Klimawandel, Energie und Umwelt

Corona und Geflüchtete in Asien: Eine Krise vor dem Ausbruch 

Regierungen, Geldgeber und humanitäre Organisationen müssen jetzt handeln, um die potenziell katastrophalen Auswirkungen auf Geflüchtete zu mildern.

*Dieser Artikel erschien im Original in Englisch als Teil des FES Asia Corona Brief

Rund 3,5 Millionen Geflüchtete leben in der Asien-Pazifik-Region, geflohen vor Konflikten und Verfolgung in ihren Heimatländern. Für sie stellt COVID-19 eine besonders hohe Gefährdung dar: Sie haben häufig nur beschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung und Hygieneartikeln, leben in Umgebungen mit hoher Bevölkerungsdichte, in denen soziale Distanzierung keine Option ist, und kämpfen mit bereits bestehenden Erkrankungen, die sie einem höheren Risiko für Sterblichkeit und Infektionshäufigkeit aussetzen. Die größten Gruppen in Asien sind afghanische Geflüchtete, die im benachbarten Iran und Pakistan leben, sowie die muslimischen Rohingya aus Myanmar, die nach Bangladesch geflohen sind.  

Ein potenzieller Hotspot: Rohingya-Flüchtlingscamp in Cox’s Bazar

Nirgendwo zeigt sich diese Verwundbarkeit deutlicher als im Rohingya-Flüchtlingscamp im Cox’s Bazar-Bezirk in Bangladesch, einem der größten Camps der Welt mit fast 900.000 Geflüchteten. Der erste Fall von COVID-19 wurde am 24. März in der Stadt Cox’s Bazar gemeldet. Bis heute wurden keine offiziellen Fälle in den Camps identifiziert. Die Behörden schlagen jedoch Alarm, dass ein Ausbruch katastrophal sein könnte. Eine Studie der Johns-Hopkins-Universität prognostiziert rund 500.000 Fälle innerhalb der ersten 12 Monate in den Lagern, wobei die Krankenhauskapazitäten innerhalb von zwei bis fünf Monaten überstiegen sein könnten.  

Der schwierigen Umstände in einem der ärmsten Länder des Globalen Südens begünstigen die Übertragung. Pro Quadratkilometer leben rund 40.000 Menschen, mehr als das 40-fache der durchschnittlichen Bevölkerungsdichte von Bangladesch. Mehr als die Hälfte der Haushalte verfügt nicht über genügend Wasser, um ihren Grundbedürfnissen wie Händewaschen nachkommen zu können. Seit Jahresbeginn wurden rund 175.000 Fälle von akuten Atemwegsinfektionen registriert, was die Leichtigkeit der Übertragung von Infektionskrankheiten in den Lagern unterstreicht. Mehr als 31.500 Rohingya sind älter als 60 und damit Teil der von COVID-19 besonders betroffenen Risikogruppe. Traditionelle Bestattungspraktiken, die einen engen sozialen Kontakt beinhalten, können ebenfalls die Verbreitung des Virus erleichtern. Da die Aufbewahrung von Lebensmitteln in den kleinen Zelten nicht möglich ist, müssen die Menschen gezwungenermaßen jeden Tag ihre Behausungen verlassen, um Lebensmittel zu besorgen. Diese Herausforderungen werden durch einen Mangel an Intensivstationsbetten und null Ventilatoren im gesamten Cox’s Bazar Bezirk mit drei Millionen Einwohner_innen verschärft.  

Ein zentrales Problem ist der Mangel an verlässlichen Informationen und begrenzten Kommunikationskanälen. Da Internet- und Telefonzugang in den Lagern weitgehend nicht verfügbar sind, ist es schwierig, das Bewusstsein und den Informationsaustausch über das Virus und Verhinderungspraktiken zu stärken. Angst, Besorgnis und Fake News sind die Folge – wie beispielsweise das gefährliche Gerücht, wonach symptomatische Personen, die sich in einer Gesundheitseinrichtung vorstellen, angeblich getötet würden. Das Vertrauen der Geflüchteten und Dienstleister_innen war bereits vor der Pandemie gering und scheint nun weiter zu schwinden. 

