Das fortschrittliche Erbe der Ukrainischen Volksrepublik (1917-1921) - Teil 3: Republikanische Reformen

Mit einem Text von Vladyslav Starodubtsev über die Ukrainische Volksrepublik von 1917 bis 1921 setzen wir unsere Reihe über die ukrainische Geschichte fort. Dies ist der dritte von vier Teilen.

Den ersten Teil finden Sie hier.

Wirtschaftsreformen

Da die ukrainische Bevölkerung überwiegend bäuerlich geprägt war, stand die Bodenreform im Zentrum der Wirtschaftspolitik. In der Debatte standen sich die Ideen einer umfassenden Vergesellschaftung und die einer Aufteilung des Landes in Kleinbetriebe gegenüber. Letzteres bedeutete, dass jeder Bauer so viel Land erhalten sollte, wie er bearbeiten konnte, und dass das Land gerecht verteilt werden sollte. Große und wirtschaftlich bedeutsame Ländereien sollten verstaatlicht werden.

In der "Arbeiterfrage" war die Ukrainische Volksrepublik eines der ersten Länder, das den Achtstundentag, Tarifverhandlungen, Streikfreiheit und die Unterstützung der Gewerkschaften einführte. In den Wirren der Revolution und des Krieges, die in der Ukraine immense Zerstörungen angerichtet hatten, war die weitreichende Sozialisierung der Unternehmen unmöglich. Stattdessen entschied sich die Ukrainische Volksrepublik für ein provisorisches korporatistisches Modell, bei dem Arbeiterausschüsse die Unternehmen gemeinsam mit dem Staat oder privaten Eigentümern verwalteten. Es wurde eine proaktive Arbeitsaufsicht eingeführt, die Statistiken sammelte, einen ständigen Dialog mit den Beschäftigten und den Kommissionen führte, die Arbeitnehmer:innen über ihre Rechte informierte und sie in der Verteidigung ihrer Rechte und in der gewerkschaftlichen Organisierung schulte. Dieser Ansatz unterscheidet sich deutlich von der heute geltenden Philosophie der Arbeitsaufsicht als passives Gremium, das sich lediglich mit Beschwerden befasst.

Genossenschaftliche Unternehmen wurden als Alternative zu privaten Unternehmen gefördert, existierten aber neben diesen weiter. Allerdings war die ukrainische Wirtschaft war bereits überwiegend genossenschaftlich organisiert, während die staatlich oder privat kontrollierten Betriebe sich in der Minderheit befanden. Die genossenschaftliche Organisiertheit der ukrainischen Wirtschaft bedeutete in der In der Sprache des 20. Jahrhunderts so viel wie "im Besitz der Arbeiter" nach dem Prinzip "eine Person, eine Stimme". Im Rahmen der föderalistisch-kommunalen Vorstellungen der Zentralna Rada erhielten die lokalen Behörden und Selbstverwaltungsorgane weitreichende Autonomie und Instrumente, um auf lokale Probleme zu reagieren.

Die Mehrheit der Mitglieder der ukrainischen Sozialrevolutionäre befürwortete radikalere Lösungen, doch fehlten ihnen erfahrene Kader, um ihre Forderungen umzusetzen. Die von der Republik bereits vorgeschlagenen Reformen waren sehr radikal und modern, waren noch nie zuvor erprobt worden und erforderten hohe Verwaltungskapazitäten, über die die Ukrainische Volksrepublik nicht verfügte und die aufgrund der nachrevolutionären und kriegerischen Situation unter starken Druck gerieten. Die Aufrechterhaltung der Armee, der Kampf gegen Hunger, die Eindämmung von Epidemien und der Zwang zur Öffnung der Fabriken, um den Zusammenbruch der gesamten Wirtschaft zu verhindern, hatten Vorrang und erschwerten andere Reformen.

