Von Christopher Unger
Shikiba Babori berichtet als freie Autorin aus Afghanistan
Im zehnten Kriegsjahr ist die Berichterstattung aus Afghanistan immer noch mangelhaft. Medien verlassen sich auf die Berichte freier Journalisten – ohne ihnen angemessenen Schutz und Unterstützung zu geben. Geschichten aus dem Land sind selten und deshalb umso wertvoller. Wenn Shikiba Babori sich in Fahrt redet, spürt sie manchmal, dass sie im Eifer am Ende des Satzes nicht das richtige Verb finden wird. Dann stockt sie einen Augenblick, blickt hilfesuchend in den Raum und ihre wilden, schwarzen Haare wippen um ihren Kopf herum.
Doch niemand springt ihr zur Hilfe, denn die Nachwuchsjournalisten im Raum hängen gebannt an ihren Lippen, saugen jeden ihrer Sätze auf. Für jene, die bisher höchstens über Hochzeitsmessen oder den Verkaufsoffenen Sonntag berichten durften, ist die 45jähige das Ideal einer Journalistin, der Inbegriff von Freiheit, Abenteuer und Reisen an die Enden dieser Welt.
Seit fast 10 Jahren berichtet Shikiba Babori regelmäßig aus Afghanistan, sie produziert Hörfunkstücke und -reportagen für den WDR, den Deutschlandfunk und die Deutsche Welle. Ein- bis zweimal pro Jahr reist sie dafür in das Land, in dem sie geboren wurde.
Es ist ein Land im Umbruch, sagt sie und klingt mehr wie eine Aktivistin als eine Journalistin. Die Presse in Afghanistan, sagt Babori, ist so frei wie niemals zuvor in der Geschichte. Aber es gibt noch viele, die nicht wollen, dass über ihre Verbrechen berichtet wird, Warlords und Leute, "die etwas nicht-Koscheres wollen", sagt sie, nachdem sie einen Moment nach einem Wort gesucht hat.
Afghanistan, das ist das Land ihrer Vorfahren. 1980, sie war gerade 14 Jahre alt und ihr Vater als Diplomat nach Bonn versetzt worden, entschied die Familie die Heimat, in die gerade die Rote Armee der Sowjetunion einmarschiert war, für immer zu verlassen. Babori wuchs in Deutschland auf, aber Afghanistan blieb für immer der Rahmen, in das ihr Bild von allen gesetzt wurde.
"Warum trägst Du kein Kopftuch?" fragte man sie so lange bis sie Islamwissenschaften studierte, und "Oh nein...", seufzte man mitleidsvoll, wenn sie nach dem 11.September 2001 erwähnte, dass sie vom Hindukusch stammt.
Es war zu dieser Zeit, Babori hatte gerade als freie Hörfunkautorin beim WDR angefangen, als sie das erste Mal als Journalistin dorthin fuhr. Ihre Familie war natürlich dagegen, aber davon hat sie sich nicht abbringen lassen.
Deutsche Medien sind nicht übermäßig interessiert an Geschichten aus Afghanistan. Seit im Juni der Korrespondent des Magazins "Stern" abgereist ist, hat keine deutsche Zeitung, keine Hörfunkwelle und keine Fernsehstation einen festen Korrespondenten dort, wo nach einem überstrapazierten Zitat des früheren SPD-Fraktionschefs im Bundestag und ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck Deutschlands Freiheit verteidigt wird.
Die Geschichten, die das deutsche Publikum zu lesen bekommt, stammen von Reportern, die in Nachbarstaaten tausende Kilometer entfernt sind oder embedded mit der Armee unterwegs sind. Oder aber wie Shikiba Babori auf eigene Rechnung fahren.
So ist Babori ein Beispiel für ein strukturelles Problem der Medien, dass freie Journalisten natürlich nicht auf eigene Rechnung als politische Beobachter in Afghanistan arbeiten, um Informationen und Analysen aus erster Hand zu liefern. Diese Seite der Berichterstattung fehlt dann aus dem Land, in dem Deutschland seit fast 10 Jahren Krieg führt – übrigens der längste Krieg mit deutscher Beteiligung seit dem Pfälzischen Erbfolgekrieg 1688.
"Wenn ich vor der Abreise eine Redaktion anrufe und frage, ob sie Interesse an Themen haben, winken alle ab", sagt Babori, "sie wollen keine Verantwortung übernehmen, wenn mir etwas zustößt." Im Ernstfall wäre sie dann nur eine freie Journalistin gewesen. "Aber wenn ich wieder zurückkomme und meine Geschichten anbiete, bekomme ich sie immer los."
Seit Jahren kümmert sie sich insbesondere um die Situation der Kriegswaisen, "soziopolitische Themen" nennt Babori das. Mit echter Politik will sie nichts zu tun haben, die interessiere sie nicht.
Was sie interessiert und begeistert, sind die Menschen, die alles auf sich nehmen, um die neue Freiheit zu ergreifen. Babori ist immer noch begeistert von den Teilnehmerinnen ihres ersten Workshops für Journalistinnen, den sie 2004 in Herat leitete. Es war mitten im Ramadan, dem islamischen Fastenmonat. Die Frauen hatten den ganzen Tag über nichts gegessen und getrunken, waren vormittags an der Universität gewesen und saßen dann nachmittags in ihrem Kurs. Es war gefährlich, weil niemand rausfinden durfte, was die Frauen dort machen – aber sie nahmen es trotzdem auf sich.
Um den Absolventen der zahlreichen Journalistenworkshops im Land eine Chance zu geben, ihr Können anzuwenden, hat Babori vor einigen Jahren Kalima-News gegründet. Kalima – arabisch für "Wort" – soll eine Plattform sein, auf der Afghanen selber über ihr Land berichten können. Wenn Leute in Deutschland an Afghanistan denken, hat das Land "immer so eine Träne um sich", sagt Babori. Vielleicht kann sie die mit ihrer Arbeit trocknen.