Akademie für Soziale Demokratie

Pia Lamberty & Katharina Nocun (2022): Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik. Köln: Quadriga-Verlag

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Kurzgefasst und eingeordnet von Michael Dauderstädt
Michael Dauderstädt ist freiberuflicher Berater und Publizist und war bis 2013 Leiter der Abteilung Wirtschaft- und Sozialpolitik der FES.


buch|essenz

Kernaussagen

Die Esoterik ist weit verbreitet und gefährlich. Für ihre Anhänger_innen birgt sie gesundheitliche Risiken in sich, da wirksame Medizin verteufelt wird und stattdessen nutzlose oder sogar schädliche Präparate empfohlen werden.

Darüber hinaus kann sie zu Entmündigung, Opferumkehr und Sektenabhängigkeit führen. Doch auch für andere Menschen besteht Gefahr. Denn viele Esoteriker_innen neigen dazu, in antisemitische und rechtsextreme Positionen abzudriften.

Einordnung aus Sicht der Sozialen Demokratie

Das Buch klärt über die Gefahren einer Szene auf, die in der Öffentlichkeit zu wenig beachtet oder unterschätzt werden.

Hinter grün-naturverbundener und spiritueller Rhetorik verbergen sich oft handfeste kommerzielle bzw. politische Interessen und ein Weltbild, das im Widerspruch zu den sozialdemokratischen Idealen von Freiheit und Gerechtigkeit steht.

Verlag: Quadriga Verlag
Erschienen: 30.09.2022
Seiten: 303
ISBN: 978-3-86995-111-9


buch|autorinnen

Pia Lamberty ist Psychologin und forscht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu Verschwörungstheorien und extremistischen Ideologien.

Katharina Nocun ist Publizistin, hat Politik und Wirtschaft studiert und arbeitet über das Spannungsfeld zwischen Digitalisierung und Demokratie. Die Autorinnen haben gemeinsam schon zwei erfolgreiche Bücher über Fake News und mögliche Gegenstrategien veröffentlicht.


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buch|inhalt

Die Anziehungskraft der Esoterik

Circa 30 Prozent der Menschen in Deutschland glauben an Astrologie, Wunderheilung oder daran, dass Glücksbringer wirkungsvoll sind. Auf den ersten Blick überrascht es vielleicht, dass solch irrationale, vielfach wissenschaftlich widerlegte Ansichten in unserer rational geprägten und informationsüberfluteten Gesellschaft so großen Zulauf haben. Derartiger Aberglaube ist unter Frauen weiter verbreitet als unter Männern, was wahrscheinlich darin liegt, dass die Szene Frauen eine alternative Quelle für Selbstwertgefühl in unserer noch immer patriarchalisch geprägten Gesellschaft bietet.

Die Esoterik stützt sich auf fünf Kernelemente: Selbstoptimierung, das Selbst als höchste Instanz, ein holistisches Weltbild, magisches Denken und der Glaube an eine gerechte Welt. Sie beutet den Wunsch der Menschen aus, Erklärungen für schreckliche, scheinbar unerklärliche und oft de facto zufällige Phänomene geben zu können und sich selbst in einem besseren Licht zu sehen. Dabei nutzt sie aus der Psychologie bekannte Muster: Als Aufhänger um die Menschen anzusprechen werden allgemein verbreitete Sorgen und Ängste benutzt. Aussagen werden so vage formuliert, dass sie nicht zu widerlegen sind, sondern die vorgefassten Meinungen und Weltbilder der Anhänger_innen bestätigen. Positive Eigenschaften werden verstärkt, Kritik wird in Lob umgewandelt. Diese selektive Wahrnehmung werde im Internet und besonders in sozialen Netzwerken noch verstärkt, weil innerhalb der Gruppen vorzugsweise Nachrichten geteilt werden, die bestehende Gruppenmeinungen bestätigen.

Esoterik im Lebensmittelmarkt

In deutschen Lebensmittelmärkten gibt es ein breites Angebot an Lebensmitteln, die nach esoterischen Kriterien hergestellt sind oder sein sollen und deshalb gesünder und schmackhafter sein sollen. In jedem Fall sind die Produkte teurer. Den größten Markt diesbezüglich stellt die sogenannte biodynamische Produktion in der Landwirtschaft dar. Die Vorgaben, die Betriebe erfüllen müssen, damit ihren Erzeugnissen das Demeter-Siegel versehen wird, umfassen dabei nicht nur – vielleicht sinnvolle – Verbote von Chemikalien, sondern häufig auch Vorgaben für die Nutzung von Präparaten, die gemäß den Theorien des Anthroposophen Rudolf Steiner hergestellt werden und jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Krankheiten von Nutztieren sollen mit homöopathischen Produkten behandelt werden, deren Wirkungslosigkeit wissenschaftlich belegt ist. Das kann dazu führen, dass schmerzhafte Erkrankungen (z. B. Entzündungen) nicht rasch geheilt werden und das Leiden der Tiere sich verlängert.

