#EUngleich: Auseinander wachsen?

Unter dem Titel #EUngleich blickten wir in den vergangenen Wochen auf den Zustand der sozioökonomischen Ungleichheit zwischen Lissabon und Stockholm, Dublin und Budapest. Klar ist: Es gibt noch einiges zu tun und viel Raum für politische Maßnahmen, um auf die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der EU hinzuwirken. Doch wie entwickelt sich die Situation unter dem gegenwärtigen Kurs?

Bild: EUngleich_Konvergenz_Relative Einkommensverteilung von FES

Bild: EUngleich_Konvergenz_Absolute Einkommensverteilung von FES

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Die gute Nachricht zuerst: Die meisten armen Länder der EU wachsen schneller als die reichen. Die schlechte Nachricht: Die absoluten Einkommensabstände nehmen trotzdem zu – und damit auch die Anreize für Migration und Produktionsverlagerung. Wenn sich die Lebensverhältnisse innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft angleichen sollen, so müssen die Einkommen der ärmeren Menschen stärker wachsen als die der reichen. Bisher ist das jedoch selten der Fall. Erfreulicherweise kann man aber beobachten, dass die durchschnittlichen Prokopfeinkommen vieler ärmerer Länder schneller zunehmen als die der meisten reicheren EU-Mitgliedstaaten.

Auch das war nicht immer so: Nach seinem EG-Beitritt 1980 fiel Griechenland gegenüber der damaligen EG mit neun Mitgliedstaaten zunächst für viele Jahre zurück. Seit 2000 haben die armen Länder Mittelosteuropas deutlich aufgeholt. Lag etwa das Prokopfeinkommen Lettlands im Jahr 2000 etwa bei einem Drittel des EU-Durchschnitts, so waren es 2017 schon zwei Drittel! Trotzdem haben die absoluten Einkommensunterschiede zugenommen. Wieso?

Absolute und relative Konvergenz

Ein Beispiel macht es deutlich: Nehmen wir – nicht unrealistisch – an, das Prokopfeinkommen eines reicheren Landes sei im Jahr 2000 mit 25.000 Euro fünfmal so hoch wie das eines ärmeren (mit 5000 Euro) und das ärmere wachse aber mit 5 Prozent jährlich, das reichere nur mit 2 Prozent. Dann belaufen sich die Einkommen ein Jahr später auf 25.500 Euro und 5.250 Euro. Der Abstand hat trotz des schnelleren Wachstums um 250 Euro zugenommen!

Natürlich wird das ärmere Land, wenn die Unterschiede in den Wachstumsraten lang genug Bestand haben, irgendwann das reichere einholen. Aber die grausame mathematische Wahrheit ist: Es dauert Jahrzehnte! Bei den angenommenen Zahlenwerten ist Gleichstand erst nach etwa 56 Jahren erreicht und erst nach 26 Jahren beginnt der absolute Abstand zu sinken. Europas Ungleichheit würde somit noch über Jahrzehnte hinweg auf einem konstant hohen Niveau bleiben - beunruhigende Aussichten.

Der „Asian Way“ für Osteuropa?

Was kann man machen? Der Prozess der Angleichung lässt sich lediglich auf einem Wege verkürzen: Die ärmeren Länder müssten noch schneller wachsen, die reicheren hingegen langsamer. Letzteres ist vielleicht nicht wünschenswert (außer aus ökologischen Gründen), aber auch nicht undenkbar. Schnelleres Wachstum in armen Ländern ist möglich, wie man in Ostasien, aber auch in der EU im Fall Irlands sehen kann. Leider sind die dort jeweils implementierten wirtschaftspolitischen Maßnahmen nur schwer – wenn überhaupt – in der EU nachzuvollziehen. In Ostasien griff man massiv in Handel und Kapitalmärkte ein, Irland verfolgt ein perverses System der der Attraktion von steuervermeidenden Unternehmen. Die ostasiatische Strategie ist mit EU-Regeln unvereinbar; den irischen Weg haben einige mittelosteuropäische Länder durch niedrige Unternehmensbesteuerung mit gewissem Erfolg eingeschlagen. Für große Regionen ist er im irischen Maßstab jedoch nicht vorstellbar – und wohl auch nicht wünschenswert.

Ungleichheit in Europa

Nur noch wenige Wochen bis zur Europawahl am 26. Mai, und die Union steckt tief in der Krise. 75 Prozent aller Deutschen stimmen laut einer FES Studie derweil der Aussage zu, die meisten Probleme der EU seien auf soziale und wirtschaftliche Unterschiede zwischen ihren Mitgliedsstaaten zurückzuführen. Doch wie gravierend ist die Ungleichheit zwischen Stockholm und Athen, zwischen Dublin und Bukarest wirklich? Eine Frage, der wir in den kommenden Wochen nachgehen wollen. Verfolgen Sie uns dabei auch auf Twitter und Facebook.


Ansprechpartnerin

Marie Meier

+49 30 26935-7418
Marie.Meier(at)fes.de

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