Die gute Nachricht ist, dass sich sowohl die Regierung Bangladeschs als auch humanitäre Organisationen auf eine Reaktion vorbereiten. Zum Beispiel arbeiten UNHCR und Partner daran, 1.900 Betten für Geflüchtete zur medizinischen Versorgung hinzuzufügen, Hilfsorganisationen richten Desinfektionsstellen ein und die Sensibilisierungsbemühungen werden durch die Mobilisierung von Freiwilligen in der Gemeinde, Radioprogrammen und mit Megafonen ausgestatteten Tuk-Tuks erweitert. 

Handlungsbedarf in der gesamten Asien-Pazifik-Region 

Es muss jedoch noch viel mehr getan werden, um die Übertragungsrisiken zu minimieren und schutzbedürftige Geflüchtete, ebenso wie Aufnahmeländer, zu unterstützen – nicht nur in Cox’s Bazar, sondern für Gelüchtete überall in Asien und auf der ganzen Welt. Afghanische Geflüchtete etwa, von denen zwei Millionen seit über drei Jahrzehnten in Pakistan und Iran leben, befinden sich in der größten anhaltenden Fluchtsituation weltweit. Darüber hinaus sind in Asien und Afrika die höchsten Zahlen städtischer Geflüchtetengruppen – sei es in Kuala Lumpur, Kabul oder Kathmandu – konzentriert.  

Einige dringende Maßnahmen, die Geber- und Hilfsorganisationen sowie nationale Regierungen ergreifen sollten, sind: 

  • Ausreichende Finanzierung von COVID-19-Hilfsaufrufen und umfassendere humanitäre Reaktionspläne (z. B. wird der gemeinsame Reaktionsplan 2020 für die humanitäre Krise der Rohingya derzeit nur zu 17 % finanziert);
  • Breites Testen von Geflüchteten und der Bevölkerung in Aufnahmeländern; 
  • Beschaffung und Vertrieb von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) in großem Umfang;  
  • Einbeziehung von Geflüchteten, Binnenvertriebenen und Staatenlosen in die nationalen COVID-19-Reaktionspläne;  
  • Partnerschaft mit Geflüchteten in der Entwicklung wirksamer Sensibilisierungs- und Vertrauensbildungsmaßnahmen zwischen Behörden, Gesundheitsdienstleister_innen und Geflüchteten. 

Inklusive Antworten sind entscheidend

Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Reaktionsbemühungen inklusiv sind und auf die besonderen Bedürfnisse vulnerabler Gruppen eingehen, insbesondere von Frauen und Mädchen, LGBTIQ+-Personen, Behinderten und älteren Menschen. Diese Gruppen sind besonders gefährdet, unter anderem aufgrund ihres traditionell eingeschränkten Zugangs zu Informationen und Diensten, der in Krisenzeiten noch weiter schrumpfen kann. Das Leben von Frauen und Mädchen ist nicht nur durch COVID-19 gefährdet, sondern auch durch häusliche Gewalt: Die Vereinten Nationen warnen, angesichts der weltweit rapide angestiegenen Berichte über häusliche Gewalt, vor einer „Schattenpandemie“. Hilfsorganisationen sollten aus den geschlechtsspezifischen Auswirkungen etwa von früheren Ebola-Ausbrüchen lernen. Die Geber müssen Mittel bereitstellen und die Unterstützung für Schutzmaßnahmen priorisieren, insbesondere von lokalen Frauen- und LGBTIQ+-Gruppen, welche Hilfsangebote zur Prävention und zum Umgang mit Gewalt in den Mittelpunkt stellen.

Eile ist geboten: Regierungen, Geldgeber und humanitäre Organisationen müssen jetzt handeln, um Leben zu retten und die potenziell verheerenden Auswirkungen von COVID-19 für Geflüchtete und ihre Aufnahmeländern überall in Asien zu mildern.

 

Autorin:

Dr. Sarah Chynoweth ist die Gründerin und Direktorin des Projekts für sexuelle Gewalt bei der Women’s Refugee Commission. Zuvor war sie als Beraterin für Notmaßnahmen bei der International Planned Parenthood Federation für den asiatisch-pazifischen Raum tätig und unterstützte den Kapazitätsaufbau von Anbietern reproduktiver Gesundheit in 28 Ländern der Region. Sie lebt mit ihrer Familie in Kuala Lumpur, Malaysia. 

++ Die in dieser Blog-Serie geäußerten Ansichten sind nicht unbedingt die der Friedrich-Ebert-Stiftung.


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