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Archiv der sozialen Demokratie

 

August und Julie Bebel: Geschlechterverständnisse in der frühen Sozialdemokratie

August Bebel war einer der wichtigsten Sozialdemokrat:innen im Kaiserreich und Verfechter der Gleichstellung von Frauen – doch was wissen wir über die Ehe mit seiner Frau Julie?

Im Jahr 1866 heirateten August und Julie Bebel. Die Sozialdemokratie begann gerade erst, sich zu organisieren – und August Bebel bewegte sich politisch noch in bürgerlich-liberalen Kreisen. 1840 war er als Sohn eines preußischen Unteroffiziers in Köln-Deutz geboren worden. Er hatte mit dem frühen Tod seiner Eltern bereits in seiner Kindheit schwere Schicksalsschläge erlebt. Aber aufgrund seines familiären Netzwerks war es ihm trotzdem möglich gewesen, eine Drechslerlehre zu absolvieren und später eine eigene Werkstatt zu eröffnen. Politisch orientierte er sich seit dem Lesen der Werke Lassalles, Marx‘ und Engels‘ um, stieg schnell innerhalb der Arbeitervereine im Kaiserreich auf und wurde einer der, wenn nicht der, einflussreichste frühe Sozialdemokrat. Ab 1892 war er einer der ersten SPD-Vorsitzenden und blieb es bis zu seinem Tod 1913. Zudem galt August Bebel als entschiedener Verfechter der Emanzipation der Frauen. Doch wie sah das Geschlechterverständnis innerhalb seiner eigenen Ehe aus? Orientierte es sich eher an bürgerlichen oder an sozialdemokratischen Vorstellungen?

Seine Frau Julie Bebel war 1843 in Leipzig geboren worden und arbeitete zunächst als Putzmacherin, das heißt, sie stellte Accessoires zum Verzieren von Hüten und Kleidern her. Doch mit der Heirat beendete sie ihre Erwerbstätigkeit und übernahm stattdessen die Hausarbeit und die Erziehung der gemeinsamen Tochter. Diese Aufgabenteilung entsprach dem damaligen, bürgerlichen Geschlechterverständnis von der häuslichen, familiären Frau und dem der Welt zugewandten, öffentlich wirkenden Mann, das sich im Laufe des 19. Jahrhunderts ideologisiert und verfestigte hatte.

Bebel öffentlich: „Die Frau und der Sozialismus“

Bevor es um August Bebels Beziehung zu seiner Frau geht, werfen wir einen Blick auf sein öffentliches Engagement für die Frauenemanzipation. Denn wenn man über August Bebels Geschlechterverständnis schreibt, darf sein theoretisches Grundlagenwerk „Die Frau und der Sozialismus“ nicht fehlen. Das Buch wurde 1879 veröffentlicht, mehrfach neu aufgelegt und überarbeitet: Bis zu Bebels Tod waren bereits 52 Auflagen erschienen.

In der Schrift übte Bebel Kritik an der patriarchalen gesellschaftlichen Ordnung, besonders in Bezug auf die wirtschaftliche, rechtliche und politische Lage von Frauen. In einem historischen Abriss skizzierte er die Unterdrückung von Frauen, kritisierte gegenwärtige Zustände und entwarf abschließend eine Idee für eine Zukunft, in der die Geschlechter gleichberechtigt und Frauen wirtschaftlich unabhängig sein würden. Für seine Zeit kritisierte er deutlich die Stellung von Frauen im Bürgertum. Die Ehe in den bürgerlichen Klassen beschrieb er als Zustand der Sklaverei, in dem Frauen „zum bloßen Gebärapparat für legitime Kinder […], zur Hüterin des Hauses, Pflegerin des kranken Gatten [herabsinken]“. Zur Entlastung der Frauen im Haushalt forderte er beispielsweise die Schaffung von Großküchen.

