COVID-19 in Katar - Gewerkschaftlich erkämpfter Gesundheitsschutz rettet Leben

Albert Yuson, Generalsekretär der Bau- und Holzarbeiter-Internationale (BHI), gibt Einblicke zur Situation ausländischer Arbeitskräfte in Katar.

FES: Mitte März wurde Katars größtes Camp für Arbeitsmigranten [1] von der Regierung des Golfstaates  abgeriegelt. Über 100 Fälle von COVID-19 führten zu einer  regelrechten  Inhaftierung von Tausenden von Arbeitskräften. Wie ist die aktuelle Situation vor Ort?

Albert Emilio  Yuson: Am 1. April kündigte die Regierung von Katar an, dass die Quarantäne in diesem Gebiet, in dem schätzungsweise 40.000 ausländische Arbeitskräfte leben, die im wesentlichen auf Baustellen arbeiten, fortgesetzt wird. Berichten zufolge gibt es angemessene Lebensmittelrationen und auch Kliniken, die den Zugang zu medizinischer Versorgung sicherstellen, aber auch  einige logistische Probleme. Die Regierung hat erklärt, dass die unter Quarantäne gestellten Arbeitskräfte weiterhin ihre Gehälter erhalten werden. Wir wissen, dass die Quarantäne strikt durchgesetzt wird. Einige Tage nach Beginn der Quarantäne wurde berichtet, dass 150 Arbeiter nach Nepal deportiert wurden, angeblich wegen Verstoßes gegen die Quarantänebestimmungen. 

Augenzeugen vor Ort berichteten, dass die Polizei- und Militärpräsenz zugenommen habe und dass die Absperrungen in den Tagen vor der Ankündigung der Quarantäneverlängerung verstärkt worden seien. Diese Vorkehrungen lassen darauf schließen, dass die Quarantäne auf unbestimmte Zeit fortgesetzt wird und lösen zweifellos Angst und Schrecken bei den Arbeitern aus. Es ist nicht bekannt, ob sie über ausreichende Kenntnisse verfügen, um Maßnahmen zu ergreifen, die die Ausbreitung von COVID-19 innerhalb des Camps verhindern. Dies ist sowieso schwierig, denn die Arbeiter leben zumeist in großer räumlicher Nähe zueinander. Hinzu kommt, dass selbst wenn sie über  Social Distancing und andere Sicherheitsvorkehrungen informiert sind, die Einhaltungen der Vorschriften auch aus psychologischen Gründen immer schwieriger werden dürfte, je länger die Quarantäne andauert. 

Abgesehen von den 100 Arbeitskräften, die Mitte März positiv getestet wurden, gab es noch keine weiteren Informationen über Corona-Infizierte in dem Camp. Die Regierung von Katar teilte jedoch mit, dass 85 Prozent der 835 in Katar registrierten COVID-19 Fälle in Quarantäne sind. Daher befürchten wir, dass sich eine große Anzahl der Infizierten in dem Camp befinden. Dies könnte zu einer Katastrophe führen, wie wir sie die auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess erlebten, nur mit viel schlechteren Lebensbedingungen und einer potentiell viel größeren Zahl von Menschen, die als migrantische Arbeitskräfte darüber hinaus bereits Teil einer gefährdeten Gruppe sind.

Als Bau- und Holzarbeiter Internationale führen wir auf den Baustellen der Infrastrukturprojekte, die im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar entstehen, seit längerem gewerkschaftliche Aktivitäten durch. Aufgrund der von uns in diesem Rahmen eingeführten Überprüfung der Arbeits- und Lebensbedingungen bei Bau- und Erschließungsarbeiten im Rahmen von Mega-Sportereignissen, wohnen die von uns organisierten Arbeiter nicht in dem jetzt betroffenen Camp, sondern in Einrichtungen, die vom Obersten Rat für Organisation und Nachhaltigkeit (SCDL), dem Organisationsorgan für die Infrastruktur der Fußball-Weltmeisterschaft 2020, genehmigt wurden. Es ist allerdings durchaus möglich, dass Beschäftigten von Subunternehmen der Projekte, in denen wir die gewerkschaftliche Organisation vorantreiben, in dem unter Quarantäne gestellten Camp leben. Einschränkend muss ich jedoch sagen, dass selbst in den von uns besuchten offiziellen Vorgaben entsprechenden Unterbringungsmöglichkeiten, viele Menschen auf engem Raum zusammenleben. Außerdem sind die Unterkünfte aufgrund der extremen Hitze in Katar klimatisiert, so dass selbst die hier Untergebrachten einem erheblichen Risiko ausgesetzt sind.

