Archiv der sozialen Demokratie

John Heartfield – Collagen des Protests

Vor 130 Jahren - am 19. Juni 1891 - wird in Schmargendorf bei Berlin einer der innovativsten deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts geboren. Selbst wenn der Name beim Lesen nicht gleich Assoziationen hervorruft, so kennen viele von uns doch Heartfields künstlerisches Vermächtnis aus dem Geschichts- und Kunstunterricht als Gegenstand von Quellen- und Bildanalysen. Grafische Bollwerke gespickt mit Kritik vor allem an Faschismus und Krieg.

Bild: John Heartfield und Publikationen von Rechteinhaber unbekannt / FES Bibliothek

Eine Verquickung von Kunst und Politik war zum damaligen Zeitpunkt – vor allem während seines frühen Wirkens - noch keine Selbstverständlichkeit, zumindest wenn es um die kritische Darstellung eines politischen Systems ging. So wirkte sein grafisches Werk subversiv und hatte stets einen unbequemen Unterton. Eine seiner bekanntesten Arbeiten, ironisch betitelt mit „Millionen stehen hinter mir“, zeigt Adolf Hitler, wie dieser eine Hand nach hinten hält, um ein Geldbündel entgegenzunehmen. Der Untertitel führt aus: „Der Sinn des Hitlergrußes: Kleiner Mann bittet um große Gaben“. Seine kritischen und gleichzeitig oft bissig humorvollen Fotomontagen und collagierten Buchumschläge mit Wurzeln in der Berliner Dada-Szene gehören zu den Ikonen der politischen Kunst des 20. Jahrhunderts. Heartfields grafisches Vermächtnis wirkt aktueller denn je angesichts wieder aufkeimender Tendenzen von antisemitischem, nationalistischem und rechtem Gedankengut. Zahlreiche seiner Arbeiten fanden massenhafte Verbreitung vor allem in linksgerichteten Publikationen und auf Plakaten der Kommunistischen Partei.

Der gelernte Buchhändler und Grafiker John Heartfield – mit bürgerlichem Namen Wilhelm Herzfeld – tritt Ende 1918 in die KPD ein. Den Künstlernamen legt er sich zu, um gegen die englandfeindliche Haltung des Deutschen Kaiserreiches zu protestieren. Sein Bruder Wieland hat zwei Jahre zuvor den Malik-Verlag gegründet, der sich auf politische und ästhetische Avantgarde-Kunst konzentriert ebenso wie auf kommunistische Literatur. Zusammen mit George Grosz geben sie die linksorientierte pazifistische Zeitschrift „Neue Jugend“ heraus.

Darüber hinaus lassen Heartfield und Grosz ihrer Kreativität freien Lauf, indem sie gemeinsam zahlreiche Umschläge, Buch- und Zeitschriftencover für den Malik-Verlag gestalten. In der verlagseigenen Buchhandlung in der Köthenerstraße in Kreuzberg ist John Heartfields erste politische Fotomontage im Schaufenster zu sehen.

Sein Talent ist so vielfältig, dass er ab 1920 zusätzlich Bühnenbilder sowie Filmprojektionen für Größen der Berliner Theater- und Filmszene wie Max Reinhardt und Erwin Piscator entwirft und produziert. Er beteiligt sich außerdem an der „Ersten Internationalen Dada-Messe“ in Berlin.

Ab 1930 ist Heartfield als fester Mitarbeiter Teil der von Willi Münzenberg herausgegebenen Arbeiter-Illustrierten-Zeitung (AIZ) und ab 1933 auch im Prager Exil für sie weiterhin tätig. Für die wöchentlich erscheinende sozialistische Zeitung arbeiten neben Heartfield u.a. auch Anna Seghers, Käthe Kollwitz und George Bernard Shaw. Als er bei der AIZ einsteigt, gilt Heartfields Aufmerksamkeit zunächst mehr den Unzulänglichkeiten der SPD, die zu diesem Zeitpunkt die Regierung stellt, als dem Aufstieg der Nationalsozialisten. Seine Fotomontagen und Collagen setzt er auch als politisches Agitationsmittel gegen die von ihm als rückwärtsgewandte und bürgerlich empfundene Sozialdemokratie ein. Die zwei folgenden Beispiele aus dem Werk John Heartfields sollen hier sein Verhältnis zur SPD veranschaulichen.

Die in der AIZ erschienene Fotomontage mit dem Untertitel „Wer Bürgerblätter liest wird blind und taub. Weg mit den Verdummungsbandagen!“ zeigt eine Person in der Uniform des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, einer SPD-nahen Organisation, die sich dem Schutz der Republik gegen rechtsextreme Gewalt, aber auch gegen die als radikal betrachtete Politik der KPD verschrieben hatte. Der Kopf ist umhüllt von Zeitungsblättern des sozialdemokratischen Parteiorgans Vorwärts sowie des von Ullstein verlegten Unterhaltungsblatts Tempo. Die Person sieht also nichts als die Zeitungsblätter um sich herum, eine buchstäbliche Weitsicht fehlt somit. Die Kritik an der als bürgerlich und staatstreu betrachteten Presse wird deutlich durch den Textblock in Gedichtform: „Ich bin ein Kohlkopf, kennt ihr meine Blätter?/ Ich weiß vor Sorgen zwar nicht aus noch ein,/ doch halt ich still und hoff auf einen Retter,/ ich will ein Schwarz-Rot-Goldener Kohlkopf sein!/ Ich will nichts seh’n und hören,/ das Staatsgeschäft nicht stören./ Und zieht man mich auch bis auf‘s Hemde aus,/ die Rote Presse kommt mir nicht ins Haus.“

Eine seiner faszinierendsten Fotomontagen ist die zum “Krisenparteitag der SPD” im Juni 1931 in Leipzig. Die Kleidung des Wesens auf dem Bild suggeriert, dass es sich um einen Geschäftsmann handelt. Das Gesicht wird im übertragenen Sinne zum Antlitz eines „kapitalistischen“ Tigers, der zudem einen Pakt mit den Nationalsozialisten nicht zu scheuen scheint, wie das Detail des Hakenkreuzes als Krawattennadel nahelegt. Unmittelbar unter dem Bild wird der SPD-Reichstagsabgeordnete Fritz Tarnow wie folgt zitiert: „Die Sozialdemokratie will nicht den Zusammenbruch des Kapitalismus. Sie will wie ein Arzt zu heilen und zu bessern versuchen.“

Die Parteitagsteilnehmer_innen werden ironisch als „Tierärzte von Leipzig“ bezeichnet und ihnen wird ein fiktives Zitat in den Mund gelegt: „Selbstverständlich werden wir dem Tiger die Zähne ausbrechen, aber zunächst einmal müssen wir ihn gesundpflegen und herausfüttern.“ Wiederholt unterstellt Heartfield hier der SPD politische Unfähigkeit wie auch mangelnde sozialistische Haltung.

Wer sich gerne intensiver mit dem Werk Heartfields auseinandersetzen möchte, kann heutzutage den künstlerischen Nachlass im Archiv der Akademie der Künste bewundern. Heartfield vermachte der Institution am Brandenburger Tor seinen Nachlass als testamentarische Schenkung. Der gesamte grafische Nachlass ist vor einiger Zeit im Rahmen eines Projekts inhaltlich erschlossen und digitalisiert worden und nun online kostenlos einsehbar.

Stephanie Kröger

 


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