Referat Lateinamerika und Karibik

FES@Parallel-COP25 Santiago: Umweltgerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit sind eins

Zwei Kämpfe, die einer sind – FES-Podiumsdiskussion zu alternativen Entwicklungsmodellen mit Fokus auf Lateinamerika und Karibik in Santiago.

Bild: FES@ParallelCOP25: Ruales Sanchez Blanco und Becker, 09.12.19 von FES Chile Sarah Herold

Bild: FES@ParallelCOP25: Gabriela Llanquinao „Defensa del Ruka Pillán“, 09.12.19 von FES Chile Sarah Herold

Chile hat 2019 den Vorsitz der UN-Klimakonferenz inne. Aufgrund der Massenproteste gegen die Regierungspolitik, die soziale Ungleichheit und das neoliberale Wirtschaftsmodell wurde die »COP 25« jedoch kurzfristig nach Madrid verlegt. Dennoch ging es in Santiago vom 2. bis 11. Dezember an zehn Tagen auf der von der chilenischen Zivilgesellschaft organisierten „Parallel-COP“ um Klimaschutz aus den verschiedensten Blickwinkeln.

Auf diesem chilenischen Sozialgipfel für Klimaschutz hat die FES Chile am 9. Dezember die neben einer Buchvorstellung auch die Podiumsdiskussion „Zwei Kämpfe, die einer sind: Umweltgerechtigkeit + soziale Gerechtigkeit für Lateinamerika und die Karibik“ ausgerichtet. Die dringend notwendige Debatte über alternative Entwicklungsmodelle stellte das FES Regionalprojekt „Sozial-ökologische Transformation“ damit in den Mittelpunkt.

Sozial und nachhaltig – Lassen sich die Konzepte voneinander trennen?

Das letzte Jahrzehnt brachte in einem Großteil Lateinamerikas einen progressiven politischen Zyklus, der in vielen Fällen zu einer Verbesserung der Sozial- und Umverteilungspolitik führte. Doch während die Ausbeutung fossiler und mineralischer Ressourcen es ermöglicht hat, große Gewinne zu generieren, sozialpolitische Maßnahmen zu finanzieren und die Armut auf verschiedenen Ebenen in Lateinamerika zu verringern, gibt es auch eine Kehrseite dieser Münze: Das extraktivistische Entwicklungsmodell hat zur Ausbreitung von sozio-ökologischen Konflikten von Argentinien bis Mexiko geführt. Angesichts der geringen wirtschaftlichen Diversifizierung und Preisvolatilität auf den Weltmärkten ist die Abhängigkeit von der Rohstoffindustrie zu einem sozioökonomischen Risiko für die Länder der Region geworden. Der Rückgang der Öl- und Rohstoffpreise spiegelt sich bereits in erheblichen Kürzungen der öffentlichen Haushalte wider.

Auch die Umweltkosten sind nicht zu vernachlässigen: Die Idee des unbegrenzten Wachstums auf der Grundlage fossiler und mineralischer Ressourcen erhöht die Treibhausgasemissionen. Schwere lokale und regionale Umweltschäden gefährden die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen.

Das Regionalprojekt Sozial-ökologische Transformation der FES verfolgt das Ziel, neue nachhaltige Entwicklungspfade zu finden, um den vielfältigen Krisen im Zusammenhang mit den vorherrschenden Wirtschaftsmodellen zu begegnen. Es fördert Debatten über eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Politik. Darüber hinaus sollen Brücken zu Debatten in Europa und anderen Regionen geschlagen werden, um Räume für den internationalen Dialog zu schaffen.

Neue Entwicklungsmodelle entwickeln

Die Podiumsdiskussion verfolgte die Fragen: Wie konstruieren wir heute Entwicklungsmodelle, in denen soziale Gerechtigkeit und Umweltgerechtigkeit ein grundlegender Bestandteil sind? Welche Herausforderungen gibt es auf lateinamerikanischer Ebene, um politische Vorschläge zu erarbeiten, die auf beide Pfeiler der Gerechtigkeit bauen?

