Die deutschen Klimadiskussionen waren in den vergangenen Jahren politisch und medial oft von Themen wie Hitzesommern, E-Mobilität oder der Frage nach einem „grünen Kapitalismus“ geprägt.
Wird diese Sichtweise auf den Klimawandel der globalen Tragweite der Problematik gerecht? Ist die Klimafrage mit dem Zertifikate-Handel und dem Kohleausstieg gelöst, wenn Plastikmüll weiterhin in Länder des globalen Südens exportiert und Regenwald für das Futter europäischer Nutztiere gerodet wird?
Der Ansatz der Klimagerechtigkeit eröffnet eine andere Perspektive. Umweltzerstörung und Klimawandel werden im Kontext der kolonialen Aneignung von Land und Gesellschaften des globalen Südens betrachtet. Dieser Zusammenhang von Kolonialismus und Rassismus mit der Klima- und Umweltproblematik spiegelt sich zum Beispiel dann wider, wenn Pipelines durch Orte verlegt werden, in denen hauptsächlich People of Color leben.
Was bedeutet Klimagerechtigkeit konkret für unsere Sicht auf den Klimawandel und den Klimaschutz? Auch wollen wir die gegenwärtigen Klimadiskurse im globalen Norden auf den Prüfstand stellen und überlegen, wie weniger dominante Perspektiven in der Klimaschutzbewegung künftig gestärkt werden können.
Eingeladen haben wir hierzu Prof. Dr. Franziska Müller, Professorin für Globale Klimapolitik an der Universität Hamburg und Tonny Nowshin, Ökonomin, Degrowth-Expertin und Klimagerechtigkeitsaktivistin.
Sehen Sie hier Video-Ausschnitte des Online-Seminars.
Die momentane Klimakrise ist der Höhepunkt der kolonialen Ausbeutungen.
Um diese Aussage weiter ausführen zu können, muss eine grundlegende Frage geklärt werden: Was ist Klimagerechtigkeit? Ihr liegt eine Tatsache zugrunde – diejenigen, die am wenigsten Verantwortung für die Klimakrise tragen, leiden unter ihr am meisten. Die Unterschiede zwischen dem globalen Norden und Süden sind deutlich zu spüren. In armen Regionen sind die Ressourcen zu knapp, um die Klimakrise zu bewältigen.
Die Klimagerechtigkeit basiert auf dem Konzept der ökologischen sowie sozialen Gerechtigkeit zusammen mit der Verwirklichung der universellen Menschenrechte. Unter der Klimagerechtigkeit versteht man hierbei die gerechte Verteilung ökologischer Vorteile sowie Herausforderungen.
Klimagerechtigkeit geht einher mit Klimaaktivismus. Beispielhaft für die Entstehung des Aktivismus ist die Chipko Bewegung 1973 - einheimische Gemeinden waren die ersten Umweltaktivisten und tragen bis heute die Hauptlasten des Klimaaktivismus, wie man am Beispiel der Pazifischen Klimakämpfer oder Inuits sehen kann.
Die koloniale Ausbeutung, die der Industrialisierung entspringt, ist in die globale Hierarchie eingebettet. Die Vorbildfunktion in dieser Hierarchie trägt hierbei der globale Norden – die südliche Hälfte der Welt soll sich ein Beispiel an unseren Lebensweisen nehmen. Verschwiegen dabei wird jedoch die Basis unseres guten Lebensstandards – nämlich die Ausbeutung einiger Teile der Erde. Demnach bräuchten wir ungefähr 7 zusätzliche Kontinente, die der Ausbeutung dienen, um allen Menschen einen guten Lebensstandard zu ermöglichen.
Die Entwicklung des globalen Nordens erfolgte auf Kosten des globalen Südens, insbesondere durch das Anreichern von Mineralien, den Sklavenhandel, sowie die Dominanz der Unternehmen über nationale sowie regionale Märkte. Die Handelsbedingungen wurden zugunsten des Nordens verändert, die Freie Kapitalbewegung vorangetrieben sowie die Wirtschaft, die mit einem hohen Ausstoß von CO2 einhergeht.
