Friedrichs Bildungsblog

Dreisatz für die Bildung

Wir müssen unsere wichtigste Ressource besser finanzieren, besser verteilen und besser organisieren.

Jochen Ott


Viele tausend Schülerinnen und Schüler in Deutschland sagen es uns jeden Freitag: Der Klimawandel ist die größte globale Herausforderung unserer Zeit. Und sie haben Recht. Schließlich geht es um die Lebensgrundlagen dieser und folgender Generationen. Aber richtig ist auch: Wer den Klimawandel erfolgreich bekämpfen will, der braucht gute Ideen, und er braucht Menschen, die diese Ideen umsetzen: in Politik und Gesellschaft, aber auch in Wirtschaft und Technik. Kurzum: Menschen mit Bildung.

Die größer werdende soziale Ungleichheit und Spaltung in der Gesellschaft verunsichern zusätzlich. Immer mehr Menschen betrachten Politik und Demokratie mit Misstrauen. Rechtspopulisten versuchen mit einfachen Antworten und menschenverachtenden Positionen diese Gefühlslage für sich zu nutzen. Politik darf dabei nicht zuschauen, und es braucht Menschen, die deutliche Antworten auf Radikalisierung und Populismus geben. Kurzum: Menschen mit Bildung.

Und das gilt für jede nur denkbare Problemstellung unserer Zeit. Immer und überall ist Bildung die Voraussetzung für alles Weitere. Vor allem aber ist sie die Voraussetzung für dauerhaften sozialen Frieden: Nur eine Gesellschaft, die all ihren Mitgliedern Chancengerechtigkeit bietet, wird auf Dauer Bestand haben und in der Lage sein, die Innovationen hervorzubringen, die notwendig sind, um die Probleme zu lösen.

Es geht um den elementaren Grundsatz der Gerechtigkeit und das Versprechen sozialer Aufstiegsmöglichkeiten für alle – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Es geht aber auch schlicht um den bestmöglichen Weg zu Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit. Unter den Bedingungen der Globalisierung kann es sich ein Land wie Deutschland gar nicht leisten, irgendein Talent ungenutzt zu lassen. Mit sogenannten Leistungseliten allein werden wir die Herausforderungen nicht meistern. Stattdessen müssen wirklich alle ihr Bestes geben können – damit es uns allen gut geht.

Doch so klar und einfach das ist, so schwierig ist die Praxis der Bildungspolitik. Überall herrscht Mangel: Mangel an Geld und Mangel an guter Organisation. Damit sich das ändert, müssen wir an drei Stellen ansetzen. Wir brauchen einen neuen Dreisatz für die Bildung.

Der erste Satz lautet: Gute Bildung braucht gute Finanzierung!

Vorrangiges Ziel in der Bildungspolitik für ein Land wie Nordrhein-Westfalen – davon bin ich persönlich überzeugt – muss sein, dass das bevölkerungsreichste Bundesland endlich auch massiv in Bildung investiert - in die Schulgebäude, in die Ausstattung der Schulen sowie in die Lehrer_innenausbildung und –fortbildung.

Stattdessen gibt Deutschland pro Jahr weniger für Bildung aus als der Durchschnitt anderer OECD-Länder: In Deutschland sind es 4,3% des Bruttoinlandsprodukts, im OECD-Durchschnitt 5,2%. Um auf das Durchschnittsniveau der OECD-Länder zu kommen, müsste Deutschland pro Jahr 30 Milliarden Euro mehr für Bildung ausgeben. Und NRW investiert noch weniger als der Bundesdurchschnitt. Das muss anders werden: Die SPD in NRW will deshalb den Bildungsetat sukzessive erhöhen und am Ende Spitzenreiter im Bundesvergleich werden.

Dabei zählt nicht allein die Höhe der Beträge. Es kommt vor allem darauf an, dass das Geld nach dem Prinzip der Bildungsgerechtigkeit ausgegeben wird. Zunächst heißt das, dass wir Bildung im gesamten Lebensverlauf beitragsfrei machen. Und es heißt, dass bei größeren Herausforderungen auch die personellen und Sachausstattungen besser sein müssen.

