KommunalAkademie

„Ein Weckruf für die Demokratie“ - Anne Haller und Alina Fuchs im Interview mit der DEMO

Gerade sozial schlechter gestellte Menschen sind unzufrieden mit dem Gelingen unserer Demokratie. Das Vertrauen in die Politik kann vor allem auf kommunaler Ebene gestärkt werden. Ein Gespräch mit Alina Fuchs und Anne Haller.

 

Bild: Democracy Cloud by pixabay von ID 905513 lizenziert unter Pixabay Licence

Die neue Studie „Vertrauen in Demokratie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung hat ein Ergebnis erbracht, das uns aufrütteln sollte. Weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland ist zufrieden damit, wie die Demokratie in unserem Land funktioniert. Was bedeutet dieser Befund?

Alina Fuchs: Das Ergebnis sollte ein Weckruf sein. Besonders beunruhigend ist, dass gerade sozial schlechter gestellte Menschen unzufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie sind. Das Vertrauen, dass unsere Demokratie alle hört und allen gehört, hat gelitten. Allerdings heißt das nicht, dass die Menschen die Demokratie als Staatsform ablehnen, im Gegenteil. In der Studie finden sich viele Anknüpfungspunkte, wie Vertrauen in demokratische Politik gestärkt werden kann, angefangen bei dem Wunsch nach mehr Beteiligungsmöglichkeiten bis hin zu der Erwartung, dass ein aktiver demokratischer Staat den sozialen Ausgleich und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt.

Anne Haller: Potenzial gibt es besonders auf der kommunalen Ebene: Die Befragten haben hier große Zustimmung zu ­einer präsenten, aufsuchenden ­Kommune geäußert. Funktionierende politische In­stitutionen vor Ort können das Vertrauen in Demokratie insgesamt stärken.

Rechtsextreme und rechtspopulistische Politiker führen einen politischen Diskurs, der offen ausgrenzt und Feindbilder aufbaut. Vor einer „Gefahr für die Demokratie“ hat ­etwa die Amadeu Antonio Stiftung gewarnt. Teilen Sie diese Ansicht?

Alina Fuchs: Rechtsextreme Weltbilder und rechtspopulistische Diskurse sind eine Gefahr für die liberale Demokratie. Die aktuelle Mitte-Studie der FES zeigt, dass etwa gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – das heißt die pauschale Abwertung von Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe – oft mit antipluralistischen Überzeugungen und illiberalen Demokratievorstellungen einhergeht. Die liberalen Werte unserer Demokratie werden damit untergraben. Wie ernst man diese Gefahr nehmen sollte, zeigt sich auch daran, dass Worten zunehmend Taten folgen, wenn etwa Politikerinnen und Politiker, die sich für eine vielfältige Gesellschaft einsetzen, bedroht oder sogar angegriffen werden.

Unter Druck gesetzt werden auch Menschen, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren, oft ehrenamtlich. Auch Kommunalpolitikerinnen und -politiker werden Opfer von Diffamierungen oder sogar Gewalt. Wie bietet man Angreifern von rechts Paroli?

Anne Haller: Tatsächlich scheint es da eine negative Entwicklung zu geben: Obwohl die Kommunalpolitik in der Regel mehr Vertrauen genießt als die Landes- oder Bundespolitik, sehen sich kommunal­politisch Engagierte und Mandatsträger Anfeindungen ausgesetzt. Ein Grund dafür ist wohl, dass sich die Grenze dessen, was im öffentlichen – besonders im digitalen – Raum gesagt werden darf, drastisch verschoben hat. Menschenfeindliche, rassistische oder sexistische Äußerungen schwappen dann auch aus dem Netz heraus in die analoge Welt. Ich denke, dass all diejenigen, die an politischen Diskursen beteiligt sind, Flagge zeigen müssen und – auch als scheinbar unbeteiligte Zuschauer – nicht erlauben dürfen, dass verbale Gewalt kommentarlos geäußert werden darf.