Koloniale Beziehungen werden auch heutzutage weitergeführt, trotz des „offiziellen“ Endes des Kolonialismus. Der „Global financial integrity report“ aus dem Jahr 2015 zeigt, dass 1 Dollar Entwicklungshilfe an Afrika 24-mal das Land wieder verlässt aufgrund von Schulden, die mit hohen Zinssätzen verhängt werden, hohen Profiten multinationaler Firmen sowie dem illegalen Kapitalabfluss. In dieser Statistik wird ebenfalls deutlich, dass eine klare Korrelation zwischen dem Bedürftigen - sowie dem Geberland zu erkennen ist. Somit wird die Abhängigkeit des Landes fortgeführt und verschlimmert. Während oftmals korrupte Regierungen angeprangert werden, für die Armut von Entwicklungsländern, liegt dieser vielmehr die globale Ausbeutung zugrunde.
Letztlich trägt der sogenannte „Green Colonialism“ maßgeblich zur Verschlechterung der Situation bei. Dieser mündet in den sogenannten „grünen“ und umweltfreundlichen Bewegungen und Organisationen der Welt, wie bspw. der Verein „WWF“. 2020 schlugen bewaffnete Ökoguards, die teilweise von der Naturschutzgruppe WWF zum Schutz der Tierwelt in der Republik Kongo finanziert wurden, Hunderte von Baka-Pygmäen, die tief im Regenwald lebten, zusammen. Auch die zunehmende Verwendung von Lithium-Batterien als Ersatz für fossile Brennstoffe kann in Zukunft zur Ausbeutung beitragen, da die benötigten Ressourcen für die Herstellung wahrscheinlich Entwicklungsländern entnommen werden.
Um eine Veränderung in der Klimakrise zu bewirken, muss also das momentane Ungleichgewicht der globalen Machtverhältnisse adressiert werden. Dabei ist die privilegierte Stellung einiger weniger Bevölkerungsgruppen nicht zu vernachlässigen, da diese am ehesten den fatalen Folgen des Klimawandels entkommen können, während Menschen aus ärmeren Regionen an dieser Entwicklung zugrunde gehen.
Dies ist auch unter den Klimaaktivisten ein Problem, da sich die Repräsentation der Problematik oftmals auf privilegierte Aktivisten bezieht, wie im Falle Greta Thunberg. Die Herausforderungen der Aktivisten aus Ländern mit korrupten Regierungen, hoher Armut uvm. werden nicht genügend thematisiert. Somit sind einige Privilegien auch in die jeweiligen Bewegungen eingebettet. Schlussendlich berichtet Tonny Nowshin von ihrer Erfahrung als Klimaaktivistin. Aufgrund des Einhergehens der Klimakrise mit Rassismus, richtet sich ihr Engagement an beide Problematiken. Für die „BIPoC Climate Justice Conference“ bauen Nowshin und ihre Mitstreiter in Deutschland seit 2020 ein Netzwerk von Kollektiven, Gruppen und Freiwilligen Aktivisten auf. Die Mitglieder des Netzwerkes arbeiten gemeinsam an einer Lösung für die fehlende Klimagerechtigkeit und wollen sich dabei gegenseitig aufbauen und unterstützen. Die Gruppe beherbergt bereits mehr als 80 Teilnehmer, sowie Gruppensprecher von 4 verschiedenen Kontinenten. Für weitere Teilnehmer ist die Gruppe offen.
Am 19.06.2020 protestierten die Aktivisten vor dem Büro der deutschen Firma „Fichtner“, da diese den Bau eines Kohlkraftwerkes in Bangladesch unterstützt. Dieses Kohlekraftwerk gefährdet die Mangrovenwälder und somit den Lebensraum vieler, bereits vom Aussterben bedrohter, Tierarten.
