Medienwissenschaftler Leif Kramp über Crowd-Sourcing, Bezahlsysteme und unternehmerische Journalisten im Web 2.0
Von Christoph Henrichs
Herr Kramp, lesen Sie selbst regelmäßig Zeitung?
Ja, ich habe schon aus beruflichen Gründen mehrere Zeitungen und E-Paper abonniert, muss aber angesichts meiner wissenschaftlichen Arbeit regelmäßig auch den übrigen Blätterwald durchforsten, um mich gezielt über Neuigkeiten und Kontroversen zu medienrelevanten Themen zu informieren. Seit einiger Zeit gehören auch einige Internetblogs zu meiner Pflichtlektüre.
Auf BILDblog.de setzt man sich ja online mit den Printmedien auseinander...
Genau, das ist eines von vielen Beispielen. Dort konzentriert man sich ja hauptsächlich auf Fehler in der Berichterstattung der "Bild"-Zeitung. Mich interessiert bei diesen Blogs aber vielmehr: Wie funktionieren diese Blogs, was macht sie bei der breiten Nutzerschaft und einer Fachöffentlichkeit so erfolgreich? Und ist das eine sichere Zukunftsperspektive für den Journalismus im Internet?
Grundsätzlich stellt sich bei Internetblogs die Frage, wie die Konzepte finanziell verwirklicht werden können. Wie sieht dort die Entwicklung aus?
Es gibt eine Reihe von Bezahlsystemen, die sich langsam durchsetzen wie zum Beispiel Kachingle oder Flattr. Hierbei zahlt der Internetnutzer einen bestimmten Monatsbeitrag, der dann jeweils auf verschiedene registrierte Websites verteilt wird, die der Nutzer im Laufe des Monats angesteuert hat und für unterstützenswert erachtet. Gefällt ihm ein Artikel so sehr, dass er dafür gerne bezahlt, klickt er auf einen speziellen Button: Je nach Gesamtzahl der Klicks wird der Monatsbeitrag dann anteilig an die jeweiligen Websites ausgezahlt. Das sind zwar im Einzelnen nur Kleckerbeträge, doch haben manche Blogs damit schon mehrere hundert Euro eingenommen. Ein anderes Konzept verfolgt das US-Portal "Spot.us": Hier können freie Journalisten bei den Nutzern für eine Rechercheidee werben und auch gleich erklären, wie viel ihre Story kosten wird. Wenn sie den Nutzern gefällt, können diese dafür spenden. Wenn ausreichend Geld zusammenkommt, kann der Reporter loslegen.
Das bedeutet ja, dass Journalisten ihre Rechercheideen gekonnt bewerben müssen, um den Zuschlag zu bekommen.
Journalisten müssen generell dazu übergehen, verstärkt unternehmerisch zu denken. Sie müssen ihre Ideen und ihre Arbeiten besser verkaufen, nicht nur ihren Redaktionen, sondern auch ihren Lesern, Zuhörern und Zuschauern – und dafür bietet das Internet eine ideale Plattform. Selbst festangestellte Journalisten sollten sich davor nicht scheuen und sich in sozialen Netzwerken bewegen, denn auf diese Weise können sie einen sehr viel engeren Nutzerkontakt herstellen und Vertrauen aufbauen: Schließlich gehen heutzutage immer mehr Nutzer dazu über, lieber Nachrichten und Informationen nach dem Empfehlungsprinzip von vertrauten Personen zu bekommen, mit denen sie in direkten Dialog treten können.
Also sind Twitter, Blogs und Laienjournalismus keine Gefahr für die renommierten Printmedien?
Man kann natürlich nie absolute Aussagen über die zukünftige Entwicklung treffen, aber auf jeden Fall bieten die Onlinemedien viel versprechende Möglichkeiten. Ich denke in der Tat, dass die Vorteile des Internets in dieser Angelegenheit überwiegen. Über soziale Netzwerke entwickeln sich bisher unbekannte Linkökonomien, welche die Art und Weise, wie wir uns informieren, grundlegend verändern.
Diese verlinkten Artikel kommen oft von SPIEGEL Online und Konsorten und müssen ja von irgendjemand verfasst werden. Ist das die Rolle der Qualitätsjournalisten?
Gut, dass Sie diese Verbindung herstellen, denn dort liegt der Kern des Problems: Es handelt sich dabei tatsächlich in der Regel um Verweise auf Inhalte, die professionell von Journalisten erarbeitet wurden. Auch in der Zukunft wird man im Internet regelmäßig auf das angewiesen sein, was Journalisten produzieren – sonst müssten wir uns auf das verlassen, was Gelegenheitsmeinungsmacher in ihrer Freizeit bloggen, und das kann und darf nicht alles sein. Eine demokratische Gesellschaft braucht hauptamtliche und nach verbindlichen ethischen und moralischen Standards agierende Informationsvermittler. Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass im Journalismus einfach alles so weitergehen kann wie bisher: Immer mehr Nutzer wollen nicht nur journalistische Produkte konsumieren, sondern stärker in die Arbeit, in die Erstellung und Diskussion von Inhalten einbezogen werden.
Wie sähe denn eine Einbindung der User praktisch aus?
