ERDÖL

Schmierstoff der macht (ab 1800)

Schätze im Boden: Die Erdölindustrie im Mittleren Osten war bald ein lukratives Geschäft

Westliche Staaten sicherten ihre Interessen in den Ländern des Ostens, so gut sie konnten, und nahmen Einfluss, wo immer es ihnen möglich war — ganz in der politischen Tradition der kolonialen Imperien. Das höchste Interesse galt dabei dem Rohstoff, der seit der ersten Ölbohrung vor 150 Jahren die Welt bestimmt: dem Erdöl.
     Die großen Quellen in Persien sicherten sich die Briten Anfang des 20. Jahrhunderts durch eine Konzession vom Schah, die ihnen die freie Förderung garantierte, sechzig Jahre lang. Der Vertrag kam zustande, bevor man dort auf Öl stieß. Dem Schah war also in keiner Weise die Tragweite bewusst, die seine Unterschrift haben sollte: Was für einen Schatz im persischen Boden er mit ihr verscherbelte. Wieder spielte ein britisches Unternehmen in der großen Weltpolitik mit, die Anglo-Persian Oil Company, aus der später der mächtige Konzern BP hervorging. Das Geld für die Konzession sollte die klammen Staatskassen Persiens aufbessern, doch der Schah vergab damit für Jahrzehnte die wertvollen Bodenschätze seines Landes an einen ausländischen Investor — ein Milliarden-Dollar-Geschäft für einen lächerlichen Betrag.
     Mit der ersten Pipeline, die Erdöl in Richtung des energiehungrigen Europa beförderte, war so auch der Grundstein gelegt für soziale Unruhen und eine tiefe Ablehnung des Westens in der persischen Bevölkerung.

Die Umstellung von Segel und Kohle auf Erdöl machte britische Kriegsflotten mobiler und schnell einsatzfähig, die englische Seemacht war kaum noch zu schlagen

Die Briten hatten sich mit dem Coup einen entscheidenden Vorteil für den kurz bevorstehenden Weltkrieg gesichert, denn sie konnten ihre Kriegsschiffe von Kohle auf Öl umstellen und so die Flotte schneller machen.
     Als die gegnerischen Parteien dies erkannten, begann ein Wettrennen um die Ressourcen des Nahen und Mittleren Ostens, das die Briten gegen die mit den Deutschen verbündeten Osmanen 1918 für sich entscheiden konnten. Das Osmanische Reich gehörte zu den Verlierern des Kriegs und wurde besetzt. Die Siegermächte Großbritannien und Frankreich teilten den Nahen Osten unter sich auf.
     Buchstäblich am Reißbrett wurde auf der Basis des Sykes-Picot-Abkommens (1916) eine neue Staatenordnung in den Boden gestanzt, wurden willkürlich Grenzen gezogen, wo es für die alliierten Siegermächte am praktischsten erschien. So entstand beispielsweise der heutige Irak. Denn auch dort in Mesopotamien vermuteten die Briten zurecht große Erdölvorkommen, die sie unter ihre Kontrolle bringen wollten. Dafür wurden drei ehemalige osmanische Provinzen zusammengefasst, die von ihrer Geografie, Geschichte und Religion her sehr unterschiedlich waren. Basra war mit Indien und dem Persischen Golf verbunden, Bagdad orientierte sich Richtung Persien, Mosul pflegte Beziehungen mit Syrien und der Türkei. Damals wurde der Nährboden geschaffen für die blutigen Konflikte, die heute das Land zerreißen.

Die Aufteilung des Nahen Ostens zwischen Frankreich und England wurde frech am Reißbrett geplant. Sykes und Picot handelten 1915 das Abkommen aus, das die Welt noch hundert Jahre später beschäftigen sollte

Die imperialistische Haltung der Westmächte führte dazu, dass Rohstoffe und immense Reichtümer vom asiatischen Kontinent zum europäischen und zum Teil auch in die USA flossen, an den Bewohnern der betroffenen Länder vorbei. Dies bildet die Ausgangsbasis für den späteren „Kalten Krieg“ und die Fortsetzung des Großen Spiels, in welchem die Sowjetunion versuchte, die unterdrückten Bevölkerungen gegen die westlichen Kapitalisten zu mobilisieren. Vor dem Zweiten Weltkrieg (1939-45) aber konnte Großbritannien noch ganz direkt Einfluss nehmen und in den 1920er Jahren etwa die Herrscher in Irak, Afghanistan und Persien ein- oder absetzen.

