Progressive Wirtschaftspolitik für Europa

Der European Green Deal in der Corona-Pandemie

von Miriam Dross und Claudia Kemfert



Mit dem European Green Deal hat die Europäische Kommission ein ambitioniertes Programm für eine Transformation der EU vorgelegt. Allerdings besteht die Gefahr, dass mit den umfangreichen Mitteln, die für eine Bekämpfung der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Rezession bereitgestellt werden, dauerhaft umweltschädliche Impulse gesetzt werden, insbesondere durch Investitionen in fossile Technologiepfade.

Der Amtsantritt der neuen Europäischen Kommission im Dezember 2019 war von Aufbruchstimmung geprägt: Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte einen Vorschlag für einen European Green Deal vor, den sie als „Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment“ bezeichnete. Allerdings brach wenige Wochen nach der Vorstellung des European Green Deals die Corona-Pandemie aus, die Europa vor erhebliche wirtschaftliche Herausforderungen stellt. Nachfolgend soll zunächst der European Green Deal vorgestellt und anschließend diskutiert werden, unter welchen Vorzeichen er angesichts der Corona-Pandemie umgesetzt werden kann.

European Green Deal als politische Strategie der Europäischen Kommission

Ziel des European Green Deals ist es, die europäische Wirtschaft so umzubauen, dass im Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt ist. Der European Green Deal stellt somit ein umfassendes Programm für eine nachhaltige Transformation des Wirtschaftens dar. Die Europäische Kommission stellt heraus, dass die Biodiversität wiederhergestellt, das Naturkapital der EU bewahrt sowie Gesundheit und Wohlergehen der Menschen vor umweltbedingten Risiken geschützt werden sollen. In einem Anhang zur Mitteilung der Kommission wird ein ambitionierter Fahrplan für die aus dem European Green Deal folgenden Gesetzgebungsmaßnahmen und Strategien präsentiert. Zentraler Baustein des European Green Deals ist der Vorschlag für ein Klimagesetz, das die Treibhausgasneutralität bis 2050 festschreiben soll, ergänzt durch einen „Klimapakt“, der Wirtschaft und Gesellschaft einschließt. Alle Politikinstrumente mit Klimabezug, insbesondere die Emissionshandelsrichtlinie und das Effort Sharing (Klimaschutzverordnung) sowie die Verordnung über Emissionen aus Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF), sollen überprüft werden. Um das Risiko der Verlagerung von Wirtschaftsaktivitäten und Emissionen ins Ausland (das sogenannte Carbon Leakage) zu verringern, soll für bestimmte Sektoren ein CO2-Grenzausgleichsystem eingeführt werden.

Bislang gab es auf europäischer Ebene kein Klimaziel für das Jahr 2050. Durch das Klimagesetz wird es jetzt erstmals geregelt. In ihrem „Climate Target Plan“ hat die Europäische Kommission Mitte September 2020 auf der Basis einer Folgenabschätzung zudem ein Klimaziel für 2030 von einer Reduktion von 55 Prozent gegenüber 1990 vorgeschlagen, das in den Entwurf des Klimagesetzes aufgenommen werden soll. In die Erfüllung dieses Ziels sollen Emissionsminderungen durch Senken in Landnutzung und Forstwirtschaft einbezogen werden. Der Emissionshandel soll auf die Emissionen des Gebäude- und Verkehrssektors ausgeweitet werden. Obwohl diese Ausrichtung der Strategischen Agenda 2019–2024 des Europäischen Rats entspricht, bleibt zu erwarten, dass eine Einigung unter den Regierungschefs und -chefinnen schwierig zu erreichen sein wird. Zudem fehlt bislang ein wirksamer Sanktionsmechanismus, mit dessen Hilfe die Kommission die Einhaltung der Ziele bei den Mitgliedstaaten durchsetzen könnte.

Eine EU-Industriestrategie soll die Transformation hin zur Treibhausgasneutralität unterstützen. Die Europäische Kommission hat zudem einen weiteren Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft vorgelegt, der eine umfassende Produktpolitik in den Mittelpunkt stellt, die bereits die Produktion von Produkten nachhaltiger ausgestalten soll.

Die Europäische Kommission plant eine „Renovierungswelle“ für private und öffentliche Gebäude, um Energieeffizienz und Erschwinglichkeit zu fördern. Vorgesehen ist, die Rechtsvorschriften über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden konsequent durchzusetzen, beginnend mit einer Bewertung der langfristigen nationalen Renovierungsstrategien der Mitgliedstaaten im Jahr 2020. Die Bauprodukteverordnung soll überarbeitet werden, sodass die Gestaltung neuer und renovierter Gebäude in allen Phasen den Erfordernissen der Kreislaufwirtschaft entspricht.

