Interview Publikation Presseeinladung BRICS challenges and the Brazilian presidency of the bloc Bild: Urheber: © Ana Garcia BRICS challenges and the Brazilian presidency of the bloc Garcia, Ana Saggioro Zur Publikation Das Ziel der BRICS-Gruppe war nie, sich den Vereinigten Staaten und Europa entgegenzu-stellen, sondern als relevante Staaten des globalen Südens mit großen Ökonomien mehr Mitbestimmung sowie eine gleichwertige Vertretung in den bestehenden Institutionen zu erlangen. Das Interview mit Ana Garcia führte Gonzalo Berrón, wissenschaftlicher Mitarbeiter der FES Brasilien mit den Schwerpunktprojekten internationale Politik, nachhaltige Entwicklung, Medien und Kommunikation. 1- Welche Bedeutung haben die BRICS heute in der globalen Geopolitik und Wirtschaft? Die BRICS-Staaten entstanden im Kontext der globalen Finanzkrise von 2008 mit einer gemeinsamen Agenda zur Reform der internationalen Finanzinstitutionen und der internationalen Finanzordnung. Ihre Forderung war es nicht, neue Institutionen zu schaffen oder sich den Vereinigten Staaten und Europa entgegenzustellen, sondern einen Platz am international relevanten Tisch zu erhalten und mehr Mitbestimmung sowie Vertretung in den bestehenden Institutionen zu erlangen, die im Kontext des Endes des Zweiten Weltkriegs geschaffen worden waren, insbesondere im Internationalen Währungsfonds. Da diese Reformagenda jedoch bis heute weder mit der erforderlichen Geschwindigkeit noch in der erforderlichen Tiefe vorangekommen ist, traf sich die BRICS-Gruppe seit 2009 regelmäßig, während sich die internationale Politik in einer Weise entwickelte, die der Gruppe zunehmend an Gewicht und geopolitischer Bedeutung im internationalen System verschaffte. Im Jahr 2014 schufen die BRICS-Staaten eine alternative und gleichzeitig die bestehenden Institutionen ergänzende Einrichtung, die neue Entwicklungsbank. Sie schufen dabei eine Notfallreserve, welche die des IWFs ergänzen sollte, und zeigten damit, dass sie in der Lage waren, neue, von den Ländern des globalen Südens ausgehende Institutionen zu schaffen. Ein Moment, der die geopolitische Rolle der BRICS als Gruppe besiegelt, ist der Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022. In wirtschaftlicher und politischer Hinsicht führen der Aufstieg der extremen Rechten in mehreren Ländern und der Krieg in der Ukraine dazu, dass Russland und China als Gruppe mit viel größerem geopolitischem Gewicht auftreten und die BRICS in eine ausgleichende Position kommen, eine Gruppe also, die eine multipolarere, ausgewogenere und gerechtere Weltordnung anstrebt, verbunden mit Reformen des internationalen Finanzsystems. Selbst wenn einzelne BRICS-Staaten wie Brasilien, Indien und Südafrika eine reformistische Agenda haben, hat BRICS als Koalition letztlich ein relevantes geopolitisches Gewicht. 2- Wie können die BRICS zu einem kooperativeren Nord-Süd-Verhältnis beitragen? Diese Frage ist sehr wichtig. Zunächst haben die europäischen Länder die Existenz der BRICS ignoriert. Es gab allgemein die Vorstellung, dass diese Gruppe nicht lange Bestand haben würde: Sie ist sehr heterogen, es gibt wenig, was die Gruppe politisch und wirtschaftlich eint und es gibt interne Spannungen wie die zwischen Indien und China. Die Annahme war, dass sie nicht lange bestehen würde und dass man sie ignorieren könnte, auch, um das Hauptaugenmerk weiter auf China und auf Russland zu legen. Dennoch blieb die Gruppe bestehen und sie wurde und wird immer relevanter. Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Gruppe seit 16 Jahren jährlich aktiv ist, und zwar nicht nur auf dem höchsten politischen Niveau der Regierungschefs, sondern auch in verschiedenen Arbeitsgruppen (in den Bereichen Gesundheit, Energie, Klima usw.). Ein weiteres wichtiges Element ist, dass sich die BRICS vor dem Hintergrund des zunehmenden Handelsprotektionismus, des wirtschaftlichen Nationalismus und der Unberechenbarkeit der Vereinigten Staaten mit der neuen Regierung unter Donald Trump als eine Gruppe positionieren, die den Multilateralismus im Handel, das Funktionieren der Welthandelsorganisation, den seither existierenden Multilateralismus, weiterhin anstrebt. Dies steht im Einklang mit den Europäern, die ebenfalls den Multilateralismus und offene Handelsströme beibehalten wollen. Es ist also möglich, dass Europa seine Haltung ändert und die BRICS nicht mehr als Bedrohung ansieht - wegen des Mitgliedsstaats Russlands - sondern als potenziellen Partner, zum Beispiel bei der Aufrechterhaltung der globalen Handelsströme. Eine wichtige Möglichkeit der Zusammenarbeit bestände darin, dass insbesondere