Reza Pahlavi wurde 1926 zum Shah von Persien gekrönt. Zeremonie und Ornat mit eigens angefertigter Krone erinnern eher an die Inthronisation britischer Monarchinnen und Monarchen

Doch Enttäuschung, Unzufriedenheit und Widerstand in den Gesellschaften wuchsen rasant. Nicht nur brachen die Briten ihre Zusagen, die lokalen Bevölkerungen nach der künstlichen Neuordnung zu unterstützen. Die koloniale Politik hatte auch dazu geführt, dass sich binnen kurzer Zeit kleine Eliten herausbildeten, die sich schamlos auf Kosten der breiten Massen bereicherten und große Stücke des Lands für ihre Unterstützung der britischen Mandatsherrschaft erhielten.
     In Persien konzentrierte sich beispielsweise der Reichtum aus den Öleinnahmen in den Händen des Schahs und seiner Entourage, die ihre Macht den Briten zu verdanken hatten. Die Europäer waren also diejenigen, die bereits vor hundert Jahren kleine Herrschaftseliten für ihre Zwecke förderten, die nicht im Sinne ihrer eigenen Bevölkerungen handelten, sondern im europäischen Interesse. Es war nur eine Frage der Zeit, dass die Ungleichheit in den Mandatsgebieten so groß wurde, dass Nationalismus und Unabhängigkeitsbestrebungen der breiten Schichten Überhand nehmen würden.
     Als dann nach dem Zweiten Weltkrieg Unruhen, Demonstrationen und Streiks in Indien zum Abzug der Briten (1947) führten, war auch für den Nahen und Mittleren Osten der Startschuss gefallen, sich gegen die westlichen Einflussmächte aufzulehnen.

Der friedliche Widerstand der vielen, angeführt vom großen Friedensstifter Gandhi (hier mit dem ersten Premierminister im unabhängigen Indien Jawaharlal Nehru)

Damit dies nicht dazu führte, dass Länder mit maroder Wirtschaft und korrupten Herrschern wie der Iran (früher Persien) einfach von der Sowjetunion geschluckt würden, die es ebenfalls auf das Erdöl abgesehen hatte, musste der Westen eine Charmeoffensive starten.
     Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Sowjetunion und die USA Großbritannien und Frankreich als Weltmächte abgelöst. Die Charmeoffensive bestand zum einen in Gegenpropaganda zu den antikapitalistischen Kampagnen der UdSSR. So sendete etwa der US-Radiosender „Voice of America“, der weltweit aktiv war, im Iran Programme in der Landessprache Farsi. Zum anderen bestand sie in finanziellen Hilfen, die Iran zu einem der ersten amerikanischen Satellitenstaaten im Mittleren Osten machten. Im Jahr 1953 wurden über 50 Millionen Dollar investiert, um die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, die politische Kultur zu stabilisieren und Reformen anzustoßen, hinzu kam militärische und technische Unterstützung zur Selbstverteidigung.
     Auch wenn Großbritannien und die USA noch Mitte des 20. Jahrhunderts die Ölvorkommen des Nahen Ostens in kolonialer Manier untereinander aufteilten: persische Quellen für die Briten, bahrainisches Öl für die Amerikaner, irakische und kuwaitische Bestände für beide. Es war längst ein neues Kapitel angebrochen.
     Gerade wegen der Ölvorkommen gelang es einer neuen Regionalmacht auf den Plan zu treten: Saudi-Arabien geriet nie unter den Einfluss der Europäer, deshalb gelang es dem Königreich beinahe mühelos, die USA und Briten gegeneinander auszuspielen. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg vergab der saudische König seine Ölkonzessionen nicht an die Briten, die den Nahen Osten dominierten. Sondern an die Amerikaner, die zu dieser Zeit in der Region noch keine besonderen Interessen verfolgten. Er konnte so seine Unabhängigkeit gegenüber dem Britischen Empire wahren.
     Die Folgen der saudisch-amerikanischen Allianz aber beschäftigen uns bis heute. Die USA beerbten die Briten als Weltmacht und übernahmen die Führungsrolle.