National-persönliche Autonomie und jüdische Rechte

Der Einfluss des großen ukrainischen sozialistischen Philosophen des 19. Jahrhunderts Mychajlo Drahomanow (1841-1995) veranlasste die Ukrainer:innen, eine nationale Autonomie für alle Nationen zu fordern. Insbesondere schien Drahomanow die ukrainische Haltung gegenüber der jüdischen Nation beeinflusst zu haben. Während die meisten (nichtjüdischen) Sozialdemokrat:innen Jüdinnen und Juden nicht als eigenständige nationale oder kulturelle Gruppe, sondern nur als religiöse Gruppe anerkannten, war es Drahomanow, der deren Anerkennung als Nation und die jüdische nationale Autonomie gefordert und in die Diskussion gebracht hatte. In der Folge übernahmen die meisten ukrainischen Parteien Die Autonomieforderungen in ihre Programme, und, wie Henry Abramson schreibt, [1] übernahmen einige ukrainische Kreise die Forderung nach jüdischer Autonomie noch bevor jüdische Organisationen dies selbst taten. Während der Revolution wurde die ukrainische Zentralna Rada von den prominentesten Befürwortern der Minderheitenrechte angeführt, unter anderem von ihrem Vorsitzenden Mychajlo Hruschewskyj. Die ukrainische Regierung unterschied sich wohltuend von der russischen Provisorischen Regierung. Letztere trat für "gleiche Rechte" ein, blieb aber hinter dieser Forderung zurück und neigte sogar zu chauvinistischen Positionen, als diese gleichen Rechte in der Ukraine umgesetzt wurden. Das machte die Zentralna Rada zu einem starken Konkurrenten um die Sympathien der jüdischen Minderheit, die zu dieser Zeit stark russenzentriert war.

Alle jüdischen Parteien unterstützten die Ausrufung der Ukrainischen Volksrepublik, sowohl die sozialistisch-zionistischen als auch die autonomistischen Parteien. Es kam jedoch zu Konflikten mit dem Streben der Ukrainer nach Unabhängigkeit. „For socialists, the preservation of the political integrity of the territory was especially important for maintaining the broadest possible “revolutionary front,” while for Zionists it meant the potential mobilization of the largest mass of Jewry for their own political ends.” [2] Die jüdischen Parteien waren Teil der gesamtrussischen Politik, während die ukrainischen Parteien entschlossen waren, ihr Land von der russischen Fremd- und Kolonialherrschaft zu befreien. Es gab keine populäre jüdisch-ukrainische Identität, da die meisten Juden zur städtischen Mittelschicht gehörten, während die Ukrainer als Unterschicht in den Dörfern isoliert waren. Dies führte zu einem Mangel an Verständnis für die Ziele beider Bewegungen, zu einer allgemeinen schlechten Stimmung und zu Feindseligkeit aufgrund der Klassenzugehörigkeiten.

Als der Krieg zwischen der Ukraine und dem bolschewistischen Russland ausbrach, begann die Zentralna Rada mit der Ausarbeitung eines Gesetzes über die nationale Autonomie der Minderheiten – und gleichzeitig kam es zu einer ersten Welle von Pogromen (im Januar 1918). Die Zentralna Rada scheiterte teilweise an einer der wichtigsten Aufgaben der Revolution: der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Organisation einer effektiven und disziplinierten Armee. Der Mangel an Verwaltungskapazitäten und Offizieren war eine objektive Voraussetzung, die nur schwer zu überwinden war.

Der Einfluss der Minderheiten in der Zentralna Rada war vergleichsweise stärker als der der anderen Vertreter. Als die Ukraine beispielsweise mit der Vorbereitung ihrer Bodenreform begann, protestierte ein polnischer Abgeordneter, der die Interessen der polnischen Grundbesitzer vertrat, gegen die Reform und drohte mit seinem Rücktritt. Der Protest führte zu einigen Ausnahmen bei der Reform.