Im Rückblick auf die progressiven Regierungen Lateinamerikas kommentierte Jeanette Sánchez, Direktorin der Abteilung Natürliche Ressourcen und Infrastruktur der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (ECLAC), dass kein Land eine perfekte Balance zwischen sozialer und Umweltgerechtigkeit erreicht hat. Als einen Grund dafür sieht sie, dass durch den fortbestehenden Bedarf bei unbefriedigten Grundbedürfnisse, z.B. in den Bereichen Gesundheit und Bildung, ein Investitionsdruck entsteht. Des Weiteren führten Bevölkerungswachstum und die wachsende Mittelschicht zu einem gesteigerten Energiebedarf. Auf der Suche nach einer Lösung, sieht Sánchez soziale Fragen wie Armutsbekämpfung und gute Jobs getrennt von Umweltfragen und priorisiert dabei die sozialen Themen als vorrangig.

In dem regionalen FES-Transformationsprojekt hingegen wird der sozial-ökologische Ansatz ganzheitlich betrachtet. Die Projektleiterin Astrid Becker stellte die zentralen Vorschläge dessen regionaler Arbeitsgruppe vor: Die Stärkung einer sozialdemokratischen Rechtsordnung, die den Zugang zu öffentlichen Gütern und die Beteiligung aller am Transformationsprozess gewährleistet, eine pluralistische und integrative Kreislaufwirtschaft mit menschenwürdiger Arbeit für alle, die Notwendigkeit einer Veränderung der Konsumgewohnheiten, eine Änderung der Produktionssysteme und der Landnutzung sowie eine grundlegende kulturelle Transformation. Diese Inhalte werde auch in der letzten Publikation des Projekts bearbeitet, die den Titel „Esto no da para más“, was so viel heißt wie: So kann es nicht weitergehen.

Was ist Wohlstand?

Ohne Zweifel erfordert eine sozial-ökologische Transformation hin zu nachhaltigen Gesellschaften eine Kehrtwende und somit tiefgreifende kulturelle, wirtschaftliche und soziale Veränderungen. Sehr wertvoll sind dafür Beiträge aus den verschiedensten Perspektiven, die zeigen wie eng verwoben soziale und Umweltthemen miteinander verwoben sind. „Der Feminismus trägt viel zum Verständnis der Gesellschaft bei, da er die Unterdrückung des Körpers analysiert. Dabei ist der Feminismus im globalen Süden von Natur aus postkolonial, gemeinschaftlich und ökologisch.“, ergänzte die Podiumsteilnehmerin Gabriela Ruales, Ökofeministin und Soziologin, die dem Kollektiv für kritische Geographie Ecuadors sowie der Regionalgruppe FESminismos angehört. Das extraktivistische Entwicklungsmodell habe patriarchale Strukturen, da die Territorien und die Menschen, die dort leben, unterdrückt werden, wie beispielsweise im Fall der Ölförderung im mega-biodiversen Nationalpark Yasuní in Ecuador. Dieser Fall wirft zentrale Fragen auf: Was muss passieren, damit kein Öl mehr gefördert wird? Wie können wir den Vorwurf von den indigenen Frauen aus dem Regenwaldgebiet interpretieren, dass was für uns Armut bedeutet für sie echter Wohlstand ist?

Es ist fundamental soziale und Umweltthemen ganzheitlich zu betrachten und angesichts der zivilisatorischen Krise vor der wir stehen zu fragen: Was ist Entwicklung und welche Art von Entwicklung wollen wir? Wie pluralistisch können und müssen wir Entwicklung begreifen?

Denn nur so ist es möglich als Gesellschaft einen nachhaltig gerechten Weg zu beschreiten.

 

 

Alexandra Tost, Master in International Development Studies der Philipps-Universität Marburg, arbeitet als unabhängige Beraterin u.a. für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Chile. Seit 2014 lebt sie in Lateinamerika, wo sie in der internationalen Zusammenarbeit in Sozial- und Umweltfragen tätig ist, u.a. mehrere Jahre bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Bereich partizipative Umweltpolitik sowie öffentliche Investitionen und Anpassung an den Klimawandel.


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