Frieden und Sicherheit

Die Schonfrist ist vorbei

Nach zwei Monaten im UN-Sicherheitsrat kommt Deutschland auf Touren: Richard Gowan im FES Webcast über die anstehende Präsidentschaft.

In ihren ersten zwei Monaten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) trat die Ständige Vertretung Deutschlands unter der Leitung von Botschafter Christoph Heusgen gut vorbereitet auf. In den gegenwärtig akuten Krisen profilieren konnte sie sich aber noch nicht, etwa hinsichtlich der Lage in Venezuela und der Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo. Dies könne sich angesichts der anstehenden deutsch-französischen „Doppelpräsidentschaft“ ändern, so die vorsichtig optimistische Prognose von UN-Experte Richard Gowan in der ersten Episode von „Draht zum Rat“, dem neuen Webcast der FES New York.

Deutschland und Frankreich: Gemeinsame Präsidentschaft für humanitäre Hilfe

Als Zeichen der Kooperation planen Deutschland und Frankreich, was es im UN-Sicherheitsrat bislang noch nicht gegeben hat: Da im März Frankreich, danach im April Deutschland den Vorsitz innehat, streben beide Länder eine "Doppelpräsidentschaft" an. Sie werden Themenschwerpunkte gemeinsam über beide Monate bearbeiten. Einer davon wird die Stärkung der humanitären Hilfe sein – sowohl völkerrechtlich als auch praktisch in Krisen. Dies ist thematisch umso wichtiger, als dass Deutschland im Rat zusammen mit Belgien und Kuwait für das Komitee für die humanitäre Hilfe in Syrien zuständig ist.  Die gemeinsame deutsch-französische Abstimmung könnte einen Vorgeschmack auf die post-Brexit-Politik beider Länder im Sicherheitsrat sein.

Offene Gesprächskanäle mit Russland

Trotz zunehmenden Säbelgerassels gilt Deutschland laut Gowan im Rat weiterhin als Land, welches die Gesprächskanäle in Richtung Russland offen hält. Sollte es jemals zu einer Friedenslösung im Donbass kommen, dann nur unter deutscher Mithilfe auch im Sicherheitsrat, schätzt der Experte.

Was das Ende des INF-Vertrags für den Sicherheitsrat bedeutet

Ein weiteres Thema, das sich auf den UN-Sicherheitsrat auswirken wird, ist die Kündigung des INF-Vertrags durch die USA und Russland, in dem die Vernichtung aller nuklearer Mittelstreckensysteme vereinbart war. Das ist zwar kein unmittelbares Thema für den Sicherheitsrat, denn solche Abrüstungsverträge werden außerhalb der UN verhandelt. Dennoch wird das INF-Ende Folgen haben: Wenn sich die fünf permanenten Mitglieder des Rates, allesamt Atommächte, nicht länger auf einen Kernbestandteil des atomaren Kontrollregimes verständigen können, dann wird die ohnehin schon schwierige Zusammenarbeit auch für andere Bereiche komplizierter.

So wird US-Präsident Trump es wesentlich schwerer als noch im Jahr 2017 haben, die anderen Vetomächte, vor allem China und Russland, davon zu überzeugen, Druck auf Nordkorea auszuüben, nachdem die letzte bilaterale Verhandlungsrunde zwischen dem Land und den USA ergebnislos blieb. Druck auf Nordkorea auszuüben. Für Deutschland ist dies insofern relevant, weil es im Rat den Vorsitz des Sanktionsregimes für Nordkorea übernommen hat.

Frauen, Frieden und Sicherheit

Auch wird Deutschland zusammen mit Peru die Expert_innengruppe zum Thema „Women, Peace and Security“ leiten. Was das in der Praxis heißt, bleibt abzuwarten. Deutschland sollte auf jeden Fall den UN-Generalsekretär dabei unterstützen, Führungspositionen weiter geschlechterparitätisch zu besetzen. Auch bei den länderspezifischen Anhörungen könnte Deutschland sich an dem vorbildlichen Vorgehen Schwedens im vergangenen Jahr orientieren. Die schwedische Ständige Vertretung hatte so viel Expertise von Frauen wie möglich zu den im Rat behandelten Konflikten einbezogen.

Kaum Aussichten auf einem permanenten Sitz im Sicherheitsrat

Wenig Hoffnung sah Gowan für einen permanenten, deutschen Sitz im Sicherheitsrat, wie er unlängst wieder im deutsch-französischen Vertrag von Aachen vorgeschlagen wurde. Einerseits ist fraglich, wie politisch sinnvoll dies für eine repräsentativere Zusammensetzung des Rates wäre, in dem Europa schon jetzt überrepräsentiert ist. Andererseits treten China und andere Länder ohnehin weiter auf die Bremse. Statt dieses Projekt weiterzuverfolgen, sollte Deutschland seine beträchtlichen politischen Ressourcen in das Hier und Jetzt investieren: Sie werden für die Krisen im real existierenden Multilateralismus dringend gebraucht.


Mehr "Draht zum Rat"

Wir bleiben dran am Sicherheitsrat! Neue Folgen von „Draht zum Rat“ erscheinen voraussichtlich im April, Juni und Oktober 2019 zu folgenden Themen: Deutschlands Vorsitz des Sicherheitsrats, Verlängerung des MINUSMA-Mandats, Frauen, Frieden und Sicherheit.

Wollt Ihr mehr Informationen und Benachrichtigungen über neue Folgen? Dann schreibt an die Leiterin unseres New Yorker Büros, Luise Rürup, oder unseren Sicherheitsexperten in New York, Volker Lehmann.

 

Die Gesprächspartner in "Draht zum Rat" #1:
Richard Gowan
ist Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations. Im Vorfeld der deutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat veröffentlichte die FES seine Perspektive „Der heiße Stuhl – Was kann Deutschland im Sicherheitsrat erreichen?“, die er im Video-Interview vorstellte. In Episode #1 von "Draht zum Rat" spricht er mit Luise Rürup, Leiterin des FES Büros in New York.

Der Autor:
Volker Lehmann
ist Senior Policy Analyst mit Schwerpunkt internationale Friedens- und Sicherheitspolitik bei der FES New York.


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Konstantin Bärwaldt
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+49 30 269 35-7410
Fokus Zeitenwende der Friedrich-Ebert-Stiftung: Eine neue Ära

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