Bereits mit dem Dritten Universal (Erklärung der Ukrainischen Volksrepublik über die autonomen Beziehungen zur Russischen Republik) hatte die ukrainische Regierung Ministerien für jede "große Nationalität" gebildet. Es gab jüdische, russische und polnische Ministerien. Das Gesetz über die nationale Autonomie, das mit dem Vierten Universal eingeführt wurde, erweiterte den Einfluss und die Vertretung der Minderheiten noch einmal erheblich. Das Gesetz sah vor, dass jede Minderheit eine Liste führen sollte, in die sich die Bürger:innen selbst eintragen konnten, und je nach Größe der Liste wollte die Ukraine einen proportionalen Anteil des Haushalts für die nationalen Aktivitäten der Minderheiten bereitstellen. Die nationalen Vereinigungen wurden gegründet und erhielten das Recht, innerhalb der von der Verfassunggebenden Versammlung festgelegten Grenzen gesetzgeberische Initiativen zu ergreifen und zu regieren.

Obwohl das Autonomiegesetz zu dieser Zeit das fortschrittlichste der Welt war, hatte es auch Mängel. Die in den Listen eingetragene nationale Identität basierte nur auf einer persönlichen Entscheidung und konnte leicht geändert werden. Dies eröffnete die Möglichkeit, der nationalen Vereinigung beizutreten, welche die meisten Vorzugsbedingungen gewährte (wie z. B. Steuervergünstigungen und finanzielle Unterstützung). Es gab auch die Frage der gemischten Identitäten: Sahen sich die Menschen als (russifizierte) Juden, als Ukrainer:innen, als beides oder keines von beiden?

Die Verabschiedung des Gesetzes war mit einer nationalen Tragödie verbunden - denn das Vierte Universal, über das damals abgestimmt wurde, wurde von allen Nationalitäten außer den Polen abgelehnt. Jüdische und russische Parteien enthielten sich der Stimme oder stimmten dagegen, was zeigt, dass sie eher für Autonomie der Ukraine als für deren Unabhängigkeit eintraten. Die Ukrainer:innen fühlten sich dadurch sehr demoralisiert, da sie sich in ihrem Kampf nicht verstanden und unterstützt sahen.

Alle anständigen Menschen der Ukraine müssen die Arbeit des Generalsekretariats und der örtlichen Verwaltungen in ihrem Kampf gegen die Pogrome, die ein Erbe des Zarismus sind, mit aller Kraft unterstützen... Wir haben Dekrete erlassen, die besagen, dass jeder Ukrainer seine Freiheit als unsicher betrachten soll, solange wir nicht frei von nationalem Hass und antijüdischen Pogromen sind, einem schwarzen Fleck auf unserem Gesicht, der die ganze Welt dazu bringt, uns als ein Volk zu betrachten, das noch immer versklavt ist.

Oleksandr Schulhyn, Minister für Nationalitätenfragen, Oktober 1917 [3]

Als Generalsekretär für militärische Angelegenheiten in der Ukrainischen Volksrepublik rufe ich euch alle, meine Kameraden und Freunde, dazu auf, in dieser schwierigen Zeit geschlossen zu handeln. Seid organisiert und geeint, einer für alle und alle für einen. Unsere Armee ist jung, sie steht gerade erst auf ihren Füßen, aber sie wird dem Ruf unserer Vorfahren gerecht werden. Alle müssen sich für die Zentralna Rada und ihr Generalsekretariat vereinen. Duldet keine Pogrome oder ordnungswidriges Verhalten, denn die Duldung solcher Aktivitäten wird Schande über den Namen der ukrainischen Armee bringen. Auf unserem Land darf es keine Pogrome geben. Ich habe die ukrainischen Truppen bereits dazu aufgerufen, die Ordnung in der Ukraine zu schützen. Seid bereit, in der ganzen Ukraine, vor allem auf den Eisenbahnen, jeder Pogromaktivität Einhalt zu gebieten ... Diese Verantwortung kann ich nur auf eure Schultern legen, und ich werde Vertrauen in euch haben, ukrainische Soldaten.