Dabei wissen wir als SPD nicht nur unsere Mitglieder, sondern auch die überwältigende Mehrheit der Schulleiter_innen, Lehrer_innen, Eltern und Schüler_innen auf unserer Seite. Aber all diese Menschen fragen uns auch: Wieso wird nicht  mehr Geld für die Bildung ausgegeben, wenn sie so wichtig ist? Und an der Antwort auf diese Frage entscheidet sich unsere Glaubwürdigkeit. Deshalb lautet der erste meiner drei Sätze zur Bildungspolitik: Wir müssen endlich mehr Geld in die Hand nehmen. Wenn wir bei der Bildung weiter sparen, wird sich das früher oder später rächen.

Der zweite Satz: Wir brauchen einen New Deal für Bildung!

Mehr Geld ist das eine. Mein zweiter Wunsch aber ist: Wir müssen Verantwortung und Zuständigkeiten besser organisieren.

Bei Themen wie Inklusion, Ganztag oder Schulsozialarbeit brauchen wir nicht nur eine dauerhaft verlässliche Finanzierung, sondern auch einheitliche Qualitätsstandards. Dafür benötigen wir – auch wenn Bildung „Ländersache“ ist – neue Verantwortungsgemeinschaften, einen “New Deal” in der Schul- und Bildungspolitik, bei dem die Zusammenarbeit von Kommunen, Land und Bund neu geregelt wird.

So wie es heute ist, sind die Zuständigkeiten weder für Familien noch für Schulen durchschaubar. Zu viele Strukturen sind so angelegt, dass sie Prozesse eher lähmen, als Lösungen für akute Probleme voran zu bringen. Die Finanzierung des Ganztages oder auch des Digitalpaktes sind nur zwei von viel zu vielen Beispielen, die bei allen Betroffenen Tag für Tag Kopfschütteln auslösen.

Die Verantwortung darf nicht länger zwischen den Kommunen, den vielen (!) Landesministerien (Schule / Bildung, Arbeit / Gesundheit/ Soziales, Kinder / Familie / Flüchtlinge / Integration, Finanzen und Heimat / Kommunales / Bau / Gleichstellung, Kultur / Wissenschaft) und den Bundesbehörden hin und her geschoben werden. Wir müssen stattdessen künftig problemorientierte Bündnisse über alle Ressorts, über Kommunal-, Länder- und Bundesebenen hinweg schmieden. Nur so kann es gelingen, die vielen kleinen und großen Probleme zu lösen, die in den Schulen täglich zu beklagen sind. Jeder von uns kennt Beispiele dieser Probleme:

Die katastrophalen Zustände auf den Schultoiletten etwa, wofür eigentlich die Kommune als Schulträger verantwortlich wäre, die aber auf finanzielle Mittel aus dem Paket Gute Schule 2020 vom Land wartet oder niemals diese Mittel abgerufen hat.

Oder auch die Anschaffung der digitalen Endgeräte für Lehrer_innen: die Ausstattung der Schulen liegt in den Händen der Schulträger, die Lehrkräfte sind aber Bedienstete des Landes NRW. Warum also stattet der oberste Dienstherr die Lehrer_innen nicht aus?

Oder auch bei der Inklusion: Erhalten mehrere Kinder mit Inklusionsbedarf und Anspruch die Unterstützung durch eine oder einen Schulbegleiter_in, kann es sein, dass je nach Klassensituation neben einer Lehrkraft mehrere dieser Schulbegleiter_innen mit im Klassenraum sitzen. Wie können in so einer Situation dann nicht auch alle gemeinsam von dem „Mehr“ an Unterstützung mit profitieren – weg von Exklusion zu Inklusion, zu einem Miteinander.

Die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz 2025 zeigt die Größe der Herausforderung. Bildungs- und familienpolitisch ist der Ganztag ein Fortschritt und eine Erfolgsgeschichte. Der Bund regelt den Ganztag im Jugendhilferecht, weil er sich in Schulpolitik nicht einmischen darf. In den Ländern dagegen ist die Situation in ganz Deutschland sehr unterschiedlich. Es kann und darf aber nicht sein, dass es deutschlandweit keine Mindeststandards gibt. Für mich steht fest, dass der Ganztag in erster Linie ein Bildungs- und erst in zweiter Hinsicht ein Betreuungsangebot sein muss. Er muss rhythmisiert sein und die tarifgebundenen Beschäftigten sollen zusammen mit den Lehrer_innen auf Augenhöhe in einem Bildungscampus der Zukunft arbeiten. Beim Ganztag können Bund und Länder zeigen, dass es ein neues und gemeinsames Verständnis der Bildungspolitik zum Wohle der Kinder gibt.

Der dritte Satz: „Ungleiches ungleich behandeln“!