Da gibt es zum Beispiel das Konzept des sogenannten Crowdsourcing, das sich in Einzelfällen schon bewährt hat. Wenn man seine Nutzer ernst nimmt, kann man sie in die Themenfindung und Recherche einbeziehen, auch um wertvolle Hinweise und Einschätzungen zu bekommen. Gern wird hierbei das Beispiel der britischen Tageszeitung "Guardian" angeführt: Dort wurden die Leser um Mithilfe gebeten, als sich die Redaktion angesichts von mehreren hunderttausend Dokumenten zu Spesenabrechnungen der britischen Parlamentsabgeordneten schlichtweg überfordert war, diese Masse an Quellenmaterial zu bewältigen. Schließlich beteiligten sich so viele Leser an der gemeinsamen Auswertung, dass immer mehr Ungereimtheiten zu Tage kamen. Das ist freilich ein seltenes Beispiel, aber eines, das zeigt, welches Partizipationspotenzial vorhanden ist.
Wie lässt sich der Journalismus in Zukunft finanzieren, wenn die Grenzen so miteinander verfließen?
Da liegt ein großes Problem in der Expansion ins Internet: Guter Journalismus muss weiterhin bezahlbar angelegt sein. Es war ein Grundsatzfehler, dass die Zeitungen bei ihrem Gang ins Internet teilweise ihre Artikel eins zu eins im Netz abgebildet und sie kostenlos erreichbar gemacht haben. Einige, wie etwa die Axel-Springer-Presse, nehmen das mittlerweile schrittweise zurück. Ein Geschäftsmodell für die Zukunft wäre, dass der Großteil der Artikel weiterhin frei verfügbar wäre, die tagesaktuellen Nachrichten, Reportagen und Interviews sich allerdings in einem kostenpflichtigen Premium-Bereich beziehungsweise eben in der Zeitung befinden würden. Dabei spricht man von einem "Freemium"-Prinzip.
Und damit können die finanziellen Sorgen der Zeitungen gelöst werden?
Bisher war es so, dass die Online-Aktivitäten von Zeitungshäusern in der Regel vom Mutterblatt querfinanziert werden mussten. Dieses Verhältnis wird sich aber tendenziell wandeln, vielleicht sogar umkehren, wenn in Zukunft effektive Erlösmodelle entwickelt werden, mit welchen Journalismus im Netz selbsttragend finanziert werden kann. Es wird ja auch immer wieder diskutiert, ob es eine bundesweite Gebühr für öffentlich-rechtlichen Printjournalismus geben sollte. Ein solcher Gebührentopf ist durch die fehlende Akzeptanz in der Pressewirtschaft, aber vor allem auch durch die Verteilungsproblematik kaum praktikabel, doch zur Förderung des Qualitätsjournalismus wäre es durchaus eine Option. In erster Linie sind jedoch die Verleger gefragt, die wieder ihre leidenschaftlich für guten, für einen starken Journalismus entdecken und die Renditen einmal zurück stellen, um ihre Redaktionen nicht weiter durch Rationalisierungsdruck zu verunsichern, sondern mit Experimentierfreude an der Zukunft des Journalismus zu arbeiten.
Die Zeitungsauflagen sinken, also werden Stellen gekürzt. Je weniger Redakteure bleiben, desto mehr fürchten sie ihren Arbeitsplatz, desto überforderter sind sie, desto mehr verlieren Sie Raum an das Internet. Ist das nicht ein Teufelskreis?
Ich denke, dass die Entlassungen in einigen Verlagshäusern aufgrund der wirtschaftlichen Situation durchaus erklärbar sind, auch wenn sie zum Teil präventiven Charakter haben. Dies wurde jedoch nicht in ausreichendem Maße damit verbunden, den verbleibenden Mitarbeitern in den Redaktion Mut zu machen und ihnen zu vermitteln, dass die Durstrecke nun zu Ende sei, sondern es wieder bergauf gehen soll. Ein solches Einfühlungsvermögen und Motivationsbemühungen vonseiten der Verlagsführung an die Redaktionen sind essentiell notwendig, um die tiefe Verunsicherung der Journalisten zu bewältigen: Unter der Angst vor Jobverlust leidet nicht nur der Journalist, sondern auch die Qualität seiner Arbeit.
Herr Kramp, wie geht es denn weiter mit den Zeitungen und dem Internet?
Der kontinuierliche Auflagenrückgang der Tageszeitungen in Deutschland wird sich voraussichtlich fortsetzen. Auch weitere Einschnitte sind wahrscheinlich, da es noch einige Zeit dauern wird, bis stabile Konzepte für journalistische Angebote im Internet entwickelt wurden, die auf eigenen Füßen stehen können und crossmediale Synergien ausschöpfen. Ich glaube aber nicht, dass das Medium Zeitung gänzlich verschwinden wird. Doch vermutlich wandelt sie sich zu einem Luxusgut: Dort findet dann der geneigte Leser all das, was er im Internet nicht findet: Ausgeruhte, tiefgehende Geschichten, Hintergründe, Essays – für solche Alleinstellungsmerkmale wird sich immer eine zahlende Kundschaft finden.