Traditionelle Geschlechtervorstellungen in der Sozialdemokratie

Damit war Bebel Teil einer Strömung der frühen Arbeiter:innenbewegung, die die Frauenemanzipation forderte. Doch viele Parteigenossen vertraten die Idee, dass Frauen weiterhin in erster Linie ihre Rolle als Gattin und Mutter ausfüllen sollten. Deshalb kämpften sie für gerechte Löhne für Männer, damit diese die Rolle als Ernährer der Familie übernehmen könnten. Frauen gehörten dieser Ansicht nach nicht in Fabriken, zum einen weil es nicht den Sitten und der Tugend entsprechen würde, zum anderen weil sie körperlich nicht zu anstrengender Arbeit fähig seien. Diese Einschätzung war geprägt von den damaligen Geschlechtervorstellungen, bei denen Frauen und Männern verallgemeinernde Eigenschaften zugeschrieben wurden: die Frau als tugendhaft und körperlich schwach, der Mann als starker Beschützer.

Bebel stellte sich immer wieder gegen diese vom bürgerlichen Geschlechterverständnis geprägte Strömung. Die Forderung nach einem Verbot der Frauenarbeit durch seine Parteigenossen fand er falsch: Vielmehr verstand er eine umfassende Erwerbstätigkeit von Frauen als Fortschritt für die Gesellschaft. Es müssten aber ausbeuterische Praktiken verboten werden, um die Zustände zu verbessern. Allerdings waren in Bebels Ausführungen auch paternalistische Züge vorhanden. Er stellte sich selbst und die Sozialdemokratie insgesamt als entscheidend für die Emanzipation der Frauen dar:

„Der Unterdrückte bedarf des Anregers und Anfeuerers, da ihm selbst die Macht und die Fähigkeit zur Initiative fehlt. So war es bei der Sklaverei, bei der Leibeigenschaft und Hörigkeit, so war und ist es bei der modernen Proletarierbewegung und so ist's bei dem Kampf für die Befreiung und Emanzipation der Frau.“

Bebel privat: Der Briefwechsel von Julie und August Bebel

Allerdings steht der öffentliche Einsatz Bebels für die Frauenemanzipation teilweise im Gegensatz zu seinem privaten Verhalten, wie der Briefwechsel mit seiner Frau zeigt. Es sind fast 170 Briefe überliefert, die sich August und Julie Bebel in den Jahren von 1872 bis 1906 schrieben und die eine vielschichtige Beziehung des Ehepaars zeigen. Anlässe zum Briefeschreiben gab es viele: Augusts politische Arbeit und das damit verbundene Reisen, seine Arbeit als Abgeordneter im Reichstag, oder Inhaftierungen, zum Beispiel nach pazifistischen Äußerungen während des Deutsch-Französischen Kriegs.

Auch zur Zeit des Sozialistengesetzes, als Sozialdemokrat:innen im ganzen Kaiserreich verfolgt wurden, musste August Bebel seine Heimat wegen Ausweisungen oder Gefängnisstrafen verlassen, sodass er und Julie nur brieflich kommunizieren konnten. Das bedeutet, dass zahlreiche Briefe, einen Einblick in das Privatleben der beiden und ihre Geschlechtervorstellungen ermöglichen.

Übernahme von Betrieb und Korrespondenz

Interessanterweise hat Julie durch die Abwesenheit Augusts einige Aufgaben übernommen, um die sie sich zuvor nicht gekümmert hatte. Nach seiner Verhaftung erledigte sie für ihn seine geschäftlichen Aufgaben, die mit der Drechslerei zusammenhingen, und sie übernahm auch weitgehend seine Korrespondenz. Damit ging ihre Tätigkeit nun weit über den häuslichen Bereich hinaus und zeigt, dass August Bebel ihren Fähigkeiten vertraute.

Auch politisch übernahm Julie Bebel während der Inhaftierungen wichtige Aufgaben: Sie galt als Parteisekretärin, kommunizierte mit verschiedenen Genoss:innen und vertrat Augusts Meinung in innerparteilichen Angelegenheiten. Ein Beispiel dafür ist die Mandatsfrage von Wilhelm Liebknecht nach der Reichstagswahl 1887: Liebknecht hatte seinen Wahlkreis verloren, und Julie vermittelte Augusts Standpunkt innerhalb der Partei, dass niemand gezwungen werden sollte, sein Mandat für Liebknecht aufzugeben. Selbst aktiv wurde Julie im Zuge des Sozialistengesetzes im Jahr 1881, als August Bebel und andere Sozialdemokraten aus Leipzig ausgewiesen wurden. Wie August in seinen Memoiren schrieb, initiierte sie gemeinsam mit Natalie Liebknecht und Clara Hasenclever eine Spendensammlung für die Familien der Ausgewiesenen, wobei sie sogar in das Visier der Polizei geriet.