Dritter Punkt auf meiner Wunschliste für die Bildungspolitik ist die Einführung eines schulscharfen Sozialindex. Denn nur so wird Bildung gerecht organisiert.

Bisher entscheiden noch immer die Postleitzahl des Wohnortes und die Herkunft der Eltern über die Chancen in Schule, Ausbildung, Studium und Beruf. Noch immer studieren Kinder von Akademiker_innen, im Idealfall aus gut situierten Einfamilienhaussiedlungen, öfter als Kinder aus Familien, in denen maximal ein Elternteil über eine berufliche Ausbildung verfügt.

Sie haben Schulen in sogenannten sozialen Brennpunkten besucht, wo die Lehrer_innen Enormes leisten, aber dennoch häufig an Grenzen stoßen. Es fehlt an Lehrpersonal, es gibt zu wenige Schulsozialarbeiter_innen und eine unzureichende technische Ausstattung.

Ein extrem hoher Anteil von Kindern, deren Eltern staatliche Unterstützungsleistungen beziehen, oder ein hoher Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationsgeschichte führen zu einer Heterogenität im Klassenzimmer, die schlichtweg zusätzliche Ressourcen benötigen.

Eine stärkere und individuellere Betreuung der Kinder, die dort besonders notwendig wäre, ist, auch aufgrund der Klassengrößen, nicht leistbar. Lehrer_innen für diese Aufgabe zu motivieren und für diese Schulen zu gewinnen, ist eine ebenso schwere Aufgabe. Schulen mit herausfordernden Standortfaktoren leisten jetzt schon viel und könnten noch mehr leisten, wenn sie nur richtig unterstützt und besser wertgeschätzt werden. Aus Sicht der SPD kann dies nur mit einem schulscharfen Sozialindex gelingen, ähnlich wie er bereits im Stadtstaat Hamburg angewendet wird.

Auch wenn das Prinzip „Ungleiches ungleich behandeln“ schon oft und von vielen Akteuren im Bildungsbereich bemüht wurde, tut dies der Wahrheit, die darin steckt, keinen Abbruch.

Im Moment verfestigt sich an vielen Schulen, Grundschulen wie weiterführenden Schulen in NRW wie auch anderswo in dieser Republik die soziale Segregation. Schätze in Form von jungen Talenten, die wir dringend brauchen, bleiben dabei verborgen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat die Notwendigkeit eines Sozialindex auf ihrer Fachtagung am 28. Oktober 2019 in Berlin deutlich herausgearbeitet.

Wünsche für die Zukunft

Meine drei Wünsche nach einer höheren, soliden Finanzierung, einem New Deal zwischen Kommunen, Ländern und dem Bund sowie einem schulscharfen Sozialindex sind nicht unrealistisch. Wir könnten damit sehr viel Gutes bewirken!

Auch wenn Schul- und Bildungspolitik immer noch Ländersache ist, brauchen wir bundesweit und alle Ebenen übergreifend ein gemeinsames Verständnis dessen, was Bildung eigentlich ist, und ein Bekenntnis dazu, was und wo wir hin wollen. Anhörungen, aber auch Gespräche mit den verschiedenen Expert_innen im vergangenen Jahr verdeutlichten mir immer wieder, dass vieles im Schulbereich nicht mehr zeitgemäß ist. Die Bedingungen haben sich geändert. Hier muss kurzfristig ein Umdenken initiiert werden.

Wer, wenn nicht die SPD, kann eine Bildungsoffensive starten?! Wir dürfen dieses wichtige Thema niemand anderem überlassen. Wir brennen für Chancengleichheit und Aufstiegschancen seit über 150 Jahren. Lasst uns das Feuer dafür wieder entfachen.

Jochen Ott ist schulpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen und hat als Lehrer an der Gesamtschule Brühl die Fächer Sozialwissenschaften, Geschichte und Kath. Religion unterrichtet.



Über diesen Bildungsblog

Friedrichs Bildungsblog ist der bildungspolitische Blog der Friedrich-Ebert-Stiftung. Friedrich Ebert ist nicht nur Namensgeber der Stiftung.

Sein Lebensweg vom Sattler und Sohn eines Schneiders zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Deutschlands steht für Aufstieg durch Bildung.

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Katja Irle, Redaktionelle Betreuung des Blogs, Bildungs- und Wissenschaftsjournalistin 

Lena Bülow, Team Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Florian Dähne, Leiter Bildungs- und Hochschulpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

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