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Als Hermann Scheer, der als „pragmatischer Visionär“ in Sachen Erneuerbare Energien gilt, 2010 starb, übernahm das Archiv der sozialen Demokratie Unterlagen aus seinem Büro bei der SPD-Bundestagsfraktion. Das Material umfasste neben Aktenordnern auch eine umfangreiche Hängeregistratur und sehr viel loses Material.
In den letzten beiden Jahren konnte dieser anspruchsvolle Bestand archivwissenschaftlich bearbeitet und erschlossen werden. Dadurch ist der Nachlass nun für die Forschung nutzbar. Nach der Aussonderung von gesammeltem Info- und Hintergrundmaterial zeigte sich, dass neben Korrespondenz, Reise- und Sachakten vor allem seine Manuskripte aus fast vier Jahrzehnten politischer Tätigkeit lückenlos überliefert sind.
Reden, Vorträge, Pressemitteilungen und zahllose Artikel,viele in Frankfurter Rundschau und Frankfurt Allgemeinen Zeitung veröffentlicht, zeichnen den Lebensweg Hermann Scheers akribisch nach: Was mit seinem politischen Engagement während des Studiums begann, führte über die Jusos und sein Interesse an sozialdemokratischer Programmatik zunächst in die Regionalpolitik Waiblingens, seinem Wahlkreis seitdem er 1980 Mitglied des Deutschen Bundestages geworden war. Dann entwickelte sich Abrüstungspolitik zu seinem neuen Arbeitsschwerpunkt: 1982 wurde er zum Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Abrüstung und Rüstungskontrolle ernannt. Ab 1990 leitete er den Unterausschuss Abrüstung und Rüstungskontrolle des Deutschen Bundestages.
Scheers Politik mündete schließlich in seinen international viel beachteten Einsatz für die Nutzung von Erneuerbaren Energien weltweit. 1999 wurde ihm hierfür der alternative Nobelpreis verliehen. Bereits 1988 hatte er die gemeinnützige Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien (EUROSOLAR) gegründet und auch die Gründung der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (IRENA), 2009 in Bonn, wäre ohne Hermann Scheers jahrzehntelange internationale Vorarbeit nicht denkbar gewesen.
Der noch jungen Partei DIE GRÜNEN hatte Scheer zunächst skeptisch gegenübergestanden, da er die Erschließung und Bewirtschaftung von alternativen Energieträgern als einen Kernauftrag seiner eigenen Partei ansah. Viele Projekte und Gesetzesvorhaben wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 setzten beide Parteien, insbesondere zwischen 1998 und 2005, dann doch gemeinsam um. Auch Projekte wie das Stromeinspeisungsgesetz (1990) oder das 100.000-Dächer-Programm, Teil des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, tragen unmissverständlich Scheers Handschrift. Seine Visionen von ökologischer Energiewirtschaft lange vor der Jahrtausendwende haben heute mit allgegenwärtiger Wind- und Sonnenenergie oder Elektroautos selbstverständlichen Eingang in unseren Alltag gefunden.
Scheer mochte die Debatte und scheute nicht den Konflikt. Er kritisierte die Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG, warnte vor der NATO-Osterweiterung, gegen die er zeitlebens Vorbehalte hatte, und distanzierte sich vom NATO-Bundeswehreinsatz im Kosovo-Konflikt. Alle diese Themen, Scheers Vorstellungen von und seine Arbeit an einer lebenswerten Zukunft für alle lassen sich an Hand seines Nachlasses nachzeichnen.
Christine Bobzien
Literatur von und über Hermann Scheer finden Sie in unserem Bibliothekskatalog.
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