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"Umweltsau"-Skandalisierung Die Empörungsmaschine läuft heiß

Vom Kinderlied zur Morddrohung: Die Aufregung über das WDR-"Umweltsau"-Lied offenbart, wie sich Entrüstung anheizen lässt. Eine Datenauswertung zeigt: Rechte und Rechtsextreme haben schnell und erfolgreich mobilisiert.
Auch mit mutmaßlich rechtsextremen Teilnehmern: Demonstration nahe dem WDR-Gebäude in Köln

Auch mit mutmaßlich rechtsextremen Teilnehmern: Demonstration nahe dem WDR-Gebäude in Köln

Foto: Patric Fouad/ BILD

"Ich frage mich, was ist mit unserem Land los, wenn ein missglücktes Video zu Morddrohungen führt", sagt WDR-Intendant Tom Buhrow in einer am Montag veröffentlichten Videobotschaft . Nach der Aufregung um das "Umweltsau"-Kinderlied hatten mehrere WDR-Mitarbeiter Morddrohungen erhalten. "Wir erleben gerade eine Kontroverse, die am Anfang den WDR betraf, aber weit darüber hinausgeht", so Buhrow. Er beteuert, seine Mitarbeiter "nach Kräften" schützen zu wollen. Und fragt: "Was ist mit unserem Land los?"

Es ist die neuste Wendung einer Geschichte, die grotesk anmutet. Die aber auch einiges verrät über Empörungsmechanismen und gesteuerte Aufregung. Darüber, wie aus einem sehr kleinen Vorgang eine große identitätspolitische Auseinandersetzung gemacht wird.

Doch von vorn: Der WDR hat den hauseigenen Kinderchor ein Lied aufnehmen lassen, in dem zur Melodie des Klassikers "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" auch die Textzeile vorkommt "Meine Oma ist ne alte Umweltsau".

Über Satire lässt sich streiten und ebenso darüber, ob so ein Lied witzig ist - oder eben nicht. Doch spätestens, als sich NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und WDR-Intendant Tom Buhrow in die Debatte um das mittlerweile gelöschte Video einmischen und in Köln rund zweihundert Demonstranten - unter ihnen auch Rechtsextreme - auf die Straße gehen, geht es nicht mehr nur um ein Kinderlied. Die Rede ist plötzlich von "Oma-Gate" - und die Empörungskaskade offenbart, in welcher Form rechtsextreme Influencer wie der österreichische Identitäre Martin Sellner und rechte Gruppen solche Anlässe zur Mobilisierung nutzen. Es kommen echte Empörung von Hörern und gesteuerte Empörung zusammen.

Empörung in sozialen Netzwerken

Die Aufregung über das bereits in der Woche vor Weihnachten vom WDR veröffentlichte Kinderlied baut sich in den sozialen Netzwerken auf - erst langsam, dann immer schneller. Wie eine Twitter-Auswertung des Social-Media-Analysten Luca Hammer zeigt, die dem SPIEGEL vorliegt, folgt die Empörung dabei einem Muster.

Seine Auswertung zeigt, dass erste Accounts am 27. Dezember zu dem Video twittern. Die ersten Tweets dazu bekommen jedoch kaum Aufmerksamkeit. Doch dann springt der Funke über zu reichweitenstarken Accounts, die sich dem rechten Spektrum zuordnen lassen.

Viele Tweets beklagen eine "Instrumentalisierung von Kindern" oder sprechen abwertend von "Staatsfunk". Von ihnen ausgehend verbreitet sich die Empörung schnell weiter - bis sie schließlich rechtskonservative Multiplikatoren erreicht und erste Medienberichte erscheinen.

Aus dem Netz auf die Straße

Am Sonntagnachmittag schwappt die "Umweltsau"-Empörungswelle dann vom Netz auf die Straße: Zumindest einen Teil der Versammlungsteilnehmer, die vor einem WDR-Gebäude in Köln zusammenkommen, rechnet die Polizei einer rechtsextremen, bürgerwehrähnlichen Gruppierung aus dem Raum Düsseldorf zu. "Etwa 200 Personen haben an der Versammlung teilgenommen, davon wurden etwa 25 Personen der 'Bruderschaft Deutschland' zugeordnet", sagt ein Pressesprecher der Kölner Polizei auf SPIEGEL-Anfrage. Derzeit laufen Ermittlungen, ob die Demonstration von Rechtsextremen organisiert oder beeinflusst wurde. Der Polizei zufolge hatte eine Privatperson kurzfristig die Versammlung mit dem Namen "Unsere Oma ist keine Umweltsau" angemeldet.

