Klimawandel, Energie und Umwelt

100 Jahre Internationale Arbeitsorganisation, 100 Jahre Kampf für sozialen Schutz

Die ILO etalierte das Recht auf soziale Sicherheit. Wie wichtig ihre Empfehlung für sozialen Basisschutz ist, erläutert Ebenezer Durojaye.

Anlässlich des 100. Geburtstags der Internationale Arbeitsorganisation (engl. International Labour Organization, ILO) veröffentlicht die Global Coalition for Social Protection Floors ein Statement, in dem sie den Weg hin zu sozialem Basisschutz für alle Menschen skizziert. Wir sprachen mit Ebenezer Durojaye aus der Coalition darüber, warum soziale Sicherung eines der wichtigsten Themen unserer Zeit ist - und welchen Rolle die ILO dabei spielt.

FES: Welche Rolle spielt soziale Sicherung für die ILO, und was hat sie bis heute erreicht?

Ebenezer Durojaye: Die Frage der sozialen Absicherung steht schon seit ihrer Gründung im Jahr 1919 ganz oben auf der Agenda der ILO. Heute ist sie bei diesem Thema weltweit der wichtigste Bezugspunkt. Durch ihre Erklärung von Philadelphia wurde im Jahr 1944 erstmals international anerkannt, dass es ein Recht auf soziale Sicherheit gibt. Seitdem hat die ILO eine ganze Reihe internationaler Instrumente etabliert, darunter Empfehlungen und Konventionen, die das Recht auf soziale Sicherung weiterentwickeln. Insbesondere ist der General Comment 19 zum Recht auf soziale Sicherung des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte stark von den Normen und Standards geprägt, die die ILO entwickelt hat. Weil sich die ILO jahrelang dafür eingesetzt hat, gibt es heute einen neuen Zweig im Völkerrecht, nämlich das Völkerrecht der sozialen Absicherung.

Bis heute ist das Übereinkommen über Soziale Sicherheit (Mindestnormen) der ILO aus dem Jahr 1952 ein Meilenstein. Es ist einzigartig nicht nur in Bezug darauf, wie es soziale Sicherheit definiert, sondern auch, weil es Hilfestellungen dafür bietet, soziale Sicherungssysteme aufzubauen. Das Übereinkommen etabliert ein breites Verständnis von sozialer Sicherheit, indem es soziale Sicherung neun Feldern zuordnet: Gesundheit, Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit, Arbeitsverletzungen, Unterstützung von Familien und Kindern, Mutterschaft, Behinderung, sowie Überlebende und Waisen.

Was sind soziale Basisschutzsysteme und was tut die Global Coalition for Social Protection Floors, der Sie angehören?

Im Jahr 2012 hat die ILO das Übereinkommen mit ihrer Empfehlung 202 zu Sozialen Basisschutzsystemen (engl. Social Protection Floors) weiterentwickelt: Sie erweitert die soziale Absicherung, indem sie nationale Basisschutzsysteme einführt, die für alle Menschen den Zugang zumindest zu grundlegender Gesundheitsversorgung und Einkommenssicherheit über die ganze Lebensdauer hinweg garantieren. Außerdem macht sie Menschenrechte zum Ausgangspunkt der sozialen Sicherung.

Die Global Coalition for Social Protection Floors setzt sich für das Recht auf soziale Absicherung für alle Menschen ein, die in einem Staat leben – unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Unserer Auffassung nach sind soziale Basisschutzsysteme das Schlüsselinstrument, um das Gesamtziel der UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Die Coalition ist ein weltweites Netzwerk ohne Hauptsitz, Sekretariat oder Spendenabteilung. Sie arbeitet mit der ILO, dem UN-Inter Agency Board zu sozialem Basisschutz und anderen Organisationen und trägt zu internationalen und regionalen Foren bei.

Warum ist soziale Sicherung so wichtig auf dem Weg dahin, die nachhaltigen Entwicklungsziele zu erreichen?

Wir sind davon überzeugt, dass soziale Absicherung eine der Grundlagen für inklusive, gerechte und nachhaltige Entwicklung ist. Mit ihr können wir die wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Dimensionen von nachhaltiger Entwicklung und dem Schutz der Lebensgrundlagen zugleich angehen.

Das übergeordnete Ziel der UN ist es, Armut zu beenden. Das können wir nur erreichen, wenn alle Staaten weltweit, gerade die ärmeren, gewährleisten, dass auch verletzliche und benachteiligte Gruppen in den Genuss von sozialer Absicherung kommen. Wenn gut koordinierte soziale Sicherungsprogramme aufgelegt werden, leistet das einen großen Beitrag dazu, Armut und Ungleichheit innerhalb eines Landes zu reduzieren und die sozio-ökonomischen Rechte verletzlicher und marginalisierter Gruppen zu realisieren. Beispielsweise trägt soziale Sicherung dazu bei, Ernährungsunsicherheit zu reduzieren und fördert somit das Recht auf angemessene Nahrung. Außerdem können gute Maßnahmen auch dabei helfen, das Recht auf Bildung von verletzlichen und marginalisierten Kindern zu realisieren. Das zeigt sich deutlich bei Geldtransfer- und Schulspeisungsprogrammen. Noch wichtiger ist, dass soziale Sicherungsprogramme den Zugang zu Gesundheitsversorgung erleichtern und die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit und Armut abmildern können, etwa durch Geldtransfers oder andere Arten der Unterstützung bei Arbeitslosigkeit.

Der Coalition zufolge ist universeller sozialer Basisschutz in Reichweite. Was muss auf nationaler und auf globaler Ebene geschehen, damit er überall Realität wird?

Auf allen Ebenen müssen sich Politiker_innen klar zu sozialem Basisschutz bekommen. Statt reiner Lippenbekenntnisse müssen sie dringend beginnen, Gelder für nachhaltige und gerechte soziale Sicherungsprogramme zur Verfügung zu stellen, die auf internationalen Menschenrechtsstandards basieren.

Zuletzt: Was sind Ihre Geburtstagswünsche an die ILO?

Die ILO hat das Recht auf soziale Sicherung entscheidend vorangebracht. Nun hoffen wir darauf, dass sie sich weiter dafür einsetzt, dass alle Menschen weltweit Zugang zu sozialer Absicherung bekommen. Vor allem ist zu hoffen, dass die ILO weiterhin dafür kämpft, die Menschenrechte weltweit zum Ausgangspunkt für soziale Sicherungssysteme zu machen.

 

Ebenezer Durojaye ist Wissenschaftler und Leiter des Socioeconomic Rights-Projekts am Dullah Omar Institute der Universität des Westkaps in Südafrika.


Ansprechperson

Sarah Ganter
Sarah Ganter
+49 30 26935-7430

FES@COP28

Klimagerechtigkeit und Just Transition bei der Weltklimakonferenz 2023 in Dubai: Berichte und Einschätzungen weiter

Position

Unsere sechs Botschaften für die Internationale Klima- und Energiepolitik weiter