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Novemberrevolution

Dieser Beitrag von Dr. Bernd Braun erschien 2012 und war Teil des Projekts "Erinnerungsorte der Sozialdemokratie".

Am 4. November 1918 löste die Meuterei der Matrosen der deutschen Kriegsflotte in Kiel und Wilhelmshaven die Novemberrevolution in Deutschland aus. Wie Dominosteine fielen in den kommenden Tagen die zivilen und militärischen Strukturen in den Städten zusammen und wurden durch Arbeiter- und Soldatenräte ersetzt. Fünf Tage später, am 9. November 1918, erreichte diese revolutionäre Welle Berlin, wo die beiden Parteivorsitzenden der SPD, Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann, Umwälzungen von wahrhaft historischer Dimension in die Wege leiteten.

Vom Reichstagsgebäude aus verkündete Philipp Scheidemann die Deutsche Republik und besiegelte damit das Ende des Kaiserreichs und weiterer 23 Monarchien in den deutschen Einzelstaaten. Friedrich Ebert übernahm die Amtsgeschäfte vom letzten kaiserlichen Reichskanzler Max von Baden und trat am nächsten Tag in den aus jeweils drei Vertretern von SPD (Ebert, Scheidemann und Otto Landsberg) und USPD (Hugo Haase, Wilhelm Dittmann und Emil Barth) gebildeten Rat der Volksbeauftragten ein, der bereits mit seinem ersten Aufruf vom 12. November zentrale politische und soziale Reformen umsetzte. In dieser Magna Charta der Novemberrevolution wurde unter anderem beschlossen: eine Demokratisierung des Wahlrechts (Frauenwahlrecht, Verhältniswahlrecht, Absenkung des Wahlalters von 25 auf 20 Jahre), eine Demokratisierung der Arbeitsbeziehungen (Abschaffung der Gesindeordnungen, Gleichberechtigung der Landarbeiter), die Stärkung der Freiheitsrechte (Abschaffung der Zensur, volle Meinungs- und Versammlungsfreiheit) und als wichtigste soziale Errungenschaft die Einführung des achtstündigen Maximalarbeitstags.

Die sozialdemokratische Revolutionsregierung musste so schwierige Probleme bewältigen wie keine andere Regierung in der deutschen Geschichte. So mussten als erster Schritt zur Demobilmachung die vier Millionen deutsche Soldaten, die noch auf besetztem Territorium von Frankreich und Belgien standen, innerhalb weniger Tage friedlich nach Deutschland zurückgeführt werden, die Kriegswirtschaft musste auf Friedenswirtschaft umgestellt und die Ernährungslage der hungernden Bevölkerung verbessert werden. Außerdem wurden mit den auf den 19. Januar 1919 angesetzten Wahlen zur Verfassunggebenden Nationalversammlung die Weichen für ein demokratisches Deutschland gestellt. Dies alles geschah in nur 72 Tagen. Die in Weimar zusammengetretene Nationalversammlung erarbeitete dann bis August 1919 die bis heute freiheitlichste Verfassung in der deutschen Geschichte, deren Verabschiedung die revolutionäre Übergangsphase endgültig beendete.

Wenn die Novemberrevolution heute nicht nur aus dem historiografischen Gedenkkanon, sondern auch aus dem kollektiven Gedächtnis der SPD wie der deutschen Nation insgesamt fast völlig verschwunden ist, dann gibt es vor allem drei Ursachen dafür. Hitler wollte durch seinen Marsch auf die Feldherrnhalle am 9. November 1923 und die Schändung der jüdischen Gotteshäuser am 9. November 1938 den Tag der „Novemberverbrecher“, wie er es nannte, überlagern und auslöschen. Dies ist ihm weitgehend gelungen. Zweitens haben die DDR und ihre Geschichtsschreibung die aus ihrer Sicht verratene Revolution für das Scheitern der Weimarer Republik verantwortlich gemacht. Dieser Position haben sich nicht wenige westdeutsche Publizisten angeschlossen, als Prominentester Sebastian Haffner. Außerdem hat die Öffnung der Berliner Mauer, die zufällig auf den 9. November 1989 fiel und von der Politik als Ergebnis der „einzigen erfolgreichen Revolution in der deutschen Geschichte“ definiert wurde, die Ereignisse im November 1918 gleich doppelt in die Defensive gedrängt. Insofern stellt die Novemberrevolution das vielleicht eklatanteste Beispiel dafür dar, wie wenig die Sozialdemokratie als geschichtsträchtigste Partei in Deutschland in der Lage ist, mit ihrem historischen Kapital zu wuchern.


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