Im Rahmen ihrer Sportkampagne hat BHI kontinuierlich daran gearbeitet, die Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen für Bauarbeiter auf  Infrastrukturprojekten globaler Sportveranstaltungen zu verbessern. Sind diese Maßnahmen jetzt im Umgang mit einer globalen Pandemie hilfreich?

Unser Ansatz in der „Global Sports Campaign for Decent Work“ war ein starker Fokus auf Gesundheit und Sicherheit auf den Baustellen. In dieser schwierigen Zeit erweist sich das als sehr hilfreich insbesondere auch zum Schutz der Arbeiter auf den Infrastrukturprojekten zur Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar.  

Die BHI hat eine Kooperationsvereinbarung mit Katars Oberstem Rat für Organisation und Nachhaltigkeit (SDCL) geschlossen, und wir haben gemeinsam Sicherheits- und Gesundheitsschutzinspektionen („occupational health and safety“) an Projektstandorten und in Unterkünften für Arbeitskräfte durchgeführt. Just in der Woche unserer gemeinsamen Inspektionen in Katar hat die Regierung mit der Einführung von Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 begonnen, und wir konnten sicherstellen, dass die Arbeitnehmervertretungen in den inspizierten Infrastrukturstandorten Probleme und Bedenken der Arbeitskräfte in Bezug auf die Krise ansprechen konnten. Während unserer Sitzungen erläuterten Vertreter_innen der Unternehmen Maßnahmen, die ergriffen wurden, um die Arbeitskräften vor der Ausbreitung des Virus zu schützen.

Dies war ein guter Anfang, denn dadurch hatten die von uns eingerichteten Ausschüsse eine gute Grundlage für die Fortsetzung ihres Engagements vor Ort. Um auf die Frage zurückzukommen: Ja, unser Fokus auf Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz war sehr hilfreich in Qatar, denn zweifellos hat er die Unternehmen, die die ausländischen Arbeitskräfte einsetzen, stärker dazu befähigt, adäquat und im Sinne der Beschäftigten auf die Krise zu reagieren. Darüber hinaus haben die von uns geschaffenen Kommunikationsstrukturen zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten dazu beigetragen, dass es bereits bewährte Formate gibt, um notwendige Maßnahmen zu diskutieren und Probleme zu lösen.

Vorerst werden wir nicht direkt vor Ort aktiv sein können, aber BHI wird weiterhin Gesundheits- und Sicherheitsfragen bei den Infrastrukturprojekten für die Fußball-Weltmeisterschaft genau überwachen. Derzeit können wir keine gemeinsamen Inspektionen vor Ort durchführen, werden aber in Kürze ein virtuelles Treffen mit dem SCDL-Team zum Thema Arbeitssicherheits- und Gesundheitsmaßnahmen durchführen und dabei auch Kriterien für die Schließung eines Standorts festlegen, für den Fall, dass das Infektionsrisiko zu groß wird.

Ein weiteres Ergebnis unseres Engagements sind außerdem Zusammenschlüsse von Arbeitsmigranten sowie ein gemeinsames Forum von Arbeiterführern, das von BHI unterstützt wird. Das Arbeitsministerium hat sich mit diesem Forum getroffen, um ihnen Informationen über die Maßnahmen weiterzuleiten, die die Regierung Katars im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie ergreift. Ziel war es, dass die Arbeiter über diese Zusammenschlüsse darüber aufgeklärt werden, wie sie sich schützen können.

Wie andere Länder hat Katar umfangreiche Programme gestartet, um seine Wirtschaft in der  Krise zu unterstützen. Welche Maßnahmen ergreifen die Regierung und Unternehmen, um die arbeitende Bevölkerung, von der 95 Prozent ausländische Arbeitskräfte sind, zu schützen und ihnen zu helfen?

Die Regierung Katars hat wie viele andere Regierungen Schritte unternommen, um den privaten Sektor mit Anreizen in Höhe von etwa 21 Milliarden US-Dollar zu unterstützen. Für den privaten Sektor gibt es weitere Initiativen wie Aufschübe bei der Rückzahlung von Darlehen und die Befreiung von Mieten und anderen Dienstleistungen. Weitere 830 Mio. Dollar wurden den Unternehmen zur Zahlung von Gehältern zur Verfügung gestellt. Die Regierung hat Lebensmittel und medizinische Lieferungen von Zöllen befreit, unter der Bedingung, dass sich dies im Preis dieser Waren widerspiegelt, was allen in Katar helfen wird, auch Arbeitsmigrant_innen.

