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„Unsere Louise“: die Berliner Oberbürgermeisterin Louise Schroeder

The New York Times und The Observer lobten sie in den höchsten Tönen, selbst Der SPIEGEL zollte ihr Respekt. In schwersten Krisenzeiten wurde Berlin von einer Frau regiert: Louise Schröder war vom 8. Mai 1947 bis zum 14. Januar 1949 amtierende Oberbürgermeisterin in der vom Krieg und von der Blockade gebeutelten Stadt.

Bild: Amtierende Oberbürgermeisterin von Berlin Louise Schroeder, 1948. von Telegraf/AdsD

„Eine kleine, gebrechliche Frau im vorgerückten Alter“

„Niemals hat bis jetzt eine deutsche Frau eine so wichtige Stellung innegehabt, noch wurde jemals eine Stadt von vergleichbarer Größe irgendwo in der Welt von einem Mitglied des ‚zarten Geschlechts‘ verwaltet … Da, wo Männer aller Parteien Fehlschläge erlitten, gelang es ihr Erfolge zu erzielen“, urteilt The New York Times im Mai 1948.

Und im Juli 1948 schreibt The Observer: „Unter allen deutschen Männern und Frauen, die im belagerten Berlin den Kampf für die Freiheit und die Demokratie aufgenommen haben, gibt es niemanden, der tapferer, bescheidener und gütiger kämpft, als Frau Louise Schroeder …“

Die solcher Art Gelobte ist zu dem Zeitpunkt 61 Jahre alt – eine „kleine, gebrechliche Frau im vorgerückten Alter“. Dass sie keine „regenschirmbewaffnete, zeternde Frauenrechtlerin“ ist, sondern „nie aufhörte, eine Frau zu sein und als Frau zu empfinden“ scheint zu ihrem positiven Image beizutragen. Man lobt ihre „bescheidene und ruhige Art“ und ihr „gütiges und kluges Gesicht“, ihren „grauhaarigen Charme“. Gleichwohl bringt Louise Schröder sozialdemokratischen „Stallgeruch“ und fast 40 Jahre Erfahrung in der Politik mit.

Parteiarbeit, Soziale Arbeit, parlamentarische Arbeit

Sie wird am 2. April 1887 in Altona-Ottensen in eine Arbeiterfamilie hineingeboren; der Vater Wilhelm Schroeder ist Bauhilfsarbeiter, Gewerkschafter und aktiver Sozialdemokrat. Nach Abschluss der Schule 1902 arbeitet sie als Stenotypistin bei einer Versicherung; sie erlernt Fremdsprachen, besucht Abendkurse und nutzt ihre freie Zeit zum Selbststudium. 1910 tritt sie in die SPD ein. Ab 1918 arbeitet sie im Altonaer Fürsorgeamt – und soziale Arbeit wird ihr Lebensthema bleiben. 1919 gründet sie mit Marie Juchacz und anderen Frauen die Arbeiterwohlfahrt (AWO), wird zunächst Vorstandsmitglied in Altona, dann Vorsitzende des Ausschusses für Arbeiterwohlfahrt in der Provinz Schleswig-Holstein. Ab 1928 unterrichtet sie als Dozentin für Sozialpolitik an der Wohlfahrtsschule der AWO in Berlin. Alle diese Ämter enden jäh mit der Machtübernahme der NSDAP 1933 – wie auch ihr Mandat als Reichstagsabgeordnete.

Denn bereits 1919 zieht sie mit 32 Jahren für die SPD als eine der jüngsten von 37 weiblichen Mitgliedern in die Verfassunggebende Nationalversammlung ein und bleibt anschließend bis 1933 ununterbrochen Reichstagsabgeordnete. Auch hier liegt der Schwerpunkt ihrer Arbeit auf der Sozialgesetzgebung: Sie kämpft für verbesserte Maßnahmen zum Mutterschutz, Kinderschutz, zur Jugendgerichtsbarkeit oder Säuglingsfürsorge. Im besonderen Maße setzt sie sich für die Gleichbehandlung unehelicher Kinder und lediger Mütter ein – vor allem auch gegen deren Diskriminierung im Beamtenrecht.

1933 votiert Louise Schröder mutig gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz – und ist kurze Zeit später arbeitslos und ohne Einkommen. Sie steht unter ständiger Beobachtung der Gestapo, versucht mit einem kleinen Brotladen in Altona ihren Lebensunterhalt zu verdienen. 1938 schließlich geht sie nach Berlin zurück, kann dort durch Fürsprache ihres Freundes Paul Löbe zunächst in einer Textilgroßhandlung, später bei einer Tiefbaufirma als Sekretärin und Sozialarbeiterin arbeiten. Mehrfach ausgebombt, krank und körperlich geschwächt übersteht sie den Krieg – und beginnt 1945 sofort wieder mit der Arbeit. Bereits am 17. Juni 1945 nimmt sie an der Gründungsversammlung der Berliner SPD teil und wird im Mai 1946 zu deren stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

„Freiheit von Furcht und Freiheit von Not“

Dringlichste Aufgabe ist die Linderung der Not in der zerstörten Stadt, die Versorgung der Menschen mit Arbeit, Brot, Kleidung und einem Heim. Parteiübergreifende Frauenausschüsse organisieren die grundlegendste Versorgung. Im Mai 1946 beginnt Louise Schroeder mit Gleichgesinnten, die AWO in Berlin wiederaufzubauen.

Bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung für Groß-Berlin am 20. Oktober 1946 erzielt die SPD mit 48,7% einen großen Erfolg, die CDU erringt 22,2%. Die erst im April durch Vereinigung von KPD und Teilen der SPD entstandene SED erhält nur 19,8% der Stimmen. Die SPD-Abgeordnete Louise Schroeder wird zur Bürgermeisterin und zur 3. Stellvertreterin des Oberbürgermeister Otto Ostrowski (SPD) gewählt – auch mit den Stimmen der SED, obwohl sie als erklärte Gegnerin einer Zusammenarbeit mit der KPD aufgetreten war. Ostrowski bleibt nur kurz im Amt: Innerparteiliche Konflikte über das Maß der Zusammenarbeit mit der russischen Besatzungsmacht zwingen ihn bereits im April 1947 zum Rücktritt. Zu seinem Nachfolger wird Ernst Reuter gewählt – der allerdings wegen eines Vetos der UdSSR in der Alliierten Kommandantur nicht bestätigt wird.

So übernimmt die Stellvertreterin Louise Schröder am 8. Mai 1947 das Amt der Oberbürgermeisterin. Trotz der großen Herausforderung sieht sie darin auch einen Erfolg für die Gleichberechtigung und ihre frauenpolitischen Ideale. Sie ist nun für die Versorgung von über zwei Millionen Menschen verantwortlich, für den Wiederaufbau einer in Trümmern liegenden Stadt. Sie steht einer großen Verwaltung vor, übt die Dienstaufsicht über Magistratsmitglieder und Bezirksbürgermeister aus, vertritt die Stadt auf Konferenzen und auf Städtetagen. Dabei ist Berlin eine von vier Mächten kontrollierte Stadt, diese bestimmen die Politik. Louise Schroeder setzt auf diplomatisches Geschick und Vermittlungsbereitschaft, um die zunehmenden Konflikte zwischen den Alliierten nicht in eine Teilung münden zu lassen. Im Dezember 1947 fordert sie: „Wir fordern einen Frieden, der das wahr macht, was die Atlantik-Charta versprochen hat: Freiheit von Furcht und Freiheit von Not.“

Berlin-Blockade, Luftbrücke und die Frage der Einheit

Doch mit dem Konflikt um die Währungsreform spitzt sich die politische Lage weiter zu, es kommt zur Berlin-Blockade. Die Sowjets sperren alle Verkehrswege nach Berlin und unterbinden damit die Versorgung der Bevölkerung. Die Berliner_innen sollen in die Knie, die Westalliierten zum Rückzug gezwungen werden. Diese jedoch versorgen in einem ungeheuren Kraftakt über ein Jahr lang die mehr als zwei Millionen Menschen aus der Luft mit Kohle, Baustoffen und Lebensmitteln: Die Berliner Luftbrücke entsteht.

In dieser angespannten Situation drängen die Westalliierten auf die Gründung eines westdeutschen Teilstaates. Auf einer Konferenz der Ministerpräsidenten im Juli 1948 fordert Louise Schroeder die Teilnehmer auf, mit Rücksicht auf Berlin nichts „Endgültiges“, Unwiderrufliches zu beschließen, sondern den provisorischen Charakter aller Entscheidungen zu betonen, ehe nicht „Berlin mit den übrigen Zonen wieder zu einer Einheit gekommen sei“. Die Amerikaner fühlen sich brüskiert – und ziehen in der Folge Ernst Reuter als Gesprächspartner vor, der sich für eine westdeutsche Staatsgründung einsetzt. Dieser wird in dieser angespannten Situation zur Stimme Berlins und fordert auf zahlreichen Kundgebungen und im Rundfunk die Berliner_innen zum Durchhalten auf. Sein Auftreten und sein Einsatz werden bei den Neuwahlen in den Berliner Westsektoren im Dezember 1948 belohnt: Die SPD erzielt 64,5% der Stimmen, Reuter wird erneut zum Oberbürgermeister gewählt.

„Berlin liebt sie“

Damit endet Louise Schroeders Zeit als amtierende Oberbürgermeisterin von Berlin; sie ist weiterhin (bis 1952) Stadtverordnete von Berlin beziehungsweise Mitglied des Abgeordnetenhauses. Von 1949 bis 1957 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages. 1949 wird sie für das Amt des Deutschen Bundespräsidenten vorgeschlagen – dies vor allem aufgrund des internationalen Ansehens, das sie sich erworben hat. Ebenfalls 1949 erhält sie auf einer Deutsch-Französischen Bürgermeister-Konferenz die goldene Plakette der Stadt Paris.

Ihre politischen Weggefährtinnen und Weggefährten rühmen „Fleiß, menschliche Festigkeit, Würde und Klugheit“ sowie eiserne Arbeitsenergie, politisches Geschick und menschlichen Takt. Die Berliner_innen aber lieben „unsere Louise“. 1957 wird ihr anlässlich ihres 70. Geburtstages die Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin verliehen; sie ist die bekannteste Frau Deutschlands. Als sie am 4. Juni 1957 verstirbt, säumen Tausende die Straßen, um ihr die letzte Ehre zu erweisen.

Gabriele Rose


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