Symon Petljura, November 1917 [4]

Während des gesamten Jahres 1917 gelang es der ukrainischen Regierung, Pogromisten zu verfolgen, die jüdische Bevölkerung zu schützen und Pogrome erfolgreich zu verhindern. Die Jüdische Militärunion unterstützte die ukrainische Zentralna Rada und im Dezember 1917 forderten sie gemeinsam die Schaffung eigener jüdischer Streitkräfte, um sich gegen Pogrome zu verteidigen. [5] Dieser Aufruf stieß jedoch auf den Widerstand der jüdischen sozialistischen Parteien, die darin eine Feindseligkeit und einen Bruch mit der russischen Republik sahen. Solche Einheiten wurden erst im Januar 1918 gebildet. Henry Abramson vermutet, dass die Schaffung solcher Einheiten zu einem früheren Zeitpunkt die massive Pogromwelle von 1919 hätte verhindern oder begrenzen können.

Mit zunehmender Anarchie und geringerer Kontrolle durch die Ukrainische Volksrepublik kam es schließlich zu mehr Pogromen, die sowohl von der regulären ukrainischen Armee als auch von den ihr treu ergebenen Atamanen (Kriegsherren) verübt wurden – es entstand eine große Kluft zwischen der Regierung und den Regierten. Ausschlaggebend dafür waren die fehlende Kontrolle, die verworrene und widersprüchliche Politik und das politische Umfeld. Dennoch kam es zu einer großen Welle von Pogromen, die hauptsächlich von regulären Truppen der Republik durchgeführt wurden. Das heißt, die Ukrainische Volksrepublik und ihr Direktorium waren dafür verantwortlich, dass die Pogrome nicht gestoppt und ihre Streitkräfte nicht diszipliniert wurden. Gleichzeitig setzten sich alle Regierungen der Ukrainischen Volksrepublik für die Rechte und die Sicherheit der Juden ein, unternahmen aber nichts gegen die sich rapide verschlechternde Situation, für die das Direktorium die Verantwortung trug.

Die jüdischen Parteien unterstützten das Direktorium, und viele jüdische Vertreter:innen standen der Idee der ukrainischen Unabhängigkeit aufgeschlossen gegenüber, doch die Pogrome verschlechterten die Beziehungen. Schon damals schätzte der De-facto-Chef des jüdischen Ministeriums der Ukraine, Nahum Gergel, dass mindestens 16.700 Menschen allein durch die Kräfte des Direktoriums getötet worden waren.

Heute sind sich die meisten Historiker:innen einig, dass die tatsächliche Zahl viel höher lag. Der Antisemitismus in Teilen der ukrainischen Streitkräfte und die Unfähigkeit der Regierung, wirksam gegen die Pogrome vorzugehen, wurden zu einer schweren Belastung. Die Regierung der Ukrainischen Volksrepublik leistete stets materielle Hilfe und Entschädigung, untersuchte Pogrome und verfolgte die Verantwortlichen, unternahm aber nicht genug, um Pogrome von vornherein zu verhindern. Für alle Ukrainer:innen ist dies ein dunkler Fleck in der Geschichte des Landes. Für ein realistisches, nicht idealisiertes Geschichtsbild kommen wir nicht umhin, von Pogromen zu sprechen, auch wenn die Regierung der Ukrainischen Volksrepublik enorme soziale und politische Fortschritte gemacht hat, auch was die Rechte von Jüdinnen und Juden betrifft.

Kooperative Bewegung und Selbstorganisation

Die heutige Zeit ist die richtige Zeit für die Entwicklung der genossenschaftlichen Produktion, und deshalb

a) müssen die Genossenschaften alle Maßnahmen ergreifen, um die Produktion in der Ukraine in die eigenen Hände zu nehmen und den breitesten Massen sowie dem jungen Staat bei seiner wirtschaftlichen Stärkung und dem Aufbau neuer Produktionsformen zu helfen;

b) muss der Staat zu demselben Zweck alle Anstrengungen unternehmen, um die Fabriken, die von vorübergehenden, kriegsbedingten Einrichtungen auf den Staat übertragen werden, durch ihre wirtschaftlichen Organisationen - Genossenschaften und ihre Gewerkschaften - in die Hände des Volkes zu übergeben; [6]

c) sollte sich der Staat zu demselben bei seinen Plänen für die Gründung neuer Industrieunternehmen, die in der unabhängigen Ukraine beliefert werden, hauptsächlich und nach Möglichkeit auch ausschließlich auf Genossenschaften stützen […]

