Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
Zur Verlagsseite
Kurzgefasst und eingeordnet von Paula Schweers. Paula Schweers arbeitet nach Stationen in Politik und Wissenschaft für das ARTE Magazin und als freie Journalistin und Autorin. Ihr Debütroman „Lawinengespür“ erschien 2023 bei der Frankfurter Verlagsanstalt.
Die Klimakrise ist keine natürliche, sondern eine soziale Krise. Sie ist eine Folge patriarchaler und kolonialer Strukturen und verschärft soziale Ungleichheit. Sichtbar wird dieser Zusammenhang am Beispiel von Extremwetterereignissen. An ihnen wird deutlich, welche Rolle gesellschaftliche Faktoren wie Infrastruktur, Kommunikation oder Regierungsform für die Entstehung, die Handhabung und die Auswirkungen von Katastrophen wie Überschwemmungen oder Dürren spielen. Dass bestehende Ungleichheiten erst durch den Klimawandel entstanden sind, ist ein irreführendes Narrativ, das den Status quo fortschreibt. Die Industrieländer, die historisch am meisten zur Klimaerwärmung beigetragen haben, müssen in der Klimapolitik auch aus diesem Grund eine führende Rolle übernehmen und ihrer Verantwortung gerecht werden.
Friederike Otto schlägt vor, die Folgen und Hintergründe der Klimakrise deutlich stärker als bisher mit dem Fokus auf soziale Gerechtigkeit zu untersuchen und sie auch unter diesem Schwerpunkt im Diskurs zu positionieren. Zudem plädiert Otto dafür, den Wandel hin zu einem klimagerechten Zusammenleben über positive Narrative voranzubringen und auf diese Weise zu erleichtern. Diese Facette des Klimawandels und die Frage danach, wie wirksame Narrative für mehr Klimagerechtigkeit aussehen können, ist auch für die Soziale Demokratie interessant.
Friederike Otto ist Klimatologin, Physikerin und promovierte Philosophin. Sie forscht zu Extremwetter und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Sie hat das neue Feld der Zuordnungswissenschaft mitentwickelt, durch die es möglich ist festzustellen, wie stark der menschengemachte Klimawandel zu aktuellen Wetterkatastrophen beigetragen hat. 2021 gehörte sie laut dem TIME Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen weltweit. 2023 wurde sie mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet.
Anhand von vier Extremwetterereignissen, benannt als Hitze, Dürre, Feuer und Flut, zeigt Otto an konkreten Beispielen auf, wie sich der Klimawandel in unterschiedlichen Ländern und politischen Systemen auswirkt. Hierbei kombiniert sie empirische Daten aus der Klimaforschung mit sozialen und ethischen Überlegungen. Anschließend stellt sie Lösungsvorschläge zur Diskussion.
In der Zuordnungsforschung werden nach einem Extremwetterereignis wie etwa einer Überschwemmung zunächst möglichst viele Daten über eine Region gesammelt und ausgewertet. Darunter sind historische und aktuelle Wetterdaten, aber auch sozioökonomische Daten, bspw. zur Bevölkerungsdichte oder zum Gesundheitszustand der Menschen. Mithilfe der auf Basis dieser Daten erstellten Modelle wird dann berechnet, wie wahrscheinlich ein bestimmtes Extremwetterereignis in dieser Region ist, welche Intensität es annehmen und welche Auswirkungen es auf die Bevölkerung haben kann und welchen Einfluss der Klimawandel auf all diese Faktoren haben könnte.
Durch die Analysen können die verschiedenen Ursachen der spezifischen Probleme einer Region herausgearbeitet werden, statt sie allesamt monokausal über den Klimawandel zu erklären. So zeigt sich, dass in vielen Regionen die fortschreitende Erwärmung durch den Klimawandel nicht neue Probleme verursacht, sondern eher wie ein Verstärker für bestehende Probleme wirkt. Beispielsweise wurde die mit der Dürre von 2021 in Madagaskar verbundene Ernährungsunsicherheit hauptsächlich durch die herrschende Armut und die starke Abhängigkeit von Regenfällen verursacht. Auch die mangelhafte Infrastruktur vor Ort, die durch die Zerstörung von sozialen Strukturen unter der Kolonialherrschaft bedingt ist, trug zu der Katastrophe bei. Derartige historische Hintergründe und Versäumnisse lokaler Regierungen müssen konkret adressiert werden, statt die Probleme mit dem alleinigen Narrativ des Klimawandels zu verschleiern. Dann können die Erkenntnisse der Zuordnungsforschung politische Akteur_innen dazu nötigen, Verantwortung zu übernehmen.
Um nachhaltig mit der Klimakrise umgehen zu können, ist es nötig, an der historisch angelegten Ungerechtigkeitsdynamik zwischen den Ländern im Globalen Norden und im Globalen Süden zu arbeiten. Ein zentraler Punkt hierbei ist die Ungleichheit bei der Betroffenheit durch den Klimawandel. Viele der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder und Regionen liegen im Globalen Süden und viele von ihnen sind durch koloniale Ausbeutung und rassistische Diskriminierung geprägt worden. Diese Länder und Gemeinschaften haben wenig zu den Ursachen des Klimawandels beigetragen, sind durch ihre geografische Lage sowie durch die Folgen der Kolonialisierung wie etwa Korruption, ineffiziente Verwaltungsstrukturen und schlechtere Infrastruktur aber besonders anfällig für die Folgen extremer Wetterereignisse.
