Das Rheinland strebt „los von Berlin“

Eine „Rheinische Republik“ zu gründen war das Ziel: die „Vereinigte Rheinische Bewegung“, die „Rheinische Volksvereinigung“ und der „Rheinische Unabhängigkeitsbund“ verfolgten 1923 die völlige Abspaltung von Preußen – Separatismus in schwierigen Zeiten.

Bild: Rheinische Separatisten in Koblenz 1923 von Library of Congress

Der Wiener Kongress hatte sie 1815 zusammengefügt, aber eine harmonische Beziehung wollte sich zwischen den evangelischen Preußen und den katholischen Rheinländern nie wirklich entwickeln. Zu groß waren die Unterschiede im Hinblick auf Kultur und Mentalität.  Auch noch nach hundert Jahren empfanden Teile der rheinischen Bevölkerung ihre Situation als „protestantische Fremdherrschaft“.

Die Umbrüche nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und die anschließende alliierte Besatzung der Rheinlande belebte diese Diskussion neu. Schon im Februar 1919 lud Konrad Adenauer in seiner Funktion als Kölner Oberbürgermeister zu einer Versammlung, in der über das politische Selbstbestimmungsrecht der Rheinländer und die mögliche Ausrufung einer rheinischen bzw. westdeutschen Republik diskutiert wurde. In der Folgezeit bildeten sich in vielen Städten separatistische Bewegungen mit unterschiedlichen Zielen heraus.

Krisenjahr 1923

Die junge Demokratie der Weimarer Republik war insgesamt geprägt von einer zerrissenen Parteienlandschaft mit höchst unterschiedlichen Vorstellungen von der politischen Gestaltung Deutschlands. Republikfeindliche Parteien auf der rechten wie linken Seite gewannen immer mehr an Einfluss.

Besonders das Jahr 1923 war geprägt von Aufständen, Putsch und Abspaltungsbestrebungen. Die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen als Reaktion auf verspätete Reparationszahlungen des Deutschen Reiches führte in eine nahezu ausweglose Krise. Die Inflation geriet völlig außer Kontrolle, zahllose Menschen verloren ihre gesamten Ersparnisse. Mindestens 70.000 Menschen wurden aus dem besetzten Ruhrgebiet ausgewiesen und waren auf die staatliche Unterstützung „Ruhrhilfe“ als Lebensunterhalt angewiesen. In dieser desolaten Situation fanden die unterschiedlichen, im Rheinland agitierenden separatistischen Gruppierungen neuen Zulauf.

Kurt Tucholsky beschrieb die Situation im Rheinland in einem Beitrag von 1929 für „Die Weltbühne“: „Lawinenartig wuchs inzwischen die separatistische Bewegung, proportional der Inflation. Das Rheinland stand damals, geschlossen wie ein Mann, zu dem, der besser zahlte. Die Beamten, die Großbanken, die Geistlichen warteten auf ihren Augenblick. Zu Frankreich hinüber wollte keiner, bei Preußen bleiben wenige. Was sie wollten und wozu sie damals auch ein Recht hatten, war Befreiung aus der Hölle der Inflation und Schaffung einer eignen Währung, einer eignen autonomen Republik.“

Die "Freie und unabhängige Republik Rheinland"

So kam es ab August 1923 zu den unterschiedlichsten separatistischen Aktionen:

In Koblenz – der Hauptstadt der damaligen preußischen Rheinprovinz - gründete sich die „Vereinigte Rheinische Bewegung“, deren erklärtes Ziel die völlige Abspaltung der Rheinlande von Preußen und die Errichtung einer Rheinischen Republik unter französischem Protektorat war.

Am 21. Oktober wurde in Aachen das Rathaus besetzt und die „Freie und unabhängige Republik Rheinland“ ausgerufen. Ähnliche Besetzungen fanden in Duisburg, Jülich, Mönchengladbach, Bonn oder Erkelenz statt. Es kam zu auch blutigen Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten oder belgischen Besatzungstruppen; Rathäuser wurden befreit und zum Teil wieder eingenommen.  

Im Oktober okkupierten Separatisten das Wiesbadener Rathaus und verkündeten die Übernahme der Regierungsgewalt im Regierungsbezirk Wiesbaden. In der Folge bestätigte der französische Hochkommissar die Separatisten als „Inhaber der tatsächlichen Macht“. Die neue „Regierung“ stützte sich entsprechend auf den Schutz und die Finanzierung der französischen Besatzer sowie auf die „Rheinland-Schutztruppen“, die sich zu großen Teilen aus Ausgewiesenen aus dem besetzten Ruhrgebiet rekrutierten.

Das Scheitern des rheinischen Separatismus

Rivalitäten zwischen den Akteuren, verwirrende Verordnungen und fehlende Richtlinien konnten nicht zu einer Stabilisierung der Lage beitragen. Fehlende finanzielle Mittel sollten mit eigenem, rheinischen Papiergeld ausgeglichen werden; es wurden Requirierungen angeordnet, die schließlich in Plünderungen durch die Rheinland-Schutztruppen mündeten. Der Widerstand gegen diese Plünderungen wuchs, es kam örtlich zu heftigen Auseinandersetzungen.

Am 16. November errangen die nationalen Bürgerwehren in der „Schlacht in Ägidienberg“ im Siebengebirge den entscheidenden Sieg über die Separatisten. Viele verloren ihr Leben.

Diese Auseinandersetzungen führten zur Spaltung der Separatisten, zu ihrer Vertreibung aus den Rathäusern, zum Teil zu Verhaftungen. Die separatistische Bewegung war gescheitert, die „Rheinische Republik“ brach zusammen.

 

Der Vorwärts berichtete immer wieder über die Ereignisse am Rhein:

22.10.1923: Die Ausrufung der Rheinischen Republik in Aachen

23.10.1923: Die Ausbreitung des Separatistenputsches

03.11.1923: Die Separatisten im Rheinland

09.11.1923: Frankreich fordert die Rheinische Republik

29.11.1923: Schluß mit der Rheinischen Republik

 

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