Dieser Prozess der „Lebensarbeit“ ist so weit vorangeschritten, dass es kaum mehr möglich ist, sich vorzustellen, was denn dieses „Etwas, das keine Arbeit ist“, sein könnte.
Dafür bietet sich der unter anderem von Michel Foucault und Jean-Luc Nancy geprägte Begriff des „Désouvrement“, also der „Ent-werkung“ an. Für eine linke Arbeitstheorie erweist er sich als vorteilhaft, da er den Gegensatz zur „Lebensarbeit“ auf den Punkt bringt: „Der Begriff verleiht Nicht-Arbeiten einen aktiven, positiven, sogar materiellen Charakter, und es ist – in unserem Verständnis – gerade dieser Aspekt des Nicht-Arbeitens, der immer mehr von der bestehenden Ordnung der Lebensarbeit verdrängt wird.“
Die „Ent-Werkung“ markiert die Frage dessen, was genau dann entsteht, wenn etwas keine Arbeit ist, etwas, das „vorgegebenen Bedeutungen und Zwecken widersteht“ – ein aktiver Zustand, in dem etwas völlig Neues und Unvorhergesehenes entsteht.
Aber was kommt nun, wenn der Kapitalismus irgendwann der Vergangenheit angehört, wenn unsere Gesellschaften dank Vollautomatisierung neu geordnet werden müssen? Antworten hierzu sind zunächst in der klassischen Post-Arbeits-Literatur zu finden. Darin wird ein sinnerfülltes Leben nach der Arbeit angepriesen: Indem wir uns demnach von unseren bezahlten Arbeitsplätzen befreien, sollen wir zum guten Leben finden – eine Vorstellung, die allerdings auf „struktureller Frömmelei“ beruht, denn sie macht uns eine Reihe von Vorschriften, wie dieses Leben eigentlich zu führen sei:
„Der springende Punkt ist, dass hier das Gute gemäß einer Reihe ungeprüfter moralischer und kultureller Imperative angepeilt wird.“
Das Problem dieses „präskriptiven Moralismus‘“ ist, dass das menschliche Begehren weder steuer- noch vorhersagbar ist. Auch die postkapitalistischen Verheißungen der Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley kranken an einem solchen falschen Verständnis des menschlichen Begehrens: Deren Apps und Produkte sind schließlich darauf angelegt, „Normen, Wünsche, Geschäftspraktiken und Vorurteile“ zu universalisieren. Der Fehler liegt genau in diesem Anspruch, denn Algorithmen können nur unser aktuelles Begehren befriedigen.
Allerdings: Digitaltechnologien sind keine „böse und pseudo-mythische Zerstörungsgewalt“. Für den radikalen linken Widerstand werden sie gute Dienste leisten können:
„Wenn wir [...] anerkennen, dass das unbändige Potenzial menschlichen Begehrens immer auf irgendeine Weise durch Technologien […] vermittelt und kanalisiert wird, dann könnten wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten, unsere sozialen Technologien neu zu artikulieren, anstatt dem Versuch anzuhängen, sie ganz loszuwerden.“
Kooperative oder öffentliche Non-Profit-Plattformen als Form widerständiger „Besitzergreifung“ sind dafür ein erster Schritt. Wichtig dafür ist aber, sich von jeglichen moralischen Vorstellungen zu lösen, wie das Leben nach dem Kapitalismus für jede_n Einzelne_n aussehen könnte. Nur dann ist „echte“ beziehungsweise „radikal sozialistische“ Demokratie“ möglich:
„Dementsprechend müssen wir uns auf das Vorläufige einlassen und so viel Raum wie möglich für Unterschiede und Eigenheiten, für Differenzen und Abweichungen in den prothetischen Wünschen einräumen, die wir brauchen, um in Richtung einer lebenswerten Zukunft in Gang zu kommen.“
In der Politik wird dies wohl zu einem „kreativen, demokratischen Agonismus“ führen, wie ihn die Politische Theoretikerin Chantal Mouffe formuliert hat. Dafür ist es notwendig, dass auch das Klassenbewusstsein wieder stärker in den Vordergrund rückt, das Diskriminierung, Sexismus und Rassismus wirksam politisch bekämpft und das sich nicht in der „Ästhetik der Gleichberechtigung“ beziehungsweise in symbolisch gehaltener Political Correctness erschöpft.