Eine komplexe Beziehung – zwischen Konflikt und Unterstützung

Doch bei der Erledigung der alltäglichen Aufgaben durch Julie wurde August zeitweise ungehalten oder sogar herrisch. So reagierte er sehr scharf, als Julie, die für das Haushaltsbudget verantwortlich war, einmal Geld verliehen hatte, ohne ihn vorher zu fragen:

„Dann war Dein Geld so sicher flöten wie 2 mal 2 vier ist. Ich erwarte also auf das allerbestimmteste, dass Du von jetzt ab jede Anforderung, woher sie kommt, entschieden zurückweisest. Hätte ich geahnt, wie schwach Du wärest […], hätte ich das Geld in andere Hände gegeben. […] Auf alle Fälle verlange ich, dass ich erst gefragt werde“ (August an Julie, 28.02.1887).

Julie sah zwar in diesem Fall, das Verleihen des Geldes nachträglich auch als Fehler an, führte aber in der Folge die Geschäfte selbstbewusst weiter, da sie August vor dem Verleih von Geld nicht um Rat oder Erlaubnis bat. Wenn man den gesamten Briefwechsel betrachtet, wird jedoch deutlich, dass es sich bei den Konflikten um Ausnahmen handelte. Trotzdem war August Bebels Verhalten in diesem Fall typisch patriarchalisch, auch wenn er sonst feministisch argumentierte und er und Julie sich insgesamt unterstützten und einander wertschätzten. Es gibt im Briefwechsel viele Beispiele dafür, dass die beiden sich in emotionalen Krisen gegenseitig aufbauten, zum Beispiel als Julie August einmal bezüglich seiner Briefe an sie beruhigte:

„Wenn Du glaubst, [Deine Briefe] seien zu lang, da irrst Du sehr. Ich lese dieselben jeden Tag immer und immer wieder, ist mir doch dabei, als unterhielt ich mich mit Dir und sind dieselben mein einziges Vergnügen“ (Julie an August, 17.04.1887).

Fazit

Ihre Geschichte und ihre Briefe können stellvertretend für viele Sozialdemokrat:innen zur Zeit des Sozialistengesetzes gesehen werden, die im Alltag und in ihren Beziehungen wegen ihrer Verfolgung stets mit komplizierten Situationen konfrontiert waren. August und Julie Bebel hatten ein vertrauensvolles und liebevolles Verhältnis. Die Briefe zeigen deutlich, dass ihre Ehe zwischen bürgerlichen und fortschrittlichen Geschlechterbildern schwankte. Zwar gab Julie ihre Arbeit auf, kümmerte sich vorrangig um die Tochter und musste mit Augusts mitunter patriarchalischem Verhalten umgehen, doch es gab auch überraschend progressive Entscheidungen. Während Augusts Inhaftierungen übernahm Julie geschäftliche und politische Aufgaben und wurde eine aktive Stimme in der Arbeiter:innenbewegung. Außerdem setzte sich August öffentlich in „Die Frau und der Sozialismus“ entschieden für die Emanzipation der Frauen ein. Er argumentierte dort sogar gegen einige seiner Parteigenossen, die nicht für die Gleichberechtigung waren. Damit prägte er den Kurs der Sozialdemokratie nachhaltig. Die Ehe der beiden ist also ein sehr gutes Beispiel dafür, wie eine gewisse Fortschrittlichkeit in den starren Geschlechterbildern des deutschen Kaiserreichs möglich war.

 

Caroline Diekmann

 

Verwendete Quellen und Literatur

Bebel, August: Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, 8. Auflage, London 1890.

Bebel, August: Aus meinem Leben, ungek. Neuausgabe, Bonn 1997.

Briefe einer Ehe. August und Julie Bebel, hrsg. von Ursula Hermann, Bonn 1997.

Lopes, Anne/Roth, Gary: Men‘s Feminism. August Bebel and the German Socialist Movement, New York 2000.

Notz, Gisela: August Bebel oder: Der revolutionäre Sozialdemokrat, Berlin 2023.

Schmidt, Jürgen: August Bebel. Kaiser der Arbeiter. Eine Biografie, Zürich 2013.


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