Eine Kommune kann durch Bürger­beteiligung Menschen zum Mitgestalten motivieren. Welche Formate haben sich bewährt?

Anne Haller: Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene kann ganz unterschiedlich ausgestaltet sein. Bei dem Begriff denken viele Menschen schnell an „fortgeschrittene“ Instrumente wie den Bürgerentscheid. Der ist in der Tat aber eher selten. Verfahren der Bürgerbeteiligung sind beispielsweise aber auch Informations- und Diskussionsveranstaltungen in Vorbereitung einer Ortskern-Um­gestaltung. Auf kommunaler Ebene ist die Bürgerbeteiligung bei der Bauleitplanung schon viele Jahre vorgeschrieben. Hier müssen die Bürgerinnen und Bürger über die Ausgestaltung von Bebauungsplänen vor Verabschiedung informiert werden, ihre Einsprüche werden gehört. Bei allen Formen der Bürgerbeteiligung sollte aber darauf geachtet werden, dass nicht nur diejenigen, die sich sowieso schon sehr gut Gehör verschaffen können, beteiligt werden.

Wie erreicht man politikferne Bürgerinnen und Bürger, insbesondere um zu verhindern, dass sich nicht immer dieselben Leute beteiligen?

Alina Fuchs: Das ist eine zentrale Herausforderung, insbesondere weil sich ­sozial Schwächere sowieso schon politisch abgehängt fühlen. Es muss bei Beteiligungsverfahren sichergestellt werden, dass nicht nur die ressourcenstärksten ­Interessen dabei sind und sich durchsetzen, stattdessen sollte Beteiligung immer auch ein gesellschaftlicher Begegnungsraum sein.

Eine Möglichkeit ist die Anwendung von Losverfahren, um eine (annähernd) repräsentative Zusammensetzung zu erreichen, gegebenenfalls ergänzt um Quoten. Aber auch bei gelosten Verfahren ist die Teilnahmeschwelle für viele Menschen noch hoch. Wichtig sind daher auch aufsuchende Formate, das heißt, man organisiert Beteiligung ohne große Hürden da, wo die Menschen sind: im Stadtteilcafé, im Sportverein, im Mädchentreff. Dafür braucht man Brückenbauer, z.B. aus der Sozialen Arbeit, aus Vereinen und Initiativen. Auch im Digitalen können Chancen liegen, mehr Menschen für politische ­Beteiligung zu gewinnen. Und natürlich muss es auch darum gehen, die politische Mitwirkung in Parteien wieder attraktiver und zugänglicher zu machen. Sie sind ja schließlich ­zentrale Orte der politischen Willensbildung in ­unserer Demokratie.

Ehrenamtliches Engagement stärkt den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Was kann die Kommune ­konkret tun, um Menschen zum Mitgestalten zu motivieren?

Alina Fuchs: Zunächst muss man leider sagen, dass nicht jedes Engagement den Zusammenhalt stärkt. Wir beobachten in den vergangenen Jahren auch Engagement, das sich gezielt gegen eine ­tolerante, vielfältige Gesellschaft richtet. Zur Förderung der inklusiven und demokratiestärkenden Seite von Engagement lohnt es sich z.B., sich die Idee der „Bürgerkommune“ in Erinnerung zu rufen. Dabei geht es im Kern um ein neues Verhältnis von Bürgerschaft, Politik und Verwaltung. Praktisch spielen verschiedene Elemente wie Beteiligung, Transparenz, offene Verwaltung und eben Bürger­engagement zusammen. Eine aktive lokale Engagementpolitik, die Eigeninitiative unbürokratisch fördert, Erfahrungswissen der Engagierten ernst nimmt und Engagement nicht als Ersatz für staatliche Leistungen heranzieht, kann viel bewirken.

