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Nachbericht | Präsidentschaftswahlen in Frankreich - Ausgangslage und Erwartungen


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Macron vor Wiederwahl? „Viel deutet auf Kontinuität und nicht auf Umbruch“

Mitten im Ukraine-Krieg nach Russlands Angriff auf seinen Nachbarstaat bedeuten die Präsidentschaftswahlen eine wichtige Weichenstellung für Europas künftige Architektur. Vor dem ersten Wahlgang am 10. April gilt Amtsinhaber Emmanuel Macron zwar als Favorit, doch rechnen Beobachter_innen mit seiner Wiederwahl wie bereits bei seinem Wahlsieg 2017 erst bei einer Stichwahl zwei Wochen später mutmaßlich gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen.

Die Rückkehr des Krieges nach Europa hat der Wahl fraglos zusätzliches Gewicht verliehen. Schon vor Russlands Einmarsch in die Ukraine jedoch hat der Urnengang in der „Grande Nation“ als Meilenstein für die Stabilität des freien Europas und seiner weiteren Ausrichtung auf sicherheitspolitischer Ebene gegolten. Zudem wird der Wahl vielerorts auch ein hoher Stellenwert als Stimmungstest für die Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 beigemessen.

Macron profitiert bei seiner Kandidatur für eine zweite Amtszeit im Elysée-Palast in den vergangenen Wochen natürlich enorm von seinem Imagegewinn durch die im Ukraine-Krieg notwendige Rolle als internationaler Krisenmanager und Anführer seines Landes in stürmischer Zeit. Doch obwohl die Begeisterung für seine Bewegung „En marche“ nach dem triumphalen Erfolg vor fünf Jahren inzwischen spürbar nachgelassen hat, ist der Staatspräsident auch Nutznießer der innenpolitischen Zerrissenheit und eines fragmentierten Parteiensystems besonders im linken wie auch im rechten Spektrum.

In der Online-Diskussion „Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Ausgangslage und Erwartungen“ erörterten Expert_innen auf Einladung des Informationsnetzwerkes Europe Direct und des Landesbüros NRW der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) den Wahlkampf in Deutschlands Nachbarland nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Freundschaft zwischen beiden Staaten. Die französische Gastdozentin Dr. Elise Julien von der Bergischen Universität Wuppertal und Dr. Thomas Manz, Leiter des Pariser FES-Büros, paarten ihre fachliche Innenansicht von Frankreich mit einer Einordnung französischer Positionen in einen europapolitischen Zusammenhang.

Die Bedeutung der bevorstehenden Wahl des nächsten Staatsoberhauptes in Frankreich für den Kontinent betonte auch schon Sohel Ahmed für das NRW-Büro der FES bei seiner Begrüßung der Diskussionsteilnehmer. „Für Deutschland und die deutsche Politik wird wichtig sein, wer in Frankreich die ausgerufene Zeitenwende in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Rahmen der deutsch-französischen Freundschaft und der Europäischen Union umsetzt“, sagte Ahmed zum Stellenwert der „Wahl im Schatten des Krieges“.

Wie sehr der tobende Konflikt um die Ukraine den Wahlkampf tatsächlich weitgehend bestimmt, verdeutlichte Manz in seinem anschließenden Impulsvortrag. „Nie zuvor fanden in Frankreich Wahlen in einer internationalen Krise solcher Tragweite statt. Der Wahlkampf hat dadurch ungleiche Bedingungen bekommen, weil sich der Amtsinhaber öfter als in normalen Zeiten auf internationaler Bühne präsentieren kann und muss. Aber auch die Themen im Kampf der insgesamt zwölf Kandidat_innen um die Wählerstimmen haben sich verschoben“, berichtete der Frankreich-Kenner. Schon seien immer häufiger Stimmen zu hören, die wegen des kaum stattfindenden Wettstreits der Ideen und Programme dem voraussichtlichen Wahlsieger Macron Legitimationsprobleme prophezeien.

Zumal die Stimmabgabe in einem politischen Spannungsfeld erfolgt. Im Parteiensystem sei das traditionelle Duopol aus Sozialisten und Republikanern durch den Einbruch von Macrons weder links noch rechts einzuordnende En-marche-Bewegung des Fortschritts in die Strukturen durch die neuen Pole um die Progressiven und die Rechtspopulisten ersetzt worden. Sozialisten und Republikaner hingegen hätten ihren Macht- und Einflussverlust nicht aufhalten können, schilderte Manz die allgemeinen Rahmenbedingungen. Zudem sei die allgemeine Stimmung von einer großen Luft zwischen Bürgern und Politik und damit von einem enormen Misstrauen der Bürger gegenüber ihren Politiker_innen geprägt.

