbau, wobei die Unternehmensinteressen oft Vorrang vor öffentlichen Anliegen hatten. Kuczynski sah sich selbst wohl v. a. als Manager des „Unternehmens Peru“ und nicht als dem Gemeinwohl verpflichteter Politiker.

Das Leugnen von Verbindungen zwischen Firmen Kuczynkis und dem brasilianischen Baukonzern Odebrecht, gegen den auch in Peru wegen seines langjährigen Schmiergeldsystems ermittelt wird, war im Dezember 2017 Grund für das erste, jedoch erfolglose Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Kuczynski. Dieses Verfahren scheiterte im Kongress aufgrund der unerwarteten Enthaltung von zehn Mitgliedern der Fuerza Popular-Fraktion (FP) um den jüngeren Sohn des früheren Präsidenten Alberto Fujimori, Kenji.

Die von seiner älteren Schwester Keiko Fujimori geführte FP verfügte zuvor im Kongress mit 73 der 130 Mandate über eine einfache Mehrheit. Die Parteigründerin war in der Stichwahl um das Präsidentenamt Kuczynki nur knapp unterlegen und nutzte die FP zur systematischen Schwächung der Regierung, u. a. durch zahlreiche Untersuchungsausschüsse und Amtsenthebungsverfahren gegen verschiedene Minister_innen mit dem Ziel, Neuwahlen zu provozieren. Durch den Machtkampf zwischen Legislative und Exekutive beschäftigten sich die politischen Akteure zunehmend mit sich, ohne Lösungen für die drängenden Probleme der Menschen anzubieten.

Als weitere Untersuchungen auf Zusammenhänge zwischen Kontakten mit Odebrecht-Vertreter_innen und Vertragsabschlüssen für große Infrastrukturprojekte während Kuczynskis Ministerzeit schließen ließen, wurde im Februar ein zweites Amtsenthebungsverfahren eingeleitet. Dessen Ausgang war offen, bis kurz vor dem Anhörungstermin die in den sozialen Medien zirkulierenden sogenannten „Keiko-Videos“ für einen politischen Skandal sorgten: Gezeigt werden Verhandlungen über den Stimmenkauf eines FP-Abgeordneten zu Gunsten des Präsidenten. Im bearbeiteten Video bieten Mitglieder der Gruppe um Kenji Fujimori und ein Minister Manipulationen bei der Vergabe von großen Infrastrukturprojekten im Wahlkreis des Abgeordneten an. Nach Bekanntwerden des Videos schlug die Stimmung gegen Kuczynski endgültig um, und er erklärte, ebenso wie sein Kabinett, seinen Rücktritt, um die sichere Amtsenthebung zu vermeiden.

Für diesen Fall ist in der peruanischen Verfassung das Nachrücken des ersten Vizepräsidenten vorgesehen. Mit Martín Vizcarra ist erstmals ein Vertreter aus der Provinz statt aus der politischen Hauptstadtelite zum Präsidenten vereidigt worden. Bekannt wurde der 55-jährige Bauingenieur durch die erfolgreiche Arbeit als Gouverneur seiner Heimatregion Moquegua in Südperu, die er zu einer der wettbewerbsfähigsten Regionen des Landes machte. Fortschritte erzielte er dabei auch im Bildungswesen, in internationalen Untersuchungen wie PISA liegen die Schüler_innen aus Moquegua weit über dem nationalen Durchschnitt. Vizcarra ist kein Mitglied der PPK, sondern wurde als Unabhängiger von Kuczynski zu dessen Stellvertreter gemacht. Bis Mai 2017 war er Transport- und Kommunikationsminister, trat als solcher allerdings wegen Korruptionsvorwürfen um den Vertragsabschluss für einen neuen Flughafen in der Region Cusco zurück, um einer drohenden Amtsenthebung zu entgehen. Das Projekt in privat-öffentlicher Partnerschaft war bereits unter der Vorgängerregierung Ollanta Humalas verhandelt worden, kurz vor Vertragsabschluss wurde ein Anhang hinzugefügt, der nach Einschätzung der Rechnungsprüfer Kosten und Risiko einseitig auf den Staat verlagert. Um ihn aus der Schusslinie zu bekommen, schickte Kuczynski Vizcarra daraufhin als Botschafter nach Kanada.

Vizcarra übernimmt das Land nach einer monatelangen politischen Krise, und es ist offen, ob es ihm gelingen wird, sich gegen die Dominanz der FP im Kongress zu behaupten. Zwar hat die Partei durch das Ausscheiden der Gruppe um Kenji Fujimori ihre Kongressmehrheit verloren, sie dominiert aber weiterhin die zentralen Ausschüsse und Positionen im Parlament. Zudem wird Keiko alles versuchen, um die aus der Partei ausgetretenen Fraktionsmitglieder durch Nachrücker_innen aus ihren Reihen zu ersetzen. Gegen Kenji und die anderen Akteure der Videos wird strafrechtlich ermittelt, und es ist unklar, ob er sein Kongressmandat behalten kann. Der Familienzwist zwischen den Geschwistern Fujimori wird großen Einfluss auf die weiteren politischen Entwicklungen haben. Aktuell ist die Parteivorsitzende Keiko Fujimori im Vorteil, denn ihr Bruder Kenji ist nach den Videos politisch angeschlagen. Ganz abgeschrieben werden kann Kenji aber nicht, da er über möglicherweise relevantes Insiderwissen für die weiteren Ermittlungen gegen die Partei wegen Wahlkampffinanzierung durch den Odebrecht-Konzern und schwarzen Kassen verfügt.

Die eigene PPK-Fraktion wird dem Präsidenten wenig Rückhalt im Parlament geben, denn die Partei war v. a. als Wahlverein für Kucyznski konzipiert und verfügt weder über eine tragfähige Mitgliederbasis noch über eine gemeinsame Programmatik. Mit nur 18 Abgeordneten ist die Fraktion darüber hinaus zu klein, um die Regierungsarbeit effizient unterstützen zu können.

In seinen ersten öffentlichen Auftritten hat Vizcarra aber bereits deutlich gemacht, dass er die Nähe zur Bevölkerung und ihren Problemen sucht. Seine Regierung könnte Erfolg haben, wenn er die drängenden Probleme des Landes schon innerhalb der ersten 100 Tage in Angriff nimmt. Dazu gehören eine umfassende Strategie zu Bekämpfung der allgegenwärtigen Korruption und der Beginn einer umfassenden Reform des politischen Systems, u. a. durch die Erarbeitung eines integralen Wahl- und Parteienrechts. Bei diesen Themen ist der Konflikt mit der politischen und wirtschaftlichen Elite Perus unvermeidbar, gleichzeitig kann der neue Präsident hierbei auf die Unterstützung breiter Teile der Bevölkerung hoffen und so dazu beitragen, das Vertrauen in die Demokratie zu erneuern. Hierzu könnten auch die von Vizcarra angestrebten Maßnahmen zu Verbesserung der öffentlichen Sicherheit beitragen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern stellt Vizcarra eine Wirtschaftspolitik in Aussicht, die eine Produktionsdiversifizierung und die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen zum Ziel hat.

Die Bevölkerung hat das politische Drama Ende März überwiegend mit Apathie verfolgt, nur in Lima und einigen größeren Städten kam es zu relativ kleinen Demostrationen für Neuwahlen und einen politischen Neubeginn. „Que se vayan todos“ forderten die Demonstrant_innen und sprechen damit aus, was ein großer Teil der Bevölkerung denkt. Viel Zeit bleibt dem neuen Präsidenten also nicht, um Vertrauen für sich und sein Programm zu schaffen.


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