In der Mitte des 20. Jahrhunderts erkämpften sich überall im globalen Süden Kolonien ihre Unabhängigkeit


Zur Zeit der großen Unabhängigkeitskämpfe in den 1940er und 50er Jahren waren alle nationalistischen Staaten auf dem asiatischen Kontinent drauf und dran, ihre Ölindustrien zu verstaatlichen und damit vom äußeren Zugriff zu befreien, vor allem Iran und Irak. Die Rückkehr der asiatischen Seidenstraßen machte sich hier bemerkbar.

Ein neues Netz überzog Zentralasien und verband den Osten mit dem Westen: Pipelines.

Sie markieren den Beginn einer neuen Verlagerung des Gravitationszentrums. Weg vom Westen, zurück in den Osten. Diese Verlagerung verlief jedoch nicht ohne die Gegenwehr der westlichen Länder, die mit ihrer Politik des Taktierens und Paktierens, der manipulierten Staatsstreiche und Regimewechsel viel Chaos stifteten und maßgeblich zu der konfliktreichen Gemengelage beitrugen, wie wir sie heute in der Region vorfinden.
     Ein frühes Beispiel ist der Putsch gegen den iranischen Regierungschef Mohammad Mossadegh, der 1951 als erster ein Gesetz zur Verstaatlichung der Ölindustrie verabschiedete. Die Briten reagierten mit einem Embargo. Als die Sanktionen nicht den gewünschten Effekt erzielten, heckte man zusammen mit der CIA eine gemeinsame politische Aktion zur Absetzung Mossadeghs aus. Denn Mossadegh gehörte zu jenen widerständigen Politikern im Nahen Osten, die sich die Einmischung von außen nicht bieten lassen wollten.
     Andere waren Gamal Abdel Nasser in Ägypten, der 1956 den strategisch für die internationalen Seewege wichtigen Suezkanal verstaatlichte, oder Abdel Karim Qasim im Irak, der die Ölindustrie nationalisiert

Staatsmänner im unabhängigen Nahen und Mittleren Osten: Irans Mossadegh, Algeriens Ben Bella, Ägyptens Nasser und Iraks Arif

Die Art und Weise, wie sich westliche Staaten immer wieder unheilvoll in die Region einmischten, vereinte spätere antiwestliche Demagogen hinter dem Grundgedanken, der Westen sei scheinheilig und bösartig — Ayatollah Khomeini, Saddam Hussein, Osama Bin Laden. Darauf weist Frankopan hin.
     Der Bagdad-Pakt ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sich der Westen unter dem Vorwand von „Frieden und Sicherheit“ in Wirklichkeit mehr Einfluss sichern wollte in einer Region von entscheidender geostrategischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Die USA verteilten beträchtliche wirtschaftliche, politische und militärische Zuwendungen an Staaten zwischen Mittelmeer und Himalaya, die prowestliche Regierungen hatten.
     Dieser Ländergürtel diente als Bollwerk gegen den sowjetischen Einfluss, sicherte die Golfregion und ihre Bodenschätze ab und ließ sich für militärische Stützpunkte nutzen.

Unterschiedliche Ideologien, vereint hinter demselben Feindbild „Westen“: Ayatollah Khomeini, Usama bin Laden, Saddam Hussein

Spätestens in den 1970er Jahren jedoch wurde die neue Unabhängigkeit dieser Staaten sichtbar: Sie verstaatlichten ihre Ölindustrie, organisierten sich in der OPEC und nutzten die Energieabhängigkeit der westlichen Hemisphäre aus.
    Interessanterweise fürchteten sie sich nicht vor einer Verhärtung der Fronten im Kalten Krieg — sondern vor der Entspannungspolitik, die sich abzeichnete. Denn rohstoffreiche Länder im globalen Süden wussten die Rivalität zwischen dem Westen und dem kommunistischen Block durchaus für sich zu nutzen. Doch davon profitierte vor allem eine kleine Elite.
    Auch mit zunehmender Unabhängigkeit wurden die sozialen Unterschiede daher nicht kleiner, sondern größer. Öl floss zuverlässig und von gewissen Schwankungen abgesehen preiswert von Ost nach West — Waffen, Technologie und Kerntechnik von West nach Ost. So war es für alle Beteiligten ein gutes Geschäft, die westliche Volkswirtschaften verdienten prächtig.

Öl gegen Waffen und Technologie, bis heute der Deal zwischen West und Ost