Europa in den BRICS das Potential einer Vermittlungsgruppe sieht, die einen Dialog mit Russland im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine tatsächlich erleichtern könnte. Anstatt Donald Trump im Alleingang diese Verhandlungen führen und ihn im Anschluss die Lorbeeren allein für sich reklamieren und ernten zu lassen, könnten wir über eine mögliche Verhandlung und Vermittlungsrolle durch die BRICS-Gruppe nachdenken, und Europa kann in einer sowohl kollaborativen als auch kooperativen Weise handeln - wenn Europa seine Sicht und Mentalität in Bezug auf die BRICS als eine relevante, wichtige und sehr attraktive Gruppe für die Länder des globalen Südens ändert. Abgesehen davon gibt es ja durchaus gemeinsame Interessen mit mehreren Ländern der BRICS-Gruppe: die Reform der multilateralen Finanzinstitutionen, die Agenda zum Klimaschutz, die auch ein gemeinsames Interesse der Europäer ist und die Reform der multilateralen Banken auch für die Klimafinanzierung. Also: verschiedene Agenden, die aus einer engeren Annäherung und nicht aus einer Verteufelung oder Ablehnung der Existenz der Gruppe heraus gedacht werden könnten. Ich möchte darauf hinweisen, dass heute sechs Mitglieder der BRICS auch Mitglieder der G20-Gruppe sind. Es ist auch schon aus diesem Grund ein sehr wichtiger Ort, der von den Ländern Europas und anderen Ländern des globalen Nordens als potenzieller Raum für den Dialog genutzt werden kann. Ziele, wie die Verwendung lokaler Währungen, die von den BRICS gefördert wird oder die Ent-Dollarisierung, das heißt die Erweiterung des monetären Raums für die Verwendung anderer Währungen als des Dollars sind ja auch für Europa von Interesse. Diese Initiativen der BRICS-Gruppe tragen auch zur zunehmenden Internationalisierung des Euro bei und damit einhergehend stärken sie Europa. 3- Welchen Beitrag leistet Brasilien und die brasilianische Präsidentschaft in diesem historischen Moment für den Block? Brasilien ist ein Gründungsmitglied der BRICS und betrachtet die BRICS als einen strategischen Raum. Trotz der abrupten Regierungswechsel (ein umstrittenes Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff oder die Wahl einer rechtsextremen Figur wie Bolsonaro) nimmt Brasilien weiterhin an den BRICS teil. Brasilien hat viele Interessen in der Gruppe: Handelsinteressen und die Nähe zu China, die sich aus dem Agrobusiness ergeben, politische und strategische Interessen in den Bereichen Technologie und Klima. Und auch das geopolitische Interesse, Teil eines Blocks relevanter Länder aus dem globalen Süden zu sein, der eine ausgewogenere und multilaterale internationale Ordnung anstrebt. Für Brasilien wäre dies kein sog. „antiwestlicher Block“, sondern vielmehr ein Block, der ein Gleichgewicht anstrebt und den Multilateralismus stärken möchte. Im Rahmen des Gipfeltreffens erhielt Brasilien von Russland eine sehr ehrgeizige Agenda: Von 2023 bis heute ist die Gruppe von fünf Gründungsmitgliedern auf elf Vollmitglieder angewachsen, mit der Aufnahme von Indonesien im Jahr 2025 und der Herausforderung, die Gruppe, die im Konsens mit diesen neuen Mitgliedern arbeitet, zu integrieren und zu leiten. Aus diesem Grund ist eine der wichtigsten Aufgaben Brasiliens die Institutionalisierung der BRICS, wobei es darum geht, zu verhandeln, wie interne Entscheidungen getroffen werden und welches die technischen, objektiven, aber auch politischen Kriterien für die mögliche Aufnahme weiterer Mitglieder neben den bereits aufgenommenen sind. Eine weitere Agenda, die von Russland kam, ist die Verwendung lokaler Währungen. Durch die Aufnahme dieser Agenda hat Brasilien eine Verschiebung hin zu der Notwendigkeit vorgenommen, den Schwerpunkt auf Handelserleichterungen zu legen. Weg von einer Betonung der Ent-Dollarisierung hin zu einer Handelsagenda, die weitgehend den Interessen des BRICS-Wirtschaftsrats dient. Was bedeutet das heute? Es bedeutet, dass die BRICS-Handelsströme im Wesentlichen Handelsströme mit China sind, und es ist von Relevanz, dass der Handel innerhalb der BRICS-Staaten über China hinaus, zwischen den anderen BRICS-Ländern, tatsächlich erleichtert wird. Es ist sehr wichtig, dass der Handel insoweit erleichtert werden muss, als er diese Entwicklung fördert, und nicht der Handel der Volkswirtschaften, die bereits stark benachteiligt sind, weiterhin benachteiligt. Zu guter Letzt möchte ich zum Schluss noch eine dritte Agenda erwähnen, die Klima-Agenda, die die BRICS-Staaten mit der COP30 verbindet und sich auf die Klimafinanzierung und alle Reformvorschläge zur Klimafinanzierung konzentriert. Ana, vielen Dank für das Gespräch.