Ein WDR-Mitarbeiter, der getwittert hatte, dass "eure Oma keine #Umweltsau", sondern "eine #Nazisau" gewesen sei, bekommt laut eigenen Angaben im Minutentakt Morddrohungen. Am Sonntag kursieren im Internet Aufnahmen, die eine spontane Demonstration vor dem Haus seiner Familie zeigen sollen.

Die Account-Analyse von Luca Hammer zeigt noch mehr: zwei große Empörungs-Cluster, die sich kaum berühren - sich aber untereinander retweeten und verbreiten. Der Empörung der eher rechten Szene folgt eine Gegenwelle aus dem eher linken politischen Spektrum - bis zum Morgen des 30. Dezember ist die Gesamtzahl der Tweets mit Hashtags wie #Umweltsau oder #Nazisau auf rund 210.000 gestiegen.

Abgesetzt wurden diese Tweets nur von rund 44.000 Accounts. 23 Prozent der Accounts lassen sich Luca Hammers Auswertung zufolge einem eher rechten Cluster zuordnen (hier grün dargestellt), 46 Prozent einem eher linken Cluster. Beide berühren sich kaum. Bei 31 Prozent der Accounts war eine Zuordnung zu den Clustern nicht möglich.

Auffällig dabei: 52 Prozent der Tweets kamen aus dem grünen Cluster, nur 38 Prozent aus dem pinken. Nur 10 Prozent konnten keinem der beiden Cluster zugeordnet werden. Das bedeutet: Im grünen Cluster gab es einige sehr aktive Accounts.

Twitter-Analyse von Luca Hammer: Empörung aneinander vorbei

Twitter-Analyse von Luca Hammer: Empörung aneinander vorbei

Typische rechte Mobilisierung

"Das 'Oma-Gate' ist ein ganz typisches Beispiel rechter Empörung und Mobilisierung - sowohl, was die Struktur, als auch, was die Themen und Argumente anbelangt", sagt der Journalist und Autor Patrick Stegemann, dessen Buch "Die rechte Mobilmachung" im Januar erscheint.

"Umweltthemen sind in der letzten Zeit in der rechten Mobilisierung wahnsinnig beliebt, Greta ist der personifizierte Feind der Rechten", so Stegemann - der Skandal um das "Umweltsau"-Lied sei kein Einzelfall. Rechte Influencer und Gruppen versuchten nach dem "Trial-and-Error-Prinzip" immer wieder Debatten zu entfachen, die Empörung auslösen sollen: "Es werden sehr viele Köder ausgeworfen - und sobald etwas verfängt, geht die Maschine so richtig los, dann geht es rund."

Statt einer ausgefeilten Strategie würden hinter der "Empörungsrampe", die rechte Netzwerke aufbauen, vor allem Masse- und Netzwerkeffekte stehen. Es gebe sehr viele rechte Gruppen, so Stegemann, "ein rechtes Ökosystem", das die erfolgreichsten Memes oder auch die empörungswilligsten Narrative sehr schnell über verschiedene Plattformen hinweg transportiere, über YouTube oder Twitter, aber auch Messenger wie Telegram.

Etablierte Medien als Verstärker für den rechten Diskurs

Medien, die die Empörung aufgreifen, sorgen für weitere Empörungsschleifen, auf die wiederum Politiker aufspringen - wovon erneut die Rechten profitieren. Das Krisenmanagement des WDR - Sondersendung, Intendanten-Entschuldigung - hält Stegemann für "nicht sonderlich klug". "In der Reaktion vieler etablierter Medien sehen wir, was im Umgang mit sozialen Medien häufig falsch läuft", sagt Stegemann. "Hier wird eine sehr trolllastige Kommunikation für wahre Empörung gehalten, ohne zu verstehen, wie diese entstanden ist." Auch die Feiertage hätten den Rechten in die Hände gespielt - eine empörungsbereite rechte Filterblase sei auf schlecht besetzte Redaktionen getroffen.

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Anmerkung: In einer früheren Version dieses Textes hatten wir zwei Twitter-Accounts aus dem rechten Spektrum explizit genannt, die an der Verbreitung der Empörung über das Video beteiligt gewesen sein sollten. Beide waren aber in der Anfangsphase nicht ausschlaggebend für die Verbreitung; taugten also nicht als Beispiele. Die Nennung beruhte auf einem anfänglichen Auswertungsfehler, den wir nachträglich korrigiert haben. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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