Das Unternehmen hat ihren Sitz in Stuttgart und ist als innovative, nachhaltige Firma bekannt – ihr umweltgefährdendes Projekt jedoch, ist nur durch das Engagement der Klimakämpfer in das Licht der Öffentlichkeit gerückt.
Die bestehende Hierarchie muss von der Pike auf verändert werden, so Nowshin – dafür fordert sie mehr globale Solidarität. Der gemeinsame Aktivismus sowie die gegenseitige Unterstützung bei dem Kampf gegen moderne Kolonialisierung sind essenziell, um gegen den Klimawandel eine Chance zu haben.
Tonny Nowshin:
Internationale Organisationen tragen viel Entscheidungskraft und beeinflussen Richtlinien sowie Abstimmungen, die das Klima betreffen, maßgeblich. Wichtig hierbei ist eine Verbindung der jeweiligen Mitarbeiter in den Organisationen mit Klimaaktivisten. Persönliche Erfahrungen können ein bedeutsamer Triebfaktor sein, personennahe Entscheidungen zu treffen, die der Bevölkerung bei der Bewältigung der Klimakrise helfen.
Beispielhaft dafür ist die US-Senatorin Alexandria Ocasio-Cortez, die viel Energie mit sich trägt bezüglich ihrer Politik, da sie selbst bereits als Kellnerin gearbeitet hat und ihre Familie in der momentanen Pandemie eine finanzielle Krisenzeit durchleben muss, wie die meisten Bürgerinnen und Bürger. Ihre Entscheidungen sind bürgernah und angetrieben durch eigene Erfahrungen.
Ähnlich verhält es in Institutionen – persönliche Auseinandersetzungen mit den jeweiligen Leidtragenden sind essenziell, um die Problematiken der Klimagerechtigkeit treffend zu adressieren und zu lösen.
Oftmals wiederholen sich rassistische Muster und Denkweisen in den Institutionen. Somit müssen Mitarbeiter diese Anschauungen überdenken und verändern – dies gelingt ideal durch persönliche Verbindungen zu Menschen, die unmittelbar im Geschehen der Klimakrise stehen. Internationale Organisationen sind folglich wichtig für die Klimagerechtigkeit, jedoch müssen sie für eine erfolgreiche Lösung der Problematik, Hand in Hand mit Aktivisten und Klimabewegungen zusammenarbeiten.
Tonny Nowshin:
Die Werte der Medien richten sich meistens nach Angebot und Nachfrage. Was sich am besten verkauft, wird veröffentlicht. Das Streben nach Gerechtigkeit ist hierbei oftmals nicht die Hauptintention einer medialen Präsentation.
Ungerechtigkeiten mit der Welt zu teilen, ist nie angenehm, weshalb Nowshinn lange Zeit Probleme damit hatte, die zu veröffentlichen, die ihr widerfahren sind.
Erst nachdem sie bereits drei Jahre lang in der Klimaszene tätig war und sich ein Netzwerk an Bekannten und Mitstreitern aufgebaut hat, war sie in der Lage, auf Problematiken medial aufmerksam zu machen. Ihr Bekanntheitsgrad ermöglicht ihr neue Mittel und Wege, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, da sie nun als triftige Quelle für Berichterstattungen angesehen wird.
Sie kritisiert jedoch die fehlende Plattform für Stimmen, die ebenso wichtige Erfahrungen gemacht haben – so fehlen beispielsweise einem jungen, unbekannten Aktivisten, der sich als Schüler bei der Fridays For Future Bewegung engagiert, jegliche Mittel, um ihm widerfahrene Ungerechtigkeiten mit den Medien zu teilen.
Die Medien nehmen eine große Rolle in der Repräsentation der Klimagerechtigkeit ein und können viel bewirken. Problematisch ist dabei jedoch die einseitige Erzählweise, die ständig wiederholt wird. Berichterstattungen müssen in eine vorgegebene Filterblase der Medien passen. Die Vielfalt an wertvollen Erfahrungen, die zur Klimagerechtigkeit beitragen könnten, existiert deshalb nicht.