Esoterik und Medizin

Auch zur Behandlung von Menschen empfehlen Esoteriker_innen die Homöopathie. Eine groß angelegte wissenschaftliche Studien belegen, dass Homöopathie nutzlos ist.  Aber eine WHO-Studie stellte fest, dass sie trotzdem in 100 von 133 untersuchten Ländern zum Einsatz kommt. Vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist sie weit verbreitet. Einigen Fachleuten zufolge erklärt dies auch die höhere Impfskepsis in diesen Ländern.

Esoterische Therapien werden häufig mit pseudowissenschaftlichen Elementen aufgewertet, insbesondere mit scheinbar physikalischen Theorien von Energiefeldern und Strahlungen. In Wahrheit basieren die esoterische Medizin und verwandte Therapien wie die Traditionelle Chinesische Medizin jedoch auf naturwissenschaftlich widerlegten Vorstellungen wie beispielsweise der Idee der Formenharmonie, der zufolge bestimmte Pflanzen aufgrund ihrer äußeren Form eine heilende Wirkung auf formähnliche menschliche Organe ausüben. Auch hier spielen die anthroposophischen Ideen Steiners eine Rolle, der an eine spirituelle Beziehung zwischen Planeten (Astrologie), Metallen und Körperfunktionen glaubte und gegen Krebs vor allem Mistelpräparate empfahl. Doch die Therapieangebote der Esoteriker beschränken sich keineswegs auf Anthroposophie, Formenharmonie und Homöopathie. Zu nennen wäre zum Beispiel die „Germanische Neue Medizin“ von Ryke Hamer, der behauptete, Krebs und andere Krankheiten seien eine Folge ungelöster Konflikte und emotionaler Schocks. Seine „Behandlung“ bestand aus persönlichen Gesprächen und Singen, bei gleichzeitiger Aufforderung, alle medikamentösen oder anderen seriösen Therapien zu unterlassen, was zum Tod vieler Kranker führte. Hamer wurde mehrfach verurteilt.

Man könnte vermuten, dass die Bereitschaft, sich Esoteriker_innen anzuvertrauen, in einem Misstrauen gegenüber dem Gesundheitssystem begründet ist. Den Autorinnen zufolge lautet die eigentliche Erklärung jedoch, dass die Heil(ung)sversprechen der Esoterik schlicht verführerischer sind als die mit vielen Bedingungen verknüpften Prognosen und mit vielen Risikohinweisen verbundenen Behandlungsmethoden der Medizin. Esoterik verspreche Heilung ohne Nebenwirkungen. Scheinbare – und dann gern stark propagierte – Heilerfolge der esoterischen Medizin seien de facto jedoch den Selbstheilungskräften des Körpers, parallel ablaufenden anderen Behandlungen oder Placeboeffekten zuzuschreiben. Möglicher Kritik beuge man vor, indem Misserfolge auf angeblich typische Anfangsprobleme der Behandlung oder auf die verspätete Zuwendung zur Esoterik geschoben werden.

Esoterik im Markt für Psychotherapien

Die Esoterik versucht mit ihren Konzepten auch Menschen mit psychischen Problemen oder in Lebenskrisen als Kund_innen zu gewinnen. Das Angebot reicht dabei von Persönlichkeitsanalysen über Therapien bis hin zu Zukunftsdeutungen. Die Anbieter_innen bedienen sich dabei vieler Tricks, um ihr Gegenüber einzuschätzen und den Eindruck zu erwecken, sie seien übernatürliche Informationsquellen. Um ihre Angebote treffsicherer zu gestalten, nutzen sie auch die Vorteile der digitalen Welt, beispielsweise, indem sie über soziale Medien Detailinformationen über ihre Kund_innen beschaffen.

Andere Angebote umfassen den Kontakt zu Toten im Jenseits oder zu Fantasiewesen. Dabei werden die Kund_innen geschickt in die vermeintlich magischen Erfahrungen einbezogen, indem Elemente eingebaut werden, die den Wünschen und Erwartungen der Kund_innen entsprechen. Im Hintergrund steht dabei oft die Karma-Lehre, nach der die Seele unsterblich ist und nach dem Tod in einem neuen Körper reinkarniert, wobei das Schicksal im neuen Leben vom Verhalten im früheren Leben abhängt. Schicksalsschläge werden so als Strafe für angebliche Missetaten in einem früheren Leben gedeutet.

