Abteilung Analyse, Planung und Beratung

Unterbringung von Geflüchteten: Die wohnungspolitischen Herausforderungen angehen

Ein Beitrag von Verena Hubertz MdB über Herausforderungen und Lösungsansätze



Bund, Länder und Kommunen müssen sich eng abstimmen, damit die kurzfristige Unterbringung und Versorgung der geflüchteten Ukrainer_innen gewährleisten werden kann. Eine zentrale Herausforderung hierbei ist die zügige Versorgung mit Wohnraum. Gleichzeitig müssen Maßnahmen ergriffen werden, um dem dauerhaften Mehrbedarf an bezahlbarem Wohnraum und dem damit einhergehenden Bedarf an sozialer Infrastruktur für eine gelingende Integration gerecht zu werden.

Die Aufgabe: Wohnraum und soziales Umfeld für Geflüchtete schaffen  

Eine große Aufgabe, die wir bei Abschluss des Koalitionsvertrags nicht vorhersehen konnten, ist die Versorgung der vielen Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen müssen. Der überwältigenden Hilfsbereitschaft in unserem Land ist es zu verdanken, dass die Aufnahme der Geflüchteten bisher so gut gelungen ist. Vor allem die Kommunen, die sich vor Ort um die Menschen in Not kümmern, stoßen aber bereits an ihre Belastungsgrenzen. Insbesondere die Großstädte, in denen die meisten Geflüchteten ankommen, stellt deren Unterbringung, Registrierung und medizinische Versorgung vor enorme Herausforderungen.

Mit der kurzfristigen Versorgung der Menschen, die bei uns Schutz suchen, wird es aber nicht getan sein. Denn selbst wenn der furchtbare Krieg bald vorbei sein sollte, werden viele der bei uns lebenden Ukrainer_innen in absehbarer Zeit nicht zurück in ihre Heimat können – denn viele Städte in der Ukraine sind schlichtweg zerstört.

Für die Wohnungspolitik bedeutet das, dass der ohnehin schon sehr hohe Bedarf an bezahlbarem Wohnraum noch weiter steigen wird. Um diesen Bedarf zu decken, müssen wir jetzt Maßnahmen auf den Weg bringen, die kurz-, aber auch mittel- bis langfristig genügend bezahlbaren Wohnraum für Geflüchtete schaffen. Wichtig ist, dabei auch integrations- und sozialpolitische Aspekte zu berücksichtigen. Aus den Erfahrungen von 2015 wissen wir, wie bedeutsam es ist, dass Geflüchtete zügig von der Gemeinschaftsunterkunft in die eigene Wohnung wechseln können. Das gilt aktuell ganz besonders, da viele der ankommenden Geflüchteten Frauen, Kinder und ältere Menschen sind und somit besonders schutzbedürftig.

Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, dass Geflüchtete aus der Ukraine künftig wie anerkannte Asylsuchende finanziell unterstützt werden und ab dem 1.6.2022 Zugang zur Grundsicherung nach Sozialgesetzbuch II (SGB II) bzw. SGB XII haben. Das ist absolut richtig, denn damit finanziert der Bund die Lebenshaltungskosten, einen Großteil der Unterkunftskosten, die Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesundheitsversorgung. Parallel sollte nun noch die soziale Infrastruktur wie Schulen, Kitas, Jugendfreizeiteinrichtungen, Spielplätze usw. ausgebaut werden.

Klare Regelungen zur Finanzierung der Unterbringung

Erster Ansprechpartner für die Kommunen sind die Länder. Wichtig ist, dass die Unterbringung der Geflüchteten nicht an Finanzierungsfragen scheitert. Erfreulich ist daher, dass Bund und Länder sich bereits auf ein erstes Paket zur finanziellen Unterstützung geeinigt haben: Insgesamt 2 Milliarden Euro stellt der Bund den Ländern und Kommunen für ihre Mehraufwendungen für die Geflüchteten zur Verfügung. Für den Fall, dass sich die Situation im Verlauf des Jahres signifikant verändern sollte, hat der Bund ergänzende Regelungen in Aussicht gestellt. Nun kommt es darauf an, dass diese Verabredungen zügig umgesetzt werden: Die Hilfen müssen schnell zu den Kommunen gelangen, und die mittelfristige Perspektive sollte bereits begleitend erarbeitet werden. Es ist unbedingt zu vermeiden, dass vorhandener Wohnraum nicht bezogen werden kann, weil die Übernahme der Kosten zwischen den verschiedenen Ebenen und Verwaltungen nicht geklärt ist.