Im Bereich der Mobilität will die Kommission noch 2020 eine „Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität“ verabschieden. Sie soll auch die Multimodalität fördern. Es wird unter anderem angestrebt, 75 Prozent des Güterbinnenverkehrs auf Schienen und Binnenwasserstraßen zu verlagern. Ein Lösungsansatz wird auch in der automatisierten und multimodalen Mobilität gesehen, durch die Staus und Umweltverschmutzung vermieden werden sollen. Konkreter ist demgegenüber der Vorschlag, Subventionen für fossile Brennstoffe, insbesondere die Steuerbefreiungen für Luft- und Seeverkehrskraftstoffe, abzuschaffen. Vorgesehen ist, den europäischen Emissionshandel auf den Seeverkehr auszuweiten und den Luftverkehrsunternehmen weniger kostenlose Zertifikate zuzuteilen. Beide Maßnahmen müssen auch mit der globalen Ebene koordiniert werden. Um wirksame Straßennutzungsgebühren zu erreichen, soll das Ambitionsniveau der vorgeschlagenen Änderung der Eurovignetten-Richtlinie 2006/38/EG erhalten bleiben. Eine wichtige Rolle soll alternativen Kraftstoffen zukommen. Die Kommission will die Einrichtung öffentlicher Ladestationen und Tankstellen dort unterstützen, wo nach wie vor Lücken bestehen, insbesondere im Langstreckenverkehr und in weniger dicht besiedelten Gebieten. Geplant sind auch strengere Grenzwerte für Luftschadstoffe und CO2-Emissionen für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor.

Von großer Bedeutung ist die im Mai 2020 erfolgte Konkretisierung des European Green Deals im Hinblick auf Naturschutz und Landwirtschaft durch die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (Farm-to-Fork-Strategy) sowie die EU-Biodiversitätsstrategie bis 2030. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) stand in der Vergangenheit stark in der Kritik, unter anderem vom EU-Rechnungshof. Die Farm-to-Fork-Strategy soll die Umstellung auf ein nachhaltiges Lebensmittelsystem ermöglichen. Ziel ist es, die Abhängigkeit von Pestiziden und antimikrobiellen Mitteln zu verringern, den übermäßigen Einsatz von Düngemitteln zu reduzieren, den ökologischen Landbau zu intensivieren, den Tierschutz zu verbessern und den Verlust an biologischer Vielfalt rückgängig zu machen. Ein geplanter Aktionsplan für die ökologische Landwirtschaft hat zum Ziel, dass bis zum Jahr 2030 mindestens 25 Prozent der land- wirtschaftlichen Flächen in der EU ökologisch bewirtschaftet werden. Ein weiterer Schwerpunkt der Farm-to-Fork-Strategy ist die Verringerung der Lebensmittelverschwendung.

Diese Zielsetzungen spiegeln sich bislang nicht in derzeit vorliegenden Verhandlungspositionen zur GAP ab 2023 wider. Ein Großteil der Zahlungen an die Landwirt_innen soll weiterhin an die Flächengröße, aber nicht hinreichend an ökologische Kriterien gekoppelt werden. Die GAP kann damit nach derzeitigem Stand nicht ausreichend zur Umsetzung der Strategien und damit zum European Green Deal beitragen.

Weitere wichtige Aspekte des European Green Deals betreffen Schadstoffe (Null-Schadstoff-Ziel für eine schadstoff- freie Umwelt), eine neue Forststrategie und die Förderung einer nachhaltigen blauen Wirtschaft.

Zur Finanzierung des European Green Deals sollten nach Ankündigung der Europäischen Kommission bis 2030 1 Billion Euro mobilisiert werden. Ende 2019 hatte die Europäische Kommission dies in einem Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa (European Green Deal Investment Plan) ausgeführt. Diese Summe enthielt Ausgaben im Rahmen des langfristigen EU-Haushalts, von denen nach Beschluss des Rates im Juli 2020 nunmehr 30 Prozent für klimabezogene Zwecke verwendet werden sollen, einschließlich geschätzter 39 Milliarden Euro für Umweltausgaben. Neben den EU-Mitteln für Klimaschutz und Umweltpolitik deckte der Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa auch die Finanzhilfen des „Mechanismus für einen gerechten Übergang“ (Just Transition) ab, mit denen die vom Übergang am stärksten betroffenen Regionen unterstützt werden sollen. Allerdings ist der ursprüngliche Investitionsplan des European Green Deals durch die Corona-Pandemie teilweise obsolet geworden.

Aber auch die nationalen Haushalte sollen nach der Vorstellung der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle für den European Green Deal spielen. Vorgesehen ist der verstärkte Einsatz von Instrumenten für die umweltgerechte Haushaltsplanung, die dazu führen sollen, dass sich öffentliche Investitionen, Verbrauch und Besteuerung besser auf ökologische Prioritäten ausrichten lassen und umweltschädliche Subventionen abgeschafft werden. In diesem Rahmen soll auch das sogenannte Europäische Semester – ein Mechanismus zur Koordinierung der Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitiken der Mitgliedstaaten – stärker auf die Nachhaltigkeitsziele ausgerichtet werden.