3. - Die Genossenschaften und ihre Verbände dürfen Industrieunternehmen nur zur Deckung des Bedarfs der Bevölkerung ihres Bezirks im Einvernehmen mit dem entsprechenden Genossenschaftsverband gründen.

4. Unkoordinierte Leistungen einzelner Gewerkschaften und Genossenschaften außerhalb des allgemeinen Plans werden als schädlich für die Zusammenarbeit erkannt, und daher wird die Planung des Aufbaus und der Verwaltung von Genossenschaftsunternehmen den zentralen ukrainischen Genossenschaftsverbänden anvertraut...

Dritter Allukrainischer Allgenossenschaftlicher Kongress in Kyjiw, 26. bis 29. Mai 1918 [7]

Die Genossenschaftsbewegung war die Grundlage für die sehr fortschrittlichen ukrainischen Wirtschaftsreformen. Die Ukraine war ein Volk von Bäuerinnen und Bauern, die unter furchtbaren wirtschaftlichen Bedingungen lebten. Sie wurden ausgebeutet und es wurde ihnen verwehrt, sich weiterzuentwickeln, eine angemessene Ausbildung zu erhalten, sich zu qualifizieren oder zu Wohlstand zu kommen. Stattdessen versuchten die Russ:innen, die Ukrainer:innen durch ihre Assimilationspolitik zu vernichten. Hier entstand die Genossenschaftsbewegung ganz natürlich, da die Ukrainer:innen dazu neigten, sich kollektiv gegen Ungerechtigkeit, Armut und Assimilierung zu wehren. Die Genossenschaftsbewegung kümmerte sich nicht nur um den Gewinn der Kollektive, sondern wurde auch zum Zentrum des kulturellen Lebens. Die Genossenschaftsbewegung verwendete ihre Einnahmen für Schulen, Stipendien, Museen, Bibliotheken, Lesegruppen und vieles mehr. Die Bewegung verfügte über eine halbzentralisierte Struktur, also eine von den Genossenschaften von unten organisierte Regulierungsbehörde, die die Aktivitäten der Genossenschaften plante. So sollte verhindert werden, dass einzelne auf Kosten des Wohlergehens der Ukrainer:innen übermäßige Gewinne erzielte. Die Genossenschaften wurden auch daran gehindert, sich eine undemokratische Plattform zu geben; und sie verhinderten, dass die Beschäftigten unnötige Hierarchien aufbauten. Undemokratische Genossenschaften wurde als "pseudo-kooperativ" bezeichnet und eine Regulierungsbehörde für Genossenschaften sollte eingreifen und "Sanktionen" gegen diese verhängen. So wurde die Genossenschaftsbewegung zu einem wichtigen Teil des ukrainischen Lebens. Die meisten ukrainischen Politiker erwarben durch genossenschaftliche Aktivitäten Managementfähigkeiten, die sie später beim Aufbau der Zentralna Rada einsetzten. Mehr als die Hälfte der Mitglieder der Zentralna Rada erwarben ihre Erfahrungen in der Verwaltungsorganisation und der demokratischen Regierungsführung durch ihre Beteiligung an der Genossenschaftsbewegung.