Zum weiteren Umfeld der Esoterik zählt auch die von Dr. Joseph Murphy entwickelte Schule des positiven Denkens. Sie unterstellt eine magische Kraft, mit der Ziele wie z. B. Reichtum angeblich allein durch gedankliche Fokussierung erreicht werden können. Obwohl diese unrealistischen Hoffnungen geradezu enttäuscht werden müssen und Misserfolge einfach der zu geringen mentalen Anstrengung der Patient_innen zugeschrieben werden können, folgen viele Menschen solchen Pseudotherapien, da echte psychologische Beratung teuer und schwer zugänglich ist.

Wissenschaft als Gegner und Vorbild

Die Esoterik hat ein zwiespältiges Verhältnis zur Wissenschaft: Einerseits verteufelt sie die Wissenschaft und insbesondere die Medizin als eine Verschwörung im Interesse von Pharmalobby und Ärzt_innen; einen Höhepunkt erreichte der Hass auf die etablierte Medizin in der Corona-Pandemie, als Fachleute aus der Virologie oder der Epidemiologie von radikalen Impfgegner_innen massiv angegriffen wurden. Andererseits versucht die Esoterik, sich selbst ein (pseudo-)wissenschaftliches Mäntelchen umzuhängen. Gerne werden dazu mehr oder weniger renommierte und häufig fachfremde Wissenschaftler_innen eingesetzt. Die meisten der angeblichen wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit esoterischer Methoden und Ansätze bestehen jedoch aus oberflächlichen Sammlungen kaum nachvollziehbarer anekdotischer Evidenz. Die wenigen ernst gemeinten Versuche, die Realität esoterischer Phänomene wie z. B. Telepathie mit wissenschaftlichen Methoden zu belegen, stellten sich als fehlerhaft und nicht reproduzierbar heraus.

Daher konzentriert sich die Szene stärker darauf, ihren Kritiker_innen unlautere Motive zu unterstellen oder die Rahmenbedingungen des öffentlichen Diskurses zu verschieben. Unter anderem fordert sie, ihren Thesen den gleichen medialen Raum einzuräumen wie denen der wissenschaftlichen Seite. Damit nutzen die Esoteriker_innen geschickt die dem wissenschaftlichen Diskurs inhärente Offenheit und Pluralität, der zufolge alle wissenschaftlichen Aussagen zumindest bis zu einem gewissen Grad immer hinterfragbar sind und sein müssen.

Esoterik im Internet

Die Entstehung des Internets hat der Esoterikszene ein riesiges neues Betätigungsfeld und ein sehr mächtiges Verbreitungsinstrument geliefert. In der Pandemie hat seine Bedeutung für die Esoterik nochmals zugenommen. Die damals entstandenen Aktivitäten reichen von der Verbreitung von Falschinformationen über soziale Medien wie Facebook, Twitter oder YouTube über das Angebot gefälschter Impfpässe bis hin zu Plattformen zur Partnersuche für Ungeimpfte oder zur Ausreise in angeblich liberalere Länder wie Paraguay oder Bulgarien. Besonderen Aufwind erhielt der Messenger-Dienst Telegram, der sich durch hohe Sicherheitsstandards bei geringer Moderation auszeichnet und insofern eine ideale digitale Umwelt für Corona-Leugner_innen und Impfgegner_innen darstellt, die in ihren Kanälen u. a. behaupteten, Geimpfte würden Virenteilchen aussondern, die bei anderen Menschen Krankheiten auslösen.

Die Esoteriker_innen nutzen das Internet aber auch zur Verfolgung kommerzieller Interessen. So werden fragwürdige „Medikamente“ vermarktet, die bei Anwendung schwere Schäden auslösen können. Selbst auf seriösen Kaufplattformen wie Amazon und Ebay finden sich zahllose Angebote von esoterischen Produkten wie z. B. Hexenpüppchen.

Allerdings wehren sich auch immer mehr Menschen gegen diese Entwicklung und nutzen ihrerseits das Internet zur Aufklärung. Als Beispiele nennen die Autorinnen die homöopathiekritische Initiative „Globukalypse“ oder die Vergabe von Negativpreisen wie dem goldenen Aluhut. Großen Einfluss haben auch Accounts wie Facepalm Beach auf Instagram oder Professor Schwurbelstein auf Telegram, die auf der Basis wissenschaftlicher Informationen Kritik an Verschwörungserzählungen üben.

