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09.12.2020

"Eine Reform des Ehegattensplittings ist wichtig"

Gespräch mit Dr. Katharina Wrohlich vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Bild: Dr. Katharina Wrohlich von DIW Berlin/F. Schuh

Bild: von picture alliance / dpa | Julian Stratenschulte

FES: Das Thema Abschaffung des Ehegattensplittings ist ein Dauerbrenner in der politischen Debatte für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Warum ist es so wichtig? Und warum ist es so schwierig, daran etwas zu ändern?

Dr. Katharina Wrohlich: Eine Reform des Ehegattensplittings ist wichtig, weil es – in Kombination mit den steuerlichen Regelungen der Minijobs und der beitragsfreien Mitversicherung für Ehepartner_nnen in der gesetzlichen Krankenversicherung – starke finanzielle Anreize für das Modell „Mann Vollzeit, Frau Teilzeit oder Minijob“ setzt. Diese Aufteilung der Erwerbsarbeit bei Paaren ist ein wesentlicher Grund für die vielen geschlechtsspezifischen Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt. Dazu zählt der Gender Pay Gap, also die Verdienstlücke zwischen Mann und Frau, vor allem aber auch der Gender Pension Gap, also die Rentenlücke. Als wesentliche Institution des Steuerrechts zementiert das Splittingverfahren zudem stereotype Zuschreibungen bezüglich der Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen. Eine konsequente Gleichstellungspolitik muss daher nicht nur an Geschlechterquoten für Führungspositionen und Partnermonate beim Elterngeld denken, sondern auch das Steuerrecht reformieren. Warum es so schwierig ist, das Ehegattensplitting in Deutschland zu reformieren, ist schwer zu sagen. Auf steuerrechtlicher Ebene ist die Debatte in Deutschland sehr stark von der Vorstellung geprägt, dass private Unterhaltsverpflichtungen die steuerliche Leistungsfähigkeit mindern und daher entsprechend großzügig berücksichtigt werden müssen. Auf einer anderen Ebene spielt vermutlich eine Rolle, dass viele verheiratete Menschen in Deutschland ihren Splittingvorteil überschätzen. Der Splittingvorteil ist nur hoch für Paare mit einem Einkommen oder wenn einer oder eine der beiden nur ein Minijob-Einkommen hat – meistens die Frauen. Sobald beide Partner_innen ein ordentliches Einkommen haben, schmilzt der Vorteil schnell dahin. Das ist wohl vielen nicht bewusst.

Welche Stellschrauben müssen bei einer Reform berücksichtigt werden, um nicht nur eine bessere Verteilung der Steuerlasten zwischen Männern und Frauen zu erreichen, sondern auch sozialpolitisch wichtige Akzente zu setzen?

Viele Vorschläge, die derzeit auf dem Tisch liegen, sehen in irgendeiner Form eine Kappung der hohen Splittingvorteile für Paare mit besonders hohen Einkommen vor. Etwa der Vorschlag eines Realsplittings und der Vorschlag einer Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag oder Ehezusatzfreibeträgen zielen darauf ab. Dadurch würden fiskalische Mittel frei, die für sozialpolitische Maßnahmen eingesetzt werden könnten.

Wie würden vor allem Familien aus dem unteren Einkommenssegment von einer Reform profitieren?

Das hängt entscheidend davon ab, wie die fiskalischen Mittel, die durch die Reform frei werden, umverteilt werden. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin hat häufig vorgeschlagen, diese Mittel für familienbezogene Leistungen wie das Kindergeld oder Investitionen in den quantitativen und qualitativen Ausbau der Kinderbetreuung zu nutzen. Davon könnten sehr viele Familien profitieren, und es würde zusätzlich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern.

Es gibt unterschiedliche Vorschläge für eine geschlechtergerechtere Steuerpolitik, das DIW Berlin hat sich diese Vorschläge vergleichend angeschaut. Zu welchem Fazit sind Sie gekommen?

Eine Reform des Ehegattensplitting muss verschiedene Anforderungen unter einen Hut bringen: Steuervorteile für Alleinverdiener-Paare mit sehr hohen Einkommen sollen abgebaut werden, ebenso wie die Steuerbelastung für Zweitverdienende, zudem sollen untere und mittlere Einkommensgruppen nicht stärker belastet werden. Nicht zuletzt soll das neue System auch einfach verständlich sein. Unser Fazit aus all dem ist, dass ein Realsplitting – wie das derzeit auch bei geschiedenen Ehepartner_innen praktiziert werden kann – mit einem Übertragungsbetrag in Höhe des Grundfreibetrags ein guter Kompromiss wäre.

Ein Beispiel zuunserem Kompromissvorschlag: Ein Ehepaar, indem z.B. der Mann ein zu versteuerndes Einkommen von 45.000 Euro hat und die Frau von 10.000: Hier bezahlt derzeit die Frau auf jede 100 Euro, den sie brutto zusätzlich verdient, Einkommensteuer in Höhe von knapp 31 Euro. In unserem Vorschlag würde diese Belastung auf 26 Euro sinken.

Und eine Frage für alle, die jetzt noch Zweifel haben: Was kann man denen sagen, die bei einer Reform Angst haben, Vorteile zu verlieren?

Wer am Ende gewinnen oder verlieren wird, hängt entscheidend von der Verwendung der Steuermehreinnahmen ab, die eine Reform des Ehegattensplittings erst einmal mit sich bringen würde. Man könnte allgemein den Einkommensteuertarif senken, monetäre Leistungen oder Sachleistungen für Familien mit Kindern ausbauen – da sind der Phantasie kaum Grenzen gesetzt. Um eine einfache Rechnung zu machen: Wenn man die gesamten Mittel als Kindergelderhöhung an alle Eltern mit Kindern umverteilen würde, dann gäbe es kaum Familien mit Kindern, die verlieren würden, höchstens Alleinverdiener-Paare mit sehr hohen Einkommen. Unter den Verlierer_innen wären dann aber auch Paare, die keine Kinder (mehr) und dennoch eine ungleiche Aufteilung der Einkünfte haben – überwiegend Besserverdiener der älteren Generation.

 

Katharina Wrohlich ist Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am DIW Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Evaluation von Familien- , Steuer- und Sozialpolitik sowie Analysen von Gender Gaps am Arbeitsmarkt. Katharina Wrohlich ist seit 2002 am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin tätig.

 

Redaktion

Dr. Stefanie Elies

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