Wenn es um den Umgang mit den Klimafolgen geht, werden Menschen aus marginalisierten Bevölkerungsgruppen oft nicht ausreichend berücksichtigt. Ihre Lebensrealitäten werden in politischen Entscheidungsprozessen häufig nicht thematisiert. Menschen aus diesen Gruppen haben meist weniger Zugang zu Ressourcen, die notwendig sind, um sich an die klimatischen Veränderungen anzupassen. Zudem sind sie oft die letzten, die in den Genuss von Hilfsmaßnahmen oder Entschädigungen kommen.
Auch die geschlechterspezifische ungleiche Verteilung von Ressourcen und Macht muss bei der Bewältigung der Klimakrise berücksichtigt werden. Dies betrifft insbesondere Regionen, in denen Frauen tendenziell mehr Verantwortung für den Haushalt, die Kinderbetreuung und die Nahrungsmittelversorgung tragen. Wenn etwa durch Dürren, Überschwemmungen oder Stürme Ressourcen knapp sowie Lebensräume zerstört werden, tragen häufig Frauen die Hauptlast und müssen oft zusätzliche Pflege- und Versorgungsaufgaben übernehmen. Als Beispiel nennt Otto Frauen in dem kleinen Dorf Keneba in Gambia, die auch in Zeiten starker Hitzewellen täglich auf den Feldern arbeiten müssen, um ihre Familien zu ernähren und hierdurch gesundheitliche Probleme erleiden. Viele Frauen sind aufgrund ihres eingeschränkten Zugangs zu Ressourcen wie Bildung, Landbesitz oder politische Einflussnahme weniger gut in der Lage, sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen. Sexismus spielt auch in Klimaverhandlungen und der Klimaforschung eine Rolle, da Frauen in wichtigen Entscheidungsprozessen häufig unterrepräsentiert sind und ihre Perspektiven in der Klimapolitik nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Die Industrieländer, die am meisten zur Klimaerwärmung beigetragen haben, müssen in der Klimapolitik eine führende Rolle übernehmen. Neben der drastischen Reduzierung von Emissionen sollten Wirtschafts- und Handelspraktiken auf Klimagerechtigkeit überprüft werden. Finanzielle Mittel und technologische Unterstützung müssen zuverlässig bereitgestellt werden, um den am stärksten betroffenen Ländern dabei zu helfen, sich an den Klimawandel anzupassen. Dabei sollte Entwicklungsförderung darauf ausgerichtet werden, die Resilienz dieser Länder zu stärken, statt nur Schadensbegrenzung zu betreiben. Konkret nennt Otto hier Hitzeaktionspläne oder die Aufstockung von Mitteln für lokale Frühwarn- und Messsysteme, die Menschen im Globalen Süden vor Katastrophen wie Hitzewellen warnen können.
Zudem ist auch die Wissensproduktion in vielen besonders betroffenen Regionen bislang eingeschränkt, lokale Studien finden medial und in der Forschung zu wenig Gehör. Stattdessen wird das Feld der Klimawissenschaften aktuell hauptsächlich von weißen Männern mit einem naturwissenschaftlichen Hintergrund betrieben. Hierdurch bleibt das Forschungsfeld recht einseitig. Klimaforschung und -politik sollten zukünftig interdisziplinär vorangetrieben werden. Neben technischen und ökologischen Lösungen ist eine Auseinandersetzung mit den sozialen und moralischen Aspekten des Klimawandels angezeigt, in die internationale Ethiker_innen und Philosoph_innen einbezogen werden sollten.
Aktuell fokussieren gesellschaftliche und mediale Narrative vor allem auf Verzicht und die Verhinderung von noch schlimmeren Auswirkungen des Klimawandels. Stattdessen sollten neue Erzählungen entwickelt werden, die sich darum drehen, strukturelle und institutionalisierte Ungleichheit abzubauen und aufzuzeigen, wie viel mehr Lebensqualität ein klimafreundliches Zusammenleben bringen könnte. Die Erzählungen von Wohlstand durch ökonomisches Wachstum, das nur mithilfe fossiler Energien möglich ist, müssen hingegen hinterfragt werden.
Die Stärke des Buches liegt vor allem in dem interessanten Analyseansatz der Zuordnungsforschung. Dieser macht es möglich, sogenannte Naturkatastrophen präzise zu untersuchen, ihre Ursachen zu bestimmen und die Verantwortlichkeiten zu klären. Auf diese Weise könnte der Ansatz einen wirksamen Hebel für strukturelle Veränderungen in besonders betroffenen Regionen darstellen. Otto macht überzeugend deutlich, dass politische Maßnahmen zu einer besseren Anpassung an den Klimawandel künftig viel stärker darauf abzielen sollten, soziale Gerechtigkeit zu erhöhen, etwa durch einen besseren Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Landrechten und ökonomischen Ressourcen. Ihre konkreten Vorschläge dafür, wie dies gelingen kann, bleiben jedoch teils recht vage. Vor diesem Hintergrund wäre die Weiterentwicklung von Ottos Analysen durch politische Praktiker_innen, auch vor Ort in den betroffenen Ländern, wünschenswert.
Verlag: UllsteinErschienen: 28.12.2023Seiten: 336ISBN: 9783550202445