Ende des 19. Jahrhunderts war England eine Weltmacht, deren Kolonien und Protektorate fast ein Viertel der gesamten Landfläche der Erde ausmachten. Damit ging eine geostrategische Politik einher, welche die Welt als großes Schachspiel begriff. Gegen andere spielten die Briten um Einfluss, Gebiete und Macht. Nichts versinnbildlicht dies besser als ein Begriff, den das Britische Empire dem über 100 Jahre andauernden Konflikt mit Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien gab: The Great Game.
Für Frankopan ist dieses Große Spiel, die Auseinandersetzung um die Kontrolle Asiens, der zentrale Konflikt, der in den Ersten Weltkrieg führte.
Die zunehmenden Großmachtambitionen Russlands und dessen territoriale Expansion seit Beginn des 19. Jahrhunderts waren den Briten ein Dorn im Auge, weil sie eine Bedrohung für ihre ertragreiche Kolonie Indien darstellten. Die Russen lösten mit größer werdendem Einfluss und Territorium in Zentralasien sogar Frankreich als Haupterzfeind Großbritanniens ab. Als das Zarenreich Taschkent, Samarkand und Buchara eingliedert hatte, knüpfte es an die Tradition der Seidenstraßen an und baute ein riesiges Handels- und Verkehrsnetzwerk auf.
Russland erstreckte sich mittlerweile von Wladiwostok im sibirischen Osten am Pazifik bis zur preußischen Ostgrenze in Europa. Es war absehbar, dass die neuen Landverbindungen, auf denen Waren von China nach Europa transportiert werden konnten, zugunsten Russlands und zulasten Großbritanniens genutzt werden würden.
Die Infrastrukturprojekte brachten das Zarenreich außerdem gefährlich nahe an Indien heran. Die Transkaspische Eisenbahn führte Ende des 19. Jahrhunderts bis nach Samarkand und Taschkent. Von Merw gab es eine Verbindung nach Kuschk in der Nähe von Kandahar.
Viele der aktuellen Konflikte und Krisen zwischen Russland und dem Westen haben ihren rund 150 Jahre alten Ursprung in Zentralasien: Weil die Briten den russischen Aufstieg und Einfluss in dieser Region um jeden Preis verhindern wollten, paktierten sie mal mit Frankreich, mal mit den Osmanen oder Persern, marschierten in Afghanistan ein oder stachelten die Tschetschenen zum Aufstand an. Schon damals ging es auch um die Krim oder um den militärischen Zugang zum Schwarzen Meer.
Während die britische Krone sich um 1900 mit der Ausweitung des Reiches überdehnt hatte — davon zeugten etwa die Burenkriege in Südafrika oder der Boxeraufstand in China —, boomten in Russland trotz großer Armut in den Städten und auf dem Land Wirtschaft und Kultur.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts lebte das Britische Empire daher in der ständigen Erwartung eines Showdowns im Großen Spiel, der in Persien stattfinden würde. Man rechnete fest mit einem Angriff der Russen im Persischen Golf, nur der Zeitpunkt war ungewiss. Die Briten bereiteten sich aus diesem Grund auf Krieg vor. Dies trug zu einer gefährlichen Stimmung bei, die sich im Vorfeld des Ersten Weltkriegs (1914-18) überall in Europa breit machte.
Aus der Mentalität, die Welt als großes Spiel zu begreifen und primär in Win-Lose-Kategorien zu denken, entwickelte sich im 20. Jahrhundert eine gefährliche Politik Europas und der USA. Sie führte nicht nur in zwei katastrophale Weltkriege, sondern schuf auch die Voraussetzungen für die großen Krisen und andauernden Konflikte von heute.