Die Regierung hat allen Beschäftigten versichert, dass sie weiterhin Löhne erhalten werden, auch wenn sie unter Quarantäne gestellt werden oder durch den kürzlich in Katar eingeführten teilweisen Lockdown nicht arbeiten können. Bei diesem wurden Unternehmen angewiesen, das Personal um 80 Prozent zu reduzieren. Hausangestellte sollen während dieser Zeit gar nicht arbeiten. Wir begrüßen zwar die Zusicherung der Regierung, dass Arbeitskräfte weiterhin ihre Löhne erhalten werden, aber wir werden die Regierung auffordern, zu überwachen, dass dies tatsächlich von den Arbeitgebern umgesetzt  wird. Zwischenzeitlich hat die Regierung eine Hotline eingerichtet, über die Beschäftigte Probleme melden können. Allerdings haben wir Beschwerden gehört, dass die Leitung nicht funktioniert. Von daher fordern wir mehr Anstrengungen der Regierung insbesondere eine  wirksamere Aufsicht, die sicherstellt, dass die Bezahlung entsprechend der staatlichen Vorgaben erfolgt. 

Die Arbeiten an den Infrastrukturprojekten für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 sowie an großen Straßenprojekten werden jedoch fortgesetzt. Unklar ist derzeit, ob andere Bauarbeiten, wie zum Beispiel Hotelprojekte im Zusammenhang mit der WM wie gewohnt weiterlaufen werden. Dies ist eine schwierige Zeit für die Arbeitskräfte. Die einen befürchten, krank zu werden und unterstützen daher einen vollständigen Shutdown, während andere weiterarbeiten möchten, weil sie Einkommenseinbußen befürchten.

Auf den von uns überwachten Baustellen werden Vorsichtsmaßnahmen getroffen. So berichten Arbeiter, dass ihre Körpertemperatur täglich gemessen wird, und sie mit Masken und Handschuhen ausgestattet wurden. Allerdings ist es zu früh, um Aussagen darüber zu treffen, ob diese persönliche Schutzausrüstung tatsächlich auch getragen wird.  

Das Social Distancing hat sich als schwierig erwiesen. Während bei der Essensausgabe ein Abstand von 1,5 Metern einzuhalten ist und die Zahl der Menschen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Kantine sein können, reduziert wurde, wird ansonsten dieser Abstand nicht beachtet.  Dies könnte eine Verringerung der Zahl der Arbeitskräfte vor Ort zu einem späteren Zeitpunkt erfordern.

Am 2. April erklärte die Regierung von Katar, dass die Zahl der Menschen, die transportiert werden, um die Hälfte reduziert werden muss, damit das Social Distancing in Bussen möglich ist. Vor kurzem hat das Arbeitsministerium eine Richtlinie veröffentlicht, zu der auch die Begrenzung des  Arbeitstages auf sechs Stunden gehört. Die Regierung reagiert also auf neue Entwicklungen. Die von uns vor Ort geschaffenen Strukturen spielen eine wichtige Rolle bei der Ermittlung und Bewältigung von Risiken, die von COVID-19 am Arbeitsplatz ausgehen und bei der Überwachung der Umsetzung der im Zuge der Pandemie eingeführten staatlichen Anforderungen.

Katar, Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 und eines der weltweit wichtigsten Zielländer von Arbeitsmgrant_innen, hat diese Woche seine Grenzen für Ausländer geschlossen. Was bedeutet das für die Herkunftsländer der Arbeitskräfte?

Es ist derzeit sehr ungewiss, wie sich Reisebeschränkungen während der Pandemie auf die Freizügigkeit von Arbeitskräften aus dem Ausland auswirken werden. Im Moment scheint es, als dass keine neuen Arbeitsmigrant_innen kommen können, und mit der Zeit wird dies die Zahlungen von Rücküberweisungen in die Herkunftsländer der Arbeitskräfte beeinflussen. Auf der anderen Seite ist auch Katar sehr stark auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. Ich bin daher sicher, dass mit der Zeit hier ein Verfahren gefunden wird, damit Arbeitskräfte aus dem Ausland weiter in Katar arbeiten können, möglicherweise mit einer Art Quarantänezeit vor der Arbeitsaufnahme.

Es wird viele herausfordernde ethische und moralische Fragen zu lösen geben, da die Pandemie die Welt weiterhin im Griff hat und migrantische Arbeitskräfte besonders gefährdet sind.

 

[1] Laut eines Sonderberichtes des IGB (Internationalen Gewerkschaftsbundes) lebt auch eine geringe Anzahl von Frauen, die keine Ehemänner haben, und Kinder in den Lagern. Bestimmte Tätigkeiten, vor allem auf dem Bau, werden allerdings nur von Männern ausgeführt. Die Verwendung der männlichen Form verweist an den jeweiligen Stellen im Text somit auf die männlichen Arbeitskräfte in diesen Tätigkeitsbereichen.

 

Bild: Qatar gas von Lisa Leonardelli lizenziert unter CC BY-SA 2.0


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