European Green Deal unter dem Vorzeichen der Corona-Pandemie

Durch die Corona-Pandemie steht der European Green Deal nunmehr unter anderen Vorzeichen als von der Europäischen Kommission geplant. Durch die Pandemie und das Herunterfahren des öffentlichen Lebens ist die Konjunktur massiv eingebrochen. Die Europäische Kommission schätzt, dass das Bruttoinlandsprodukt der Mitgliedstaaten im Jahr 2020 um 8,7 Prozent zurückgehen wird. Zudem droht die zweite Welle die wirtschaftlichen Auswirkungen noch einmal deutlich zu verschärfen.

Am 10.11.2020 haben sich das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedstaaten im Rat auf ein umfassendes Finanzpaket in Höhe von 1,8 Billionen Euro geeinigt. Dieses umfasst den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2021–2027 in Höhe von 1,074 Billionen Euro und das befristete Aufbauinstrument Next Generation EU in Höhe von 750 Milliarden Euro. Am umfangreichsten ist die Aufbau- und Resilienzfazilität, für die 312,5 Milliarden Euro als Finanzhilfen und 360 Milliarden Euro als Darlehen bereitgestellt werden. Für diese müssen die Regierungen in nationalen Wiederaufbauplänen darlegen, wie die Investitionen zu Wachstum, Digitalisierung und Umweltschutz beitragen. Weitere Mittel stehen unter anderem für die Entwicklung des ländlichen Raums und Horizont Europa, das Investitionsprogramm für Forschung und Innovation, zur Verfügung. Das Parlament hat erreicht, dass innerhalb des MFR Programme wie zum Beispiel Horizont Europa, aufgestockt wurden.

Die Klimaziele sollen in allen Strategien und Programmen, die über den MFR und Next Generation EU finanziert werden, berücksichtigt werden. Immerhin 30 Prozent der Mittel sollen für den Klimaschutz eingesetzt werden. Damit ist der Anteil der Mittel, die der Dekarbonisierung zugutekommen sollen, um fünf Prozent aufgestockt worden. Die Ausrichtung des Wiederaufbauplans soll dem Prinzip aus dem European Green Deal, „keinen Schaden anzurichten“ (do no harm), Rechnung tragen. Allerdings fehlt es bislang an konkreten Vorgaben für die Mittelvergabe. Auch wenn es durchaus umstritten ist, wie hoch der Finanzierungsbedarf für die Erreichung der Klimaziele genau ist, handelt es sich doch nach überwiegender Auffassung um erhebliche Summen, die durch die Konjunkturhilfen nicht erreicht werden. Allein für eine klimafreundliche Energieinfrastruktur in der EU könnten 180 Milliarden Euro pro Jahr bis zum Jahr 2030 benötigt werden. Die Kommission schätzt, dass zur Verwirklichung des ursprünglichen Klimaziels für 2030 zusätzliche Investitionen in Höhe von 260 Milliarden Euro jährlich erforderlich sind. Die Agora Energiewende errechnet sogar einen klimabezogenen Investitionsbedarf in Höhe von 2,4 Billionen Euro von 2021 bis 2027 bzw. 349 Milliarden Euro pro Jahr.

Fazit

Jetzt bevorstehende Investitionen müssen unbedingt zielgerichtet in grüne Technologien erfolgen. Nur das ist auch ökonomisch sinnvoll, weil es sich um Wachstumsbranchen handelt. Um sicherzustellen, dass dies der Fall ist, sollte deshalb eine verbindliche Verknüpfung mit den in der EU-Taxonomie vorgesehenen Zielen erfolgen, nach Möglichkeit, indem eine genaue Liste von förderfähigen Aktivitäten entwickelt wird. In jedem Fall müssen auch für die anderen vom European Green Deal verfolgten Ziele Mittel bereitgestellt werden; außerdem muss vermieden werden, dass im Zuge der wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Pandemie nicht nachhaltige und umweltschädliche Impulse gesetzt werden, insbesondere Investitionen in fossile Technologiepfade, wie es jetzt bei möglichen Investitionen durch den Just Transition Fund droht. Die vorgesehene Kontrolle der Recovery-Programme der Mitgliedstaaten durch die Europäische Kommission und den Rat sollte sich auch darauf erstrecken. Auch wenn die Treibhausgasemissionen kurzfristig zurückgehen, ist nach den Erfahrungen der Finanzkrise davon auszugehen, dass der Rückgang in der Folge überkompensiert werden wird. Der European Green Deal hat somit durch die Corona-Pandemie nichts an seiner Bedeutung eingebüßt, sondern muss mit den Konjunkturprogrammen auch in ihrer konkreten Umsetzung verknüpft werden. Bei der konkreten Verwendung der Mittel sind die Mitgliedstaaten gefordert, diese zugunsten von Klima- und Umweltschutz zu verwenden.
 

Dieser Text ist als WISO direkt erschienen, Quellenverweise und Anmerkungen sowie das Literaturverzeichnis finden Sie hier:

 


Über die Autorinnen

Miriam Dross LL.M. ist Juristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Sachverständigenrat für Umweltfragen.


 

Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Professorin an der Leuphana Universität Lüneburg sowie Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Seit 2016 ist sie Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen.


Die im Beitrag zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.

 

 


Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik

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