Mit der ukrainischen Revolution wuchs auch die Genossenschaftsbewegung. Im Jahr 1920 gab es in der Ukraine 22.000 Genossenschaften mit sechs Millionen Mitgliedern. [8] 60 Prozent von ihnen waren in Konsumgenossenschaften organisiert. Den Genossenschaften gelang es mit der Initiative von Tuhan-Baranovwkyj eine eigene wissenschaftliche Einrichtung zu gründen. Das Ukrainische Genossenschaftsinstitut war das erste seiner Art in der Welt. Die ukrainischen Genossenschaften verfügten über eine solide Ethik und halbwegs verbindliche Planungsstrukturen; sie waren gut organisiert und engagierten sich in den lokalen Gemeinschaften. Es war auch eine Bewegung für Bildung und nationale Selbstbestimmung, die sich aktiv am revolutionären Kampf beteiligte.

Als die Bolschewiki kamen, wurden die Genossenschaften schließlich in Pseudo-Genossenschaften umgewandelt. Sie waren nicht mehr freie Zusammenschlüsse von Erzeuger:innen, sondern sie wurden zu von der Partei kontrollierte Einrichtungen oder wurden in der Regel in staatliche Unternehmen umgewandelt. Die Genossenschaftsbewegung versuchte noch weiter zu wachsen, als die Bolschewiki bereits eine neue Wirtschaftspolitik verkündeten. Die Bewegung versuchte, ihre Ziele der Selbstverteidigung und der nationalen Selbstbestimmung zu verwirklichen, wurde aber streng kontrolliert. Von da an wurde die Westukraine zum Fackelträger der ukrainischen Genossenschaftsbewegung und breitete sich aktiv auf dem polnischen nicht-kooperativen Markt aus.

Kirchenreform

Diese letzte Methode des Kampfes der Machthaber gegen die christliche Gemeinschaft reicht bis in die Gegenwart und bringt das Leben der ukrainischen Kirche Christi in den Zustand, in dem die Gläubigen beginnen, die christliche Gemeinschaft, die von den Söhnen des "Fürsten dieses Zeitalters", den herrschenden Klassen, unterdrückt wird, wiederherzustellen und zu befreien.

Volodymyr Chekhivskyi, "Für die Kirche, die christliche Gemeinschaft, gegen die Dunkelheit" [9]

Die unabhängigen ukrainischen Kommunist:innen beteiligten sich an der Ukrainischen Volksrepublik und waren ein wesentlicher Bestandteil ihrer Demokratie. Obwohl ihre sektiererische und autoritäre Auslegung der Theorie des Klassenkampfes für demokratische Regierungsformen gefährlich war, spielten sie eine wichtige und meist positive Rolle in den Aktivitäten der Republik. Als sich die linksradikalen Fraktionen zunächst von ihren Parteien und dann von der Republik selbst abspalteten, wurden bei allen wichtigen politischen Versammlungen Sitze für sie für den Fall reserviert, dass sie zurückkehren und sich an der republikanischen Demokratie beteiligen würden. Dies war auch auf dem Arbeiterkongress der Fall.

Dieser Hintergrund sollte erklären, warum der hochbegabte ukrainische Kommunist Wolodymyr Tschechjewskyj, ein Geistlicher und einer der Organisatoren der Kirchenreform, von Dezember 1918 bis Februar 1919 Premierminister war. [10] Er war eines der brillantesten und interessantesten Beispiele für den ukrainischen christlichen Sozialismus – eine überraschend kleine intellektuelle Tradition, die ihre sozialistische Analyse aus dem christlichen Glauben bezog. Obwohl die ukrainischen Aktivist:innen zumeist religiös waren, waren sie sowohl in der öffentlichen Politik als auch in ihren Ansichten leidenschaftlich sekulär. Sie betrachteten den Glauben als eine von ihren politischen Überzeugungen getrennte Einheit, was sie eher mit den politischen Theorien als mit der Religion begründeten. Die erste ukrainische politische Organisation, die Kyrill-und-Method-Bruderschaft, der auch Taras Schewtschenko angehörte, stützte sich auf eine sehr stark republikanische, demokratische und stark sozial ausgerichtete, wenn nicht geradezu sozialistische Auslegung des Christentums. Ein weiteres gutes Beispiel für die Beteiligung ukrainischer Priester und Geistlicher an der sozialistischen Politik war die gesamtrussische sozialistische "Christliche Bruderschaft des Kampfes", die zur Zeit der Revolution von 1905 bestand.