Kommunen unterstützen, schnell Wohnraum bereitzustellen

Das kurzfristig von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gestartete „Sonderprogramm Flüchtlingseinrichtungen“, das Städte und Gemeinden bei der Schaffung, Modernisierung und Ausstattung von Einrichtungen für Geflüchtete unterstützt, ist ein wichtiger erster Schritt, um vor allem kurzfristig die Versorgung der Menschen mit Wohnraum zu gewährleisten. Das Programm ist seitens der Kommunen sehr nachgefragt. Daher hat die KfW das Programm auf 500 Millionen Euro aufgestockt. Der Bedarf an zinsgünstigen Krediten für kommunale Wohnungsbaugesellschaften und gemeinnützige Organisationen wird angesichts der enormen Herausforderungen weiter steigen. Zum Vergleich: 2015 stand ein Kreditvolumen in Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Überlegenswert ist, dieses Kreditprogramm im Neubau um eine Zuschussförderung zu ergänzen, die beispielsweise auch modulare Erweiterungs- oder Zusatzbauten fördert. Diese könnten dann bei Wegfall des Bedarfs zurückgebaut oder umgenutzt werden.

Damit die Kommunen die Unterkünfte schnell bereitstellen können, darf das Bauplanungsrecht kein Hemmnis sein. Die zügig von Bundestag und Bundesrat beschlossene Änderung von § 246 Absatz 14 des Baugesetzbuches (BauGB) war in diesem Zusammenhang eine wichtige Maßnahme, um pragmatisch und rechtssicher agieren zu können. Nun kann bei der Entstehung von Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder sonstigen Unterkünften für Geflüchtete oder Asylbegehrende bis zum 31.12.2024 von den Vorschriften des BauGB oder den aufgrund des BauGB erlassenen Vorschriften in erforderlichem Umfang abgewichen werden.

Aktuell gehen die geflüchteten Menschen aus der Ukraine vor allem in die Großstädte, in denen bereits viele Ukrainer_innen leben. Für eine Entlastung des dort oft ohnehin schon angespannten Wohnungsmarktes könnte es sorgen, wenn die Menschen verstärkt dort untergebracht würden, wo es eine hohe Aufnahmebereitschaft und genug freien Wohnraum wegen Leerstands gibt. Die grundsätzliche Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel, auf den sich Bund und Länder verständigt haben, ist sinnvoll und die geplante Einführung einer „Fachanwendung zur Registerführung, Erfassung und Erstverteilung zum vorübergehenden Schutz – FREE“ kann hierzu einen Beitrag leisten. Mithilfe von FREE soll eine nachvollziehbare Verteilung auf die Länder und Kommunen bereits vor der Registrierung im Ausländerzentralregister ermöglicht werden.

Es sollte sichergestellt sein, dass wir an Orten, in denen es zusätzliche Aufnahmekapazitäten gibt, möglichst flexibel bleiben und die aufnehmenden Kommunen begleitend finanziell unterstützen. Hierfür bietet sich ein ergänzendes wohnungspolitisches Förderprogramm an, welches gezielt die Ertüchtigung des Bestands bzw. die Nutzbarmachung von Leerstand unterstützt. Auch der Umbau von Gebäuden, die bisher nicht als Wohngebäude genutzt wurden, wäre sinnvoll. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse könnten in den kommenden Jahren unseren Städten und Gemeinden bei notwendigen Transformationsschritten zugutekommen. Die etablierte Bund-Länder-Städtebauförderung bietet bereits diese Möglichkeiten und könnte entsprechend verstärkt werden. Innerhalb der Städtebauförderung wären die Maßnahmen allerdings auf die von den Kommunen ausgewiesenen Fördergebiete beschränkt, weshalb auch ein gesondertes Programm in Betracht gezogen werden sollte oder aber eine Erweiterung des oben vorgeschlagenen KfW-Zuschussprogramms.

