Wenn die Waffen sprechen

In Libyen ist erneut ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Unsere Kollegen analysieren Ursachen und Folgen und berichten über die Stimmung im Land.

Bild: Merin Abbass von FES

Bild: Jannis Grimm von FES

Acht Jahre nach dem Sturz von Muammar al-Ghaddafi ist in Libyen Anfang April erneut ein Bürgerkrieg ausgebrochen - ausgelöst durch den Vormarsch des ehemaligen Generals Khalifa Haftar. Schlimmstenfalls droht der Zivilbevölkerung ein langwieriger, internationalisierter Konflikt. Merin Abbass, der von Tunis aus unser Libyen-Länderprojekt leitet, und Jannis Grimm, Libyen-Referent in Berlin, untersuchen die Ursachen, Auslöser und Folgen des Konflikts in ihrer neuen Analyse „Wenn die Waffen sprechen“. Wir haben mit ihnen über die aktuelle Lage gesprochen – und darüber, was der Kriegsausbruch für ihre Partner und ihre Arbeit in Libyen bedeutet. Außerdem wollten wir wissen, ob die internationale Gemeinschaft in Libyen noch etwas erreichen kann, und worauf sich die deutsche Außenpolitik konzentrieren sollte.

Jannis, seit April tobt in Libyen ein Bürgerkrieg. Wie kam es dazu?

Libyen ist seit dem letzten Bürgerkrieg in den Jahren 2014 und 2015 gespalten. Zwei Regierungen konkurrieren miteinander: Eine in Tripoli, im Westen, und eine in Tobruk, im Osten. Von diesen beiden Regierungen ist erstere zwar international anerkannt, faktisch aber umstritten und wenig handlungsfähig. Die andere Regierung in Tobruk steht dagegen unter der Kontrolle von Khalifa Haftar, einem ehemalige Militärgeneral, der in Libyen zunehmend Alleinherrschaftsansprüche stellt. Der politische Grundkonflikt zwischen den beiden Lagern wurde durch keine der internationalen Vermittlungsinitiativen der vergangenen Jahre geklärt. Nun ist er erneut aufgebrochen.

Warum ausgerechnet jetzt?

Konkret ausgelöst wurde die aktuelle Eskalation durch den Vormarsch Haftars auf Tripoli. Eigentlich kam seine Offensive nicht überraschend. Der frühere Weggefährte Ghaddafis führt im Osten und Süden des Landes bereits seit Sommer 2014 einen relativ erfolgreichen Feldzug – erst gegen den libyschen Ableger des Islamischen Staates, dann gegen die Jihadisten von „Ansar Scharia“ und nun eben gegen die Einheitsregierung in Tripoli, deren Regierungsanspruch er nicht anerkennt und die er als islamistische Extremisten und Kriminelle diffamiert.

Was hat Khalifa Haftar vor und wie sieht die Lage momentan aus?

Ursprünglich sah Haftars Plan wohl vor, mit einer kleinen schlagkräftigen Einheit tief in das Herz von Tripoli vorzustoßen, so neue Fakten zu schaffen und sich eine bessere Verhandlungsposition zu verschaffen. Er ging dabei fälschlicherweise davon aus, dass seine sogenannte „Libysche Nationale Armee“, kurz LNA – ein Sammelbecken für ehemalige Militärs, Kampfverbände aus dem Osten des Landes, Söldner und salafistische Milizen – nur auf geringen Widerstand stoßen würde und viele der ortsansässigen Milizen zu ihm überlaufen würden. Das war aber eine Fehlkalkulation.

Seine Truppen wurden erstaunlich schnell durch eine Allianz verschiedener lokaler Milizen zurückgedrängt. Viele dieser Milizen schlossen sich auch der Gegenoffensive der Einheitsregierung an. Seitdem haben sich die Fronten verhärtet. Beidseitig gibt es immer wieder Erfolgsmeldungen, ohne dass aber eine eindeutige Tendenz im Konfliktverlauf erkennbar wäre. Momentan werfen beide Seiten – unterstützt von ausländischen Verbündeten – alles an die Front, um das Blatt zu wenden. Mit katastrophalen Folgen für die Zivilbevölkerung.

Merin, Du arbeitest von Tunesien aus für die FES mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in Libyen zusammen. Wie geht es Deinen Partnern? Wie schätzen sie die Situation vor Ort ein?

Die Partner leiden unter der Situation. Schließlich setzen sich viele seit Jahren für eine politische Lösung ein, möchten die Kultur des Dialogs verbreiten und Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Menschenrechte und Versöhnung fördern. Sie haben große Sorge, dass die Arbeit der letzten Jahre vernichtet wird, dass der Bürgerkrieg die letzte Hoffnung auf ein demokratisches, stabiles Libyen raubt.

