SILBERSTRASSEN

Aufstieg Europas (1550-1700)

Die „Silberflotte“ bestand aus spanischen Kriegsschiffen („Galeonen“) und schaffte Schätze aus der Neuen in die Alte Welt

Zwei entscheidende Entdeckungen im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts veränderten den Lauf der Geschichte. Sie sollten ein neues Zeitalter einläuten und das Gleichgewicht der Welt entscheidend verschieben — ja überhaupt erweitern, was als Welt galt. Christoph Kolumbus entdeckte Amerika für Spanien und Vasco da Gama fand einen neuen Seeweg nach Ostindien für Portugal.
     Beide Ereignisse rückten Europa vom Rand ins Zentrum des Weltgeschehens. Die nach Europa geraubten großen Gold- und Silbervorkommen aus Amerika sowie die Herrschaft über die weltweiten Seewege ließen es in den folgenden Jahrhunderten entscheidenden Anteil haben an der Weltwirtschaft, aber auch bei politischen und militärischen Entscheidungen und Konflikten.

Die Silberstraßen verbanden den neuen Kontinent mit den altbekannten und bildeten so das allererste Netzwerk der weltweiten Globalisierung

Davon profitierten jedoch auch die Reiche des Ostens, Persien sowie Zentralasien und China. Neuen Großreichen gelang der Aufstieg, den Osmanen und indischen Moguln. Denn von hier kamen die raffinierten Luxusartikel, auf die es die neureichen Europäer abgesehen hatten. Das bescherte besonders Indien eine lange Zeit der Blüte von Kunst, Kultur und Architektur. Was wiederum Begehrlichkeiten weckte bei den Europäern, allen voran bei Indiens späterer Kolonialmacht England.
     Durch die Entdeckungen boomte der Rand der alten Welt, der aufgrund seiner ungünstigen Geografie vorher nie eine Rolle gespielt hatte. Die Iberische Halbinsel mit ihren Seefahrerstaaten Portugal und Spanien löste die italienischen Seerepubliken Genua und Venedig im Gewürzhandel ab, die durch die neuen Handelsmächte und durch ihre nun ungünstige geographische Lage langsam an Bedeutung verloren.
 

Die Schätze — Perlen, Gold und Silber —, die aus der Neuen Welt nach Europa geschafft wurden, steigerten auf dem alten Kontinent die Kaufkraft für Luxusartikel aus Asien. Chinesisches Porzellan, Seidenstoffe und vor allem Gewürze wie Pfeffer, Muskatnuss, Gewürznelken, Weihrauch, Ingwer, Sandelholz, Kardamom und Kurkuma wurden von den Portugiesen in Massen importiert.
     Konkurrenz bekam Portugal dabei von den Osmanen, die im 16. Jahrhundert Ägypten einnahmen und von Alexandria als Hauptumschlagplatz am östlichen Mittelmeer für Waren aus dem Osten profitierten.
     Gleichzeitig blieben auch die alten Handelswege in Zentralasien aktiv, vor allem durch den großangelegten Pferdehandel in den Steppen. Bei Händlern aus Indien, Persien, China und Russland waren diese Pferde begehrt. Das ist durchaus vergleichbar mit dem heutigen Autohandel, wenn man sich vorstellen will, was der weitverzweigte Pferdehandel für die Menschen damals bedeutete: an Mobilität, an Gewinnmargen oder auch an Reputation für eine bestimmte Region.

Neue Wege und Transportmittel sorgten für einen Boom der Weltwirtschaft

Die „Silberstraßen“, auf denen zu Wasser und zu Lande Edelmetalle aus der Neuen Welt transportiert wurden und die den Handel nachhaltig prägen sollten, verbanden alle Kontinente miteinander und wurden so zum ersten Netz der weltweiten Globalisierung.
     Nicht nur Waren, auch Menschen waren ständig in Bewegung. Heute stellt der reiche Westen für viele Migrant_innen aus dem globalen Süden das Ziel dar, von dem sie sich eine bessere Zukunft versprechen. Damals war es umgekehrt: Viele Auswanderer_innen kamen aus Europa und wollten unbedingt nach Osten, nach Persien, Indien oder auf die Malaiische Halbinsel, wo Reichtum, Arbeit und ein gutes Leben lockten.

Die beiden großen Entdeckungen begründeten nicht nur das, was wir die Neuzeit nennen. Sie legten auch den Grundstein für unsere Weltordnung, wie sie heute ist.

Denn sie ließen aus europäischen Staaten Großmächte entstehen, die andere Länder ausplünderten, kolonisierten und ständig Krieg miteinander um die Kolonien und ihre Ressourcen führten. Oftmals wurde die Religion benutzt, um Kriege und Expansionen zu rechtfertigen. Religiöser Fanatismus und sektiererische Gewalt? Das gab es in Europa auch.