Manz erwartet für die „besonders wichtigen Wahlen in einer Situation, in der die Herausforderungen an ein einiges, starkes und souveränes Europa groß sind“, einen Erfolg des Amtsinhabers. „Obwohl es in der französischen Gesellschaft brodelt, deutet vieles auf Kontinuität hin und nicht auf Umbruch“, leitete der FES-Vertreter in Frankreich die Begründung für seine Prognose ein: Für Macron würden sich nunmehr die massiven Corona-Staatshilfen in Milliardenhöhe für die Wirtschaft und sozial Bedürftige ebenso auszahlen wie erst jüngst seine Maßnahmen gegen die explodierenden Energiepreise: „Das hat“, so Manz, „zu Zufriedenheit mit seinem Krisenmanagement und generell, auch seiner Amtsführung geführt. Er hat auch Vertrauen zurückgewonnen, indem er den Beschützer der Nation gibt.“

Weiter analysierte Manz, dass Macron durch seine „Mischung aus gesellschaftspolitischem Progressivismus einerseits und wirtschaftspolitischem Liberalismus andererseits mit einer pro-europäischen Grundierung“ seine Wählerschaft gehalten habe und weiter überall einsammele durch den Versuch, in einer „einzigen Partei eine Ampelkoalition zu bilden“.

Zugute kommt Macron laut Manz auch die „erschreckende“ Zersplitterung der Opposition. Die Rechte sei nicht zuletzt durch Le Pens „Entdämonisierungskurs“ ihres Rassemblement Nationale durch vermeintliche Lösungen für Alltagsprobleme der kleinen Leute statt radikaler Parolen gespalten. Gleiches gelte für die Linke, die mit vielen Kandidat_innen ohne programmatische Geschlossenheit durch einen „Krieg der Egos“ aus Sicht von Manz ein desolates Bild abgebe. Nicht von ungefähr hätte Macrons Vorgänger Francois Hollande für die Zeit nach der Wahl seine Beteiligung an einem Rekonstruktionsprozess der Linken angekündigt.

Vor diesen Hintergründen würde Macron zwar nicht mehr als „Kandidat des Wagemutes für eine Revolutionierung des Systems“ Stimmen abschöpfen, sondern als „Kandidat der Sicherheit und des Vertrauens“, meinte Manz und resümierte: „Die Stimmabgabe für Macron wird eine ohne Begeisterung und aus Alternativlosigkeit.“

Dieser grundsätzlichen Einschätzung schloss sich Julien im nachfolgendenden Meinungsaustausch mit Manz unter der Moderation von Gwendolin Jungblut an. Nach Ansicht der Historikerin ist für den Fall von Macrons Bestätigung im Amt aufgrund des Regierungswechsels in Berlin eine Wiederbelebung des deutsch-französischen Antriebs für Europa gerade auf Themenfeldern, die durch den Ukraine-Krieg urplötzlich an enormer Bedeutung gewonnen haben, zu erwarten: „In Bezug auf Macrons Vorschläge in seiner Sorbonne-Rede für eine gemeinsame Truppe und einen gemeinsamen Verteidigungshaushalt in Europa besteht zwischen beiden Regierung Einigkeit, die fortgeführt werden könnte. Wenn Macron gewinnt, sind die Chancen gut, dass eine europäische Sicherheitspolitik von Frankreich und Deutschland vorangetrieben wird.“

Manz sprach in diesem Zusammenhang sogar von großen Erwartungen der Franzosen an den neuen Bundeskanzler Olaf Scholz. „Frankreich hofft, dass Deutschland seine geopolitische Verantwortung nicht mehr nur auf die Außenpolitik alleine beschränkt sieht, sondern ein etwas aktiverer Partner beim Aufbau eines Europas auch der Verteidigung wird, nachdem Angela Merkel bis zum Regierungswechsel viel europäischen Wagemut vermissen lassen hatte“, meinte Manz.

Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland machten Julien und Manz übereinstimmend besonders auch in der nun ebenfalls relevant gewordenen Energiepolitik aus. „Für Frankreich ist mit der Nutzung von Kernenergie auch die Frage nach nationaler Unabhängigkeit verbunden“, verdeutlichte Julien. Manz relativierte allerdings: „Es gibt ja auch schon Bestrebungen der Franzos_innen, dass auch die EU energiepolitisch souveräner werden soll. Außerdem will auch Macron schnell auf erneuerbare Energien umstellen.“

Die Besetzung auch dieses Themas durch den amtierenden Präsidenten statt durch die Linke stellte Manz auch nochmals nachdrücklich als Zeichen der Schwäche im linken Lager dar. „Die Linke hat Macrons Einbruch ins Parteiensystem noch immer nicht verdaut und hat noch immer keine Antwort. Der Diskurs ist nicht auf die Rückgewinnung der traditionellen Wählerschaft ausgerichtet“, erklärte der Frankreich-Experte.

Perspektivisch halten sowohl Julien als auch Manz eine wachsende Bedeutung der Achse Paris-Berlin für Europa für möglich. „Mit jedem anderen Präsidenten als Macron wäre Frankreich ein Hindernis für die Stärkung Europas. Aber mit Macron sehe ich sowohl bei der EU und auch bei der NATO Anknüpfungspunkte, dass Frankreich und Deutschland vorangehen könnten. Macron hat ja kurz nach Kriegsausbruch mit Europas Resilienz auch schon ein gutes Thema gefunden, das beide ausbauen könnten“, meinte Manz. Julien sieht darüber hinaus weitere Möglichkeiten, dass die deutsch-französische Freundschaft wieder zum Motor Europas werden kann: „Im Bereich der besseren Lebensbedingungen oder auch der demokratischen Entwicklung der Institutionen können beide Länder einiges tun, damit sich die Bürger_innen noch besser angesprochen fühlen können.“

 

Dietmar Kramer, Journalist

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