Negative Bilanz für Beschäftigte und Kund:innen
Die Bilanz der Privatisierungen in Deutschland fällt tendenziell negativ aus – zumindest aus der Sicht der Beschäftigten und der Kund:innen. Zwar gibt es durchaus Beispiele dafür, dass bestimmte Güter oder Dienstleistungen günstiger bereitgestellt werden, wenn sie von verschiedenen privaten Unternehmen angeboten werden. Doch das Versprechen eines gesteigerten Service durch private Anbieter ist keineswegs immer eingelöst worden. Deutsche Bahn und DHL gelten vielmehr als Paradebeispiele für schlechte Dienstleistungen bei überhöhten Preisen. Studien haben gezeigt, dass Outsourcing in der Summe oftmals teurer ist, als wenn Dienstleistungen von staatlichen Beschäftigten verrichtet werden. Auch auf dem Wohnungsmarkt macht sich die Privatisierungspolitik ungünstig für die Mieter:innen bemerkbar. Gab es in den 1990er-Jahren noch rund drei Millionen Sozialwohnungen, so sind es mittlerweile nur noch knapp 1,1 Millionen. Gleichzeitig explodierten die Mieten in den Metropolen. Hinzu kommt, dass Privatisierungen viele Arbeitsplätze gekostet haben, allein im Sektor Postdienste der ehemaligen Bundespost sank die Zahl der Beschäftigten von 400.000 (Ende 1980er-Jahre) auf 260.000 (1998). Andernorts wurden sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse durch Minijobs ersetzt. Zudem hat die Entstaatlichungspolitik zu einer Schwächung der Gewerkschaften beigetragen, vor allem durch Tarifflucht und die Zersplitterung in zahlreiche einzeln zu verhandelnde Tarifverträge.
Privatisierungspolitik am Wendepunkt?
Insofern ist es wenig verwunderlich, dass die Kritik an Privatisierungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark zugenommen hat. Die DGB-Gewerkschaften standen von Beginn an derartigen Umstrukturierungen ablehnend gegenüber. Deutlich wahrnehmbar wurden kritische Stimmen mit dem Aufkommen der globalisierungskritischen Bewegung zu Beginn des Jahrtausends, die verschiedenen Auswüchse neoliberaler Politik ins Visier nahm. Das Netzwerk Attac kritisierte beispielsweise, dass Bereiche öffentlicher Daseinsvorsorge wie das Bildungswesen, Verkehr, der Gesundheitssektor und die Energie- und Wasserversorgung nicht der Marktlogik überlassen werden dürften. Die Finanzkrise von 2008 führte dann zu einem vorsichtigen Umdenken bei der Politik selbst, die seinerzeit den Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate und mehrere Landesbanken verstaatlichte.
Die historische Erfahrung mit weniger Staat scheint also für viele Menschen eine ganz andere zu sein als für Kanzler Kohl in den 1980er-Jahren. Entsprechend sind in verschiedenen Städten Bürger:innen-Initiativen entstanden, die sich für die Rekommunalisierung von privatisierten Unternehmen einsetzten. In Berlin wurde beispielsweise 2013 nach einem Volksentscheid der Teilverkauf der Wasserbetriebe rückgängig gemacht, im selben Jahr rekommunalisierte die Stadt Hamburg die Energienetze. Es hat den Anschein, als sei die Geschichte der Privatisierungen mittlerweile an einem Wendepunkt angelangt.
Dr. Marcel Bois, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
Verwendete Quellen und Literatur
Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 10. Wahlperiode, 4. Sitzung, 4.5.1983.
Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 9. Wahlperiode, 121. Sitzung, 13.10.1982.
Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte, Göttingen 2008.
Norbert Frei/Dietmar Süß (Hg.): Privatisierung. Idee und Praxis seit den 1970er Jahren, Göttingen 2012.
Thomas Handschuhmacher: „Was soll und kann der Staat noch leisten?“. Eine politische Geschichte der Privatisierung in der Bundesrepublik 1949–1989, Göttingen 2018.
Jana Mattert/Laura Valentukeviciute/Carl Waßmuth: Gemeinwohl als Zukunftsaufgabe. Öffentliche Infrastrukturen zwischen Daseinsvorsorge und Finanzmärkten, Berlin 2017.
Florian Mayer: Vom Niedergang des unternehmerisch tätigen Staates. Privatisierungspolitik in Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland, Wiesbaden 2006.
Detlef Sack: Vom Staat zum Markt. Privatisierung aus politikwissenschaftlicher Perspektive, Wiesbaden 2019.