Gefahr der Bindung an Sekten

1997 begingen Mitglieder der Sekte Heaven‘s Gate – zu Deutsch Himmelstor – Selbstmord, um Zugang zu einem Raumschiff zu bekommen, das sie in einem damals die Erde passierenden Kometen vermuteten. Beispiele für ähnliche Massenselbstmorde gibt es in der Geschichte viele. Sie alle stehen am Ende einer langen Phase der Indoktrination, in der die Mitglieder in nahezu allen Bereichen ihrer Existenz den Regeln und der Führerschaft der Sekte unterworfen werden. Sich selbst oder andere aus diesen Umständen zu befreien, ist sehr schwer und gelingt meist nur mit professioneller Hilfe.

Oft merken die Opfer bei der ersten Kontaktaufnahme nicht, wohin die Reise geht. Erst nach und nach erfahren sie von den Zielen und den teils religiösen Vorstellungen und Anforderungen der Sekte. Als Beispiel nennen die Autorinnen die nach ihrem koreanischen Gründer benannte „Moon“-Sekte, die viele Mitglieder gnadenlos ausgebeutet hat, um ihre unter anderem auch antikommunistischen Ziele zu verfolgen.

Esoterik und Rechtsextremismus

Nicht alle Esoteriker_innen sind rechtsextrem, aber die Verbindungen sind zahlreich und reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. So vertrat eine der Gründungsgestalten der Esoterik, die russische Theosophin Blavatsky, eine Rassenlehre, die die weiße Rasse überhöhte und auch antisemitische Züge hatte. Ähnliche Elemente finden sich bei Rudolf Steiner.

Auch viele prominente Nationalsozialisten nutzten esoterische Konzepte, und noch heute findet man „braune Esoterik“, die sich gerne germanischer Symbolik wie Runen oder der sogenannten „schwarzen Sonne“ bedient. Ihre Anhänger_innen betrachten sich als Mitglieder einer rassisch überlegene Elite und rekurrieren auf die bereits genannte Karma-Lehre, um den Juden selbst die Schuld an der eigenen Verfolgung zu geben. Das Weltbild dieser Menschen ist manichäisch: Es teilt die Welt in Gut und Böse ein, wobei die Bösen natürlich die Anderen sind. Die Gesellschaftsvorstellungen der „braunen Esoteriker_innen“ sind autoritär, oft menschenfeindlich, sozialdarwinistisch und rückwärtsgewandt, gegen Fortschritt und Moderne.

Die neueste Form der Verbindung zwischen Esoterik und Rechtsextremismus findet sich in Verschwörungsideologien wie der vor allem in den USA verbreiteten QAnon-Bewegung, die bei der Erstürmung des Kapitols beteiligt war. Eine Gallionsfigur, die im Indianer-Look mit nacktem Oberkörper und Büffelhörnern auftrat, zeigt die Amalgamierung von alternativen und faschistischen Elementen.

Die Rolle der Esoterik in Krisenzeiten

In Zeiten von Katastrophen, Wirtschaftskrisen und Kriegen hat die Esoterik Hochkonjunktur. Sie blühte im Rahmen der Hexenverfolgungen in der kleinen Kaltzeit um 1600 auf, im Umfeld des Ersten Weltkriegs, als die Landreformbewegung aufkam, und im vergangenen Jahrhundert im Kontext der Hippie- und New-Age-Bewegung, die infolge der Sinnkrise der 1960er Jahre entstand. Nach Tschernobyl empfahlen einige Esoteriker_innen zum Schutz gegen atomare Bedrohungen die Stärkung der eigenen Strahlungsenergie, und in der Folge des Zusammenbruchs des Sozialismus in der Sowjetunion und in China sahen viele Esoteriker_innen einen großen Wachstumsmarkt im Osten. Als jüngstes Beispiel nennen die Autorinnen die Ahr-Flut, nach der einige Esoteriker_innen die Betroffenen mit fragwürdigen Präparaten und „energetisiertem“ Wasser versorgten, während andere die Opfer selbst für das Hochwasser verantwortlich machten – mit der Begründung, das Hochwasser sei die Folge blockierter innerer Energie.


buch|votum

Das Buch ist gut lesbar, sehr informativ und hat ein wichtiges und richtiges Ziel. Obwohl es die Leser_innen mit einer Fülle von Informationen überflutet, deren Relevanz für den Gesamtgang der Argumentation nicht immer klar erkennbar ist, stellt es einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Aufklärung über eine Gedankenwelt dar, die viele Menschen zu verdummen, verführen, entmündigen und in ihrer Gesundheit zu gefährden droht.

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