Wolodymyr Tschechjewskyj war einer derjenigen, die später eine Kirchenreform organisierten, die autokephale ukrainisch-orthodoxe Kirche schuf und sie schließlich von der moskauorientierten, hochgradig politisierten pro-zaristische und imperialistischen Kirche trennte.

Tschechjewskyj tat alles in seiner Macht Stehende, um einen friedlichen, toleranten und säkularen Ansatz für die Religion zu fördern und die Geistlichen zu einem fortschrittlichen Geist und zu sozialen Reformen zu bewegen. Die ukrainische Kirche nahm sofort ihren Platz als eine vergleichsweise fortschrittliche Gemeinschaft ein, die sich stark mit den Zielen der ukrainischen Unabhängigkeit und der ukrainischen Demokratie verband.

Der ukrainischen Kirche gelang es, bis 1937 zu überleben, als sie nach mehr als einem Jahrzehnt der Unterdrückung und einer neuen Welle des stalinistischen Terrors zerstört und durch die russische Kirche ersetzt wurde, eine Institution, die mehr politisch als religiös war.

Endnoten

1: Henry Abramson: A Prayer for the Government: Ukrainians and Jews in Revolutionary Times, 1917-1920, Cambridge/Mass., 1999, S. 34-35.

2: Ebd., S. 40.

3: Ebd., S. 81. (Original) “...all the decent peoples of Ukraine must assist with all their strength the work of the General Secretariat and the local administrations in their struggle with the pogroms, which are an inheritance of tsarism...We have issued decrees [to the effect] that every Ukrainian should consider our freedom insecure until we are free of national hatred and anti-Jewish pogroms, a black spot on our faces, which makes the entire world consider us a people who are still enslaved.”

4: Ebd. (Original) “I, as General Secretary for Military Affairs in the Ukrainian People’s Republic, call upon all of you, my comrades and friends, to work in unity during this difficult time. Be organized and unified, one for all and all for one. Our army is young, it is just standing on its feet, but it will live up to the reputation of our ancestors. All must unite for the Central Rada and its General Secretariat. Do not tolerate any pogroms or disorderly behavior, because tolerating such activity will bring shame on the name of the Ukrainian army. No pogroms must occur on our land. I have already called upon Ukrainian troops to protect the order in Ukraine. Be ready throughout all of Ukraine, particularly on the railroads, to put a stop to any pogrom activity...This responsibility I can place only on your shoulders, and I will have trust in you, Ukrainian soldiers.”

5: Ebd., S. 83.

6: Dies ist ein einzigartiges Beispiel für die kooperative Privatisierung von Staatseigentum, die den nicht-staatlichen und dezentralen Charakter der ukrainischen Revolution unterstreicht.

7: Illja Vitanovyč: Istorija Ukraїns'koho kooperativnoho ruchu, New York, 1964, 194 f.

8: Vsevolod Holubnychy/Illia Vytanovych: Die Genossenschaftsbewegung, in: Internet-Enzyklopädie der Ukraine [1984]. (zuletzt aufgerufen 16.05.2024) Vgl. Illja Vytanovych: Istoriia ukraïns'koho kooperatyvnoho rukhu, New York, 1964.

9: Volodymyr Čechivs'kyj: Za Cerkvu, Chrystovu hromadu, proty carstva t'my, New York, 1974.

10: Kurze Amtszeiten der Regierungen waren in dieser Zeit üblich. Von Dezember 1918 bis November 1920 wechselte die ukrainische Regierung de facto sechsmal, wobei sie von der radikalen Linken zur gemäßigten Linken “sprang”, von dort zu einer unpolitischen Regierung, zu einer moderaten Linken, dann wieder zur Linken, dann zu den Zentristen und schließlich zur unpolitischen Halbdiktatur von Petljura.


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