Alle Partner sind der Meinung, dass der Krieg ferngesteuert ist und eine friedliche Lösung erst einmal nicht in Aussicht ist, vor allem weil der Konflikt zwischen den beiden Lagern personifiziert wurde, zwischen Khalifa Haftar und Sarraj.

Alle hoffen aber, dass der Krieg sich nicht in die Länge zieht und Libyen zu einem zweiten Jemen wird. Sie hoffen, dass die Konfliktparteien sich wieder an den Verhandlungstisch setzen. Alle anderen Lösungen wären nicht nachhaltig.

Welche Auswirkungen hat der Krieg auf Eure Arbeit?

Wir mussten leider unsere Veranstaltungen in Libyen und in Tunesien im April absagen, nicht nur aus logistischen Gründen, sondern vor allem aus Sicherheitsgründen. Der Flughafen in Tripoli wurde von Khalifa Haftar angegriffen und wir wollten die Teilnehmer_innen nicht in Gefahr bringen. Außerdem ist die Stimmung im Land sehr aufgeheizt. Die Teilnehmer_innen kommen aus verschiedenen Regionen Libyens und haben unterschiedliche Positionen zum Krieg, je nachdem zu welchem Lager die Region gehört. Deshalb besteht in der aktuellen Situation die Gefahr, dass sie sich nicht auf das Veranstaltungsthema konzentrieren, sondern sich gegenseitig die Schuld zuschieben.

Wir planen, unsere Aktivitäten nun nach dem Fastenmonat Ramadan wieder aufzunehmen. Und wir hoffen, dass die Lage so stabil bleibt, dass die Teilnehmer_innen, insbesondere Frauen, das Land verlassen können. Von Tunesien aus organisieren wir zahlreiche Programme für libysche Frauen, darunter das Female Human Rights Defender Training, das Young Leader-Programm und das Fortbildungsprogramm für Frauen-NGOs.  Allerdings ist zum heutigen Zeitpunkt nicht vorherzusehen, wann dieser Konflikt zu Ende gehen wird. Er kann noch Monate dauern.

Jannis und Merin, was können die EU und die Vereinten Nationen noch tun, um die Lage zu stabilisieren?

Momentan steckt die internationale Gemeinschaft, insbesondere Europa, in einem Dilemma: Zwar sind alle an einer Stabilität Libyens interessiert, gleichzeitig fehlen die Anreize, um beide Konfliktparteien zurück an den Verhandlungstisch zu bewegen. Zudem müsste zuerst einmal wieder Vertrauen hergestellt werden. Denn die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen hat in den letzten Wochen massiv gelitten, einerseits, weil ihr Übergangsplan offensichtlich gescheitert ist, andererseits, weil sie Haftars Offensive auf die Hauptstadt nur sehr zögerlich verurteilten und stattdessen beide Seiten zur Mäßigung aufriefen.

Um das Ansehen Europas steht es kaum besser. Denn trotz zahlreicher Bekenntnisse zur Einheitsregierung in Tripoli ist die EU faktisch im Umgang mit Libyen intern gespalten. Insbesondere Frankreich untergräbt durch seine kaum verborgene Kooperation mit dem General aus dem Osten eine gemeinsame europäische Position. Ein europäischer Einsatz für eine Verhandlungslösung kann aber erst dann erfolgreich sein, wenn alle wieder an einem Strang zieht.

Könnte Deutschland in dieser schwierigen Situation etwas erreichen?

Als neutraler Akteur im Libyen-Konflikt könnte Deutschland stärker auf eine gemeinsame europäische Position hinwirken und eine aktivere Vermittlungsrolle gegenüber seinen europäischen Partnern übernehmen. Da dies nicht über Nacht gelingen wird, sollte die deutsche Außenpolitik aber zudem darauf abzielen, dass die laufenden Kampfhandlungen nicht durch externe Interventionen verlängert werden.

Eine Internationalisierung des Krieges zeichnet sich bereits ab. Es muss verhindert werden, dass Libyen nach Syrien und dem Jemen zum nächsten Schauplatz für einen Stellvertreterkrieg wird. Dazu ist vor allem außenpolitischer Druck auf regionale Akteure wie Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Katar nötig, welche die einzelnen Konfliktparteien zunehmend offensiv logistisch und militärisch unterstützen.

 

Merin Abbas ist Leiter des Libyen-Länderprojekts der Friedrich-Ebert Stiftung in Tunis. Jannis Grimm ist Libyen-Referent der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Die Fragen stellte Daniela Turß.

Abbass, Merin; Grimm, Jannis Julien

Wenn die Waffen sprechen

Ursachen, Auslöser und Folgen des Bürgerkriegs in Libyen
Berlin, 2019

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