Smart City: Wie Digitalisierung die Verwaltung verändert

Bochum treibt mit der Formulierung klarer Ziele eine zukunftsorientierte Stadtentwicklungspolitik voran.

Digitalisierung  |   4. September 2023   |   Bericht von Dietmar Kramer  |  Lesezeit: 3 Minuten

„Keine Schönheit, vor Arbeit ganz grau und ´n Pulsschlag aus Stahl“ – Bochums Charakteristika in der bald 40 Jahre alten Stadthymne des einheimischen Kult-Liedermachers Herbert Grönemeyer sind heute nichts mehr als ein überholtes Klischee. Tief im Westen nämlich hat sich die Universitätsstadt nicht nur optisch zur gleichsam schon in den 80er Jahren besungenen Blume im Revier gemausert, sondern auch zu einem Innovationszentrum – und vor allem zu einem Schrittmacher in Nordrhein-Westfalen für die Digitalisierung besonders auch auf Verwaltungsebene. Im renommierten Smart-City-Index 2022 des Digitalverbandes „bitkom“ für Deutschland erreichten die Westfalen auf Rang acht im zweiten Jahr nacheinander eine Top-10-Platzierung.

Für eine ehemalige „Malocher-Stadt“ ist dieses Ergebnis alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Auch vor dem Hintergrund der misslungenen Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes für eine flächendeckende Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen bis Ende 2022 erscheint Bochums Aufstieg zur smartesten City im Ruhrgebiet umso bemerkenswerter. Das Bochumer „bitkom“-Ranking ist allerdings weniger ein Momentum als vielmehr das Ergebnis von entschlossener und zukunftsorientierter Stadtentwicklungspolitik. Verwaltung und Politik arbeiteten bereits 2017 die „Bochum Strategie 2030“ als übergeordneten Handlungsrahmen aus.

Deutschlandweit einzigartige Stabsstelle

Der fortschrittliche Kompass für Fragen sozialer, wirtschaftlicher, demografischer und ökologischer Natur umfasste auch schon digitale Projekte, ehe 2020 die Weichenstellung für die Digitalisierung erfolgte: Durch das an die „Bochum Strategie 2030“ angepasste „Smart City Konzept“ mit dem Leitspruch „Bochum. Zukunftsfähig. Bürgernah“ kamen alle Bereiche der Stadtbereiche und Daseinsvorsorge auf den digitalen Prüfstand. Die daraus und aus einer Bürgerbefragung abgeleiteten fünf Themen mit jeweils drei Handlungsfeldern bieten der Stadt und ihren Akteur_innen, wie Oberbürgermeister Thomas Eiskirch sagt, „einen konkreten Handlungsrahmen für die gemeinwohlorientierte Nutzung der Digitalisierung“.

Geradezu einen städtischen Digitalisierungs-Booster stellt die 2021 installierte „Smart City Innovation Unit (SCIU)“ dar. In der interdisziplinären Organisationseinheit unter der Leitung von Bochums Chief Digital Officer Denes Kücük arbeiten insgesamt 16 Beschäftigte vor allem aus den für digitale Fragen relevanten Bereichen der Stadt und ihrer kommunalen Beteiligungsgesellschaften. Wichtigste Aufgaben der deutschlandweit einzigartigen Stabsstelle für Digitalisierung in einer kommunalen Verwaltung ist Forcierung von Schlüsselthemen des technologischen Fortschritts und die Entwicklung von für Bochum wegweisenden Projekten. Darüber hinaus ist aufgrund des Knowhows aller Mitarbeiter_innen ein umfassender Wissensaustausch gewährleistet.

Die Einbindung aller kommunalen Unternehmen mit ihrem breiten Tätigkeitsspektren macht den Prozess der Digitalisierung auch als Querschnittsaufgabe erkennbar. „Im Konzern Stadt versteht sich die Unit als Anlaufstelle, Lotse, Impulsgeber und Partner für städtische Fachbereiche und die kommunalen Unternehmen“, lautete die offizielle Beschreibung der SCIU bei ihrer Gründung.

Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen als Gemeinschaftsprojekt

Rein strukturell scheint Bochum weitgehend sehr gut aufgestellt, besonders auch auf dem Feld der ausdrücklich erwünschten Digitalisierung und Vereinfachung von Bürger-Services. Im Smart-City-Index für das vergangene Jahr jedenfalls erreichte Eiskirchs Team bei der Bewertung von acht Faktoren zur Bemessung von Verwaltungsleistungen für „interne Prozesse“ das Maximum von 100 Punkten sowie in drei weiteren Bereichen jeweils deutlich mehr als 80 Zähler.

„Erfolgsfaktoren für eine Smart City sind ein engagiertes Rathaus, eine Digitalstrategie, klare Strukturen, ein starkes lokales Netzwerk und das Engagement der Bevölkerung. Unabhängig von der Größe und der Finanzkraft ist es entscheidend, dass Politik und Verwaltung anpacken. Es braucht den Willen und die Fähigkeit, in der gesamten Stadt Begeisterung für die Digitalisierung auszulösen“, betonte „bitkom“-Präsident Achim Berg Ende 2022 die bedeutendsten Faktoren für eine gute Index-Platzierung als Motivation für modernisierungswillige Städte.

Vergleichsmöglichkeiten bietet Bochum nach Kücüks Ansicht in jedem Fall: „Wir haben tatsächlich Top-Voraussetzungen für unsere Digitalisierungsziele. Unser Verwaltungsvorstand mit dem Bürgermeister an der Spitze, die Dezernenten und die Leitungen der Ämter stehen der Thematik Digitalisierung grundsätzlich sehr offen gegenüber.“ In Bochum werde das Thema nicht nur von oben forciert, sondern auch von unten durch die gesamte Belegschaft: „Dadurch wird auch viel aus starken IT-, Personal- und Orga-Bereichen heraus dezentral angestoßen. Wir wissen außerdem durch die ‚Bochum Strategie 2030‘ und das ‚Smart City Konzept‘, was wir wollen und was wir dafür tun müssen. Wobei entscheidend ist, dass wir die Strategien auch ernstnehmen, verfolgen, kontrollieren und weiterentwickeln. Ein wichtiger Faktor sind außerdem die Verbindungen innerhalb des Stadtkonzerns. Das stärkt das Wir-Gefühl, weil alle Bochum digitaler machen wollen.“

Wandelteam treibt die Kulturveränderung voran

Ein Selbstläufer ist die Digitalisierung im Bochumer Rathaus, wo die Ausstattung mit Geräten zur digitalen Bearbeitung von Aufgaben unabhängig von Positionen ist, allerdings auch nicht. „Es müssen alle Ebenen an einem Strang ziehen, damit die notwendigen Prozesse umgesetzt werden können. Aber zu unserer Strategie gehörte auch, mit einem klaren Kompass Menschen zu suchen, die diesen Ansprüchen gerecht werden können. Es ist in der Breite aber auch weiterhin massive Kärrnerarbeit, die Belegschaft zu überzeugen, Dinge und Abläufe zu verändern und neu zu denken“, berichtet Kücük. Ein Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung der Bochumer Zukunftsstrategien ist seiner Meinung nach auch die Installierung eines sogenannten Wandelteams, das insbesondere die Kulturveränderung in der Verwaltung durch Digitalisierung vorantreibt.

Auf Veränderungen mussten sich auch die Menschen in Bochum erst einmal einstellen. Kücük und seine SCIU ist aber offenbar gelungen, die „Kundschaft“ der Verwaltung auf die Reise in die digitale Zukunft mitzunehmen. „Die meisten leben ja schon quasi digital, und wenn wir gute Prozesse anbieten und darüber informieren, nehmen die Menschen das nach und nach auch an“, schildert der CDO seine Erfahrungen.

Gerne wäre Kücük beim Ausbau des digitalen Rathauses schon weiter. Doch ganz konnte sich Bochum den Problemen bei der OZG-Umsetzung auch nicht entziehen: „Manche Gesetze, die wir benötigen, sind noch nicht verändert oder noch gar nicht geschrieben. Wir setzen darauf, dass Bund und Land bald notwendige Regelungen treffen und wir dadurch die Digitalisierung bei uns weiter vorantreiben können.“

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