Wie kam es zu diesem Buch? Gab es einen auslösenden Moment?
Mitte März erreichte uns in der Friedrich-Ebert-Stiftung die Nachricht, dass ein Lockdown zur Eindämmung der Corona-Pandemie erforderlich ist. Wir mussten die für April geplante 7. Kulturpolitische Jahrestagung zum Thema „Kultur(politik) als Aufruf!“ mit über 40 Referent_innen in den Herbst/Winter verschieben. Das war hart. Wir hatten über fünf Monate an der Tagung gearbeitet und standen kurz davor, die Einladungen zu versenden.
In der Zeit des anschließenden Homeoffice/Homeschooling und dem Experimentieren mit neuen Formaten, die Begegnung und Austausch im digitalen Raum ermöglichen sollten, war es mir sehr wichtig, mit anderen Akteur_innen meines Arbeitsumfelds in Verbindung zu bleiben. Und so bat ich die Referent_innen der Kulturpolitischen Jahrestagung, mit mir ihre Gedanken zum Umgang mit Corona und den Einfluss auf ihren künstlerischen Prozess zu teilen. Einige der Angesprochenen antworteten sofort – in Form von Auszügen aus Corona-Tagebüchern, kurzen Einschätzungen zur aktuellen Situation und auch Ausblicken, welche Bedeutung diese besondere Zeit für unser künftiges Miteinander haben könnte.
Ein Buch entsteht: Wie kam die Auswahl genau dieser 25 Geschichten zustande?
Die Texte berichteten sehr eindringlich von schmerzhaften Erfahrungen mit der Pandemie, deuteten aber auch auf die Chancen hin und wiesen Wege in die Zukunft: Sie stellten Echoräume des Schocks dar. Schnell wurde mir klar, dass es bei diesem Thema viel zu diskutieren und gesamtgesellschaftlich zu verhandeln gibt. Die Idee, aus all diesen Texten eine Anthologie zu gestalten, war geboren und schnell in die Tat umgesetzt.
Ich öffnete den Autor_innenkreis und fragte gezielt von mir wertgeschätzte Autor_innen an. Zudem nahm ich Kontakt zu Autor_innen auf, auf deren Artikel oder Kolumnen ich aufmerksam wurde, da ich die behandelten Themen relevant fand. Darunter waren Texte und Fotos über die Hygienedemonstrationen, die Rolle der Medien oder auch Fragen über zunehmende Ungleichheit und wachsenden Rassismus.
Wichtig war mir bei der Zusammenstellung , dass die Vielfalt der Gesellschaft abgebildet wird und möglichst verschiedene biografische Hintergründe und Erfahrungen vertreten sind. Die Mehrheit der Beiträge ist dabei von Frauen verfasst. Dieser Anspruch ist in unserer Stiftung Programm. Ich wollte damit bewusst auch ein Zeichen gegen die größtenteils männlich dominierten Anthologien der Corona-Zeit setzen.
Der Dietz-Verlag hat dann wunderbarer Weise diese Anthologie sehr schnell in sein Programm aufgenommen und drucken lassen. Nun ist daraus - vier Monate später - ein Buch entstanden.
Welche Impulse kann dieses Buch geben – in Zeiten von Corona, aber auch darüber hinaus?
Das Buch kann Anregungen geben, über den eigenen Tellerrand zu schauen und Empathie für andere Lebensrealitäten zu wecken. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Positionen von Kulturschaffenden und Kreativen – einem Bereich, der sehr stark von den Einschränkungen betroffen war und auch weiterhin sein wird. Es werden Hoffnungen für einen gesellschaftlichen Wandel formuliert, den wir in der Corona-Zeit gestalten können, und auch konkrete Anregungen dafür gegeben: wie die Stärkung kultureller und gesellschaftlicher Räume, nachhaltigeres Leben und Wirtschaften, das demokratische Aushandeln der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Zudem stehen Überlegungen im Mittelpunkt, wie Kunst und Kultur stärker gefördert und gestärkt werden können und müssen. Es lohnt, über den Wandel nachzudenken und ihn aktiv mitzugestalten, um in einer Zeit großer Unsicherheit und Verunsicherung nicht antidemokratischen Strömungen und Verschwörungserzählungen aufzusitzen.
Das Buch zeigt zudem mittels zweier Fotostrecken die Möglichkeiten der Kunst, auf einen Ausnahmezustand zu reagieren:
"Das Unbekannte, das man derzeit mit Zahlen, Statistiken, Kurven und Fakten zu bändigen versucht, ist ein traumatisches Ereignis von so unvorstellbarer und überwältigender Kraft, dass es vielleicht erst viel später in einer anderen Sprache, z.B. mit der Sprache der Kunst, verarbeitet werden kann. Im besten Fall registriert, informiert oder erregt Kunst nicht nur, sondern bietet einen symbolischen Raum, in dem krisenbedingte, emotionale Verluste eine Form und einen Widerhall finden können." (Andreas Rost)
Wir wünschen den Echoräumen möglichst viele Leserinnen und Leser und freuen uns auf Ihre Anregungen und Anmerkungen!