Quartiere und Nachbarschaften stark machen

Ein Bereich, in dem sich schon jetzt ein Mehrbedarf abzeichnet und in dem das bisherige Maßnahmenpaket der Bundesregierung in den kommenden Monaten ergänzt werden sollte, ist der Ausbau der sozialen Infrastruktur vor Ort in den Quartieren und Nachbarschaften. Von 2017 bis 2020 förderte der Bund den sozialen Zusammenhalt und die erfolgreiche Integration von geflüchteten Menschen in bestehende Quartiere sowie den begleitenden Ausbau sozialer Infrastruktur in Gebieten mit Wohnungsneubau mit 200 Millionen Euro jährlich. Ziel war es, allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Alter, ihrer Religion und ihrem Einkommen in ihrem Wohnumfeld die Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen. Über das Programm wurden Räume und Orte geschaffen, in denen Bildung, Begegnung, und Freizeitgestaltung ermöglicht wurden. Die Herausforderungen in den Kommunen sind heute und in den kommenden Jahren nicht weniger groß, als zwischen 2017 und 2020. Wenn wir beweisen, dass wir aus früheren Fehlern in der Integration gelernt haben und beispielsweise die Integration in den Arbeitsmarkt beschleunigen, dann sollten wir jetzt auch bei der sozialen Infrastruktur schnell die räumlichen, stadtentwicklungspolitischen Grundlagen für eine gelingende Integration schaffen. Ein neues Programm für Integration und gute Nachbarschaft, das ähnlich wie in der Vergangenheit ausgestattet ist, könnte in den kommenden Jahren wichtige investive Impulse setzen für den Ausbau von Bildungs- und Kultureinrichtungen – darunter Kitas, Schulen, Volkshochschulen und Bibliotheken, soziokulturelle Zentren, Bürgerhäuser und Stadtteilzentren sowie Freizeiteinrichtungen wie Spiel- oder Sportplätzen.

Das integrierte Konzept der Städtebauförderung kann und sollte hier als Lösungsinstrument einen wichtigen Beitrag leisten.

Sozialer Wohnungsbau – jetzt erst recht

Die neue Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, die Bemühungen zur Schaffung von zusätzlichem bezahlbarem Wohnraum zu beschleunigen und zu intensivieren. Das Ausspielen der unterschiedlichen Akteur_innen muss verhindert werden. Die deutliche Mittelerhöhung beim sozialen Wohnungsbau im Regierungsentwurf für den Haushalt 2022 und in der mittelfristigen Finanzplanung ist ein Riesenerfolg und schafft die nötige Planungssicherheit. Unser Ziel ist es, jetzt die dringend notwendige Trendumkehr im Bestand der Sozialwohnungen einzuleiten. Alleine in diesem Jahr sind dafür die finanziellen Mittel auf 2 Milliarden Euro verdoppelt worden. Bis 2025 erhöht sich die Summe auf 3,5 Milliarden Euro. Damit stellen wir sicher, dass wir unser Ziel, 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen im Jahr zu schaffen, erreichen können. Nun liegt der Ball bei den Ländern, diese Finanzzusagen in ihren eigenen Planungen zu berücksichtigen und zu nutzen. Es ist eine enorme Kraftanstrengung, aber Hand in Hand können wir das gemeinsame Ziel erreichen: genügend bezahlbarer Wohnraum für alle, die darauf angewiesen sind.

Planungssicherheit und Weitsicht

Mit allen genannten Instrumenten haben wir die Maßnahmen an der Hand, mit denen wir angesichts des stark gestiegenen Bedarfs relativ zügig mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen können. Es sollten jetzt schnell konkrete Beschlüsse gefasst und diese auch mit den nötigen Haushaltsmitteln ausgestattet werden, damit Planungssicherheit herrscht. Bei all dem ist es besonders wichtig, dass alle Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – an einem Strang ziehen. Auch dafür wird das bald startende Bündnis bezahlbarer Wohnraum wichtig sein. Es gibt viel zu tun, legen wir los!

 

Ansprechpartnerin in der FES: Lisa Pfann
 


Die Autorin

Verena Hubertz ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und dort stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion für Wirtschaft, Bau, Wohnen und Tourismus.



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