Anne Haller: Wertschätzung und Anerkennung sind die zentralen Begriffe, die auch für das kommunalpolitische Engagement gelten. Eine Bevölkerung, die schätzt und würdigt, dass sich ehrenamtliche Ratsmitglieder für ihre Anliegen stark machen, ­eine Verwaltung, die Kommunalpolitik als Diskussionspartner und nicht als Konkurrenz betrachtet und Arbeitgeber, die Ehrenamtliche für ihr Engagement freistellen sind dafür wichtige Faktoren. Parteien sollten natürlich auch über die ­eigene ­Organisationskultur reflektieren, damit sich Menschen gerne dort einbringen.

Vor allem in ländlichen Regionen, wo sich Menschen abgehängt fühlen, gibt es Herausforderungen für die Demokratie. Viele Vereine haben Nachwuchsprobleme. Wie kann man neue Engagierte gewinnen, insbesondere Jugendliche?

Alina Fuchs: Im ländlichen Raum sind oft so einfache Dinge wie Fahrtkosten oder Mobilität insgesamt ein Problem: Wie komme ich ohne Führerschein zur abendlichen Vorstandssitzung des Sportvereins? Eine Erstattung von Fahrtkosten, aber auch die Nutzung digitaler Möglichkeiten, die Engagement ohne permanente persönliche Anwesenheit erlauben, ­können Hürden senken. Dafür müssen Vereine aber erst mal die Kompetenzen und Ressourcen haben. Gleiches gilt für die Ansprache über soziale Netzwerke, die insbesondere für junge Menschen zur wichtigsten Informationsquelle geworden sind.

Und schließlich haben sich die Erwartungen vieler Menschen geändert: punktuelles Engagement statt lebenslanger Mitgliedschaft, zeitliche Flexibilität statt eines regelmäßigen Sitzungsturnus und der Wunsch nach unmittelbarer Wirkung des eigenen Tuns. Engagement dieser Art findet eben oft im informellen Bereich jenseits klassischer Strukturen statt und ist weniger sichtbar. Aber es gibt auch gute Beispiele, wie Vereine innovative Wege finden, die Möglichkeiten der Mitwirkung zu erweitern und neue Engagierte zu gewinnen.

Akteure vor Ort haben oft Probleme, wenn sie Fördermittel beantragen: Wo gibt es gute Beratung und einen Überblick über Fördertöpfe?

Alina Fuchs: Eine gute Adresse sind die Freiwilligenagenturen oder die lokalen Partnerschaften für Demokratie des ­Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Viele Kommunen haben eigene lokale Anlaufstellen. In einigen Bundesländern gibt es Engagmentstiftungen. Auch auf Bundesebne wird gerade über die ­Gründung einer Deutschen Engagementstiftung diskutiert.

Immer mehr Wählergemeinschaften konkurrieren bei Kommunalwahlen gegen die etablierten Parteien. Doch ihr Einfluss bleibt lokal begrenzt. Sehen Sie darin eine Gefahr oder eher eine Bereicherung der Demokratie?

Anne Haller: Auf lokaler Ebene kann es ein großer Gewinn sein, wenn sich Menschen zusammentun, engagieren und abseits der „großen“ Parteien Kommunalpolitik gestalten möchten. Die Gefahr, die ich sehe, ist, dass sich solche Initiativen häufig anlassbezogen gründen und vor allem zu wenigen Einzelthemen Position beziehen. Für die Wählerin und den Wähler ist aber nicht erkennbar, welches Gesamt-Profil die Wählergemeinschaft hat.

Kommunalpolitik wirkt zwar häufig sehr pragmatisch und es gibt Stimmen, die sagen, dass dort keine „Partei“politik gemacht wird. Aber auch Kommunalpolitik wird auf der Grundlage von Überzeugungen und Prinzipien gemacht: Politikerinnen und Politiker, die einer Partei angehören, fühlen sich einem gewissen Wertefundament verpflichtet, sei es ein ökologisches, konservatives, liberales oder soziales. Ob eine Straße saniert wird oder nicht, eine Schule einen Ganztag bekommt oder nicht, eine Umgehung gebaut wird oder nicht, ist immer auch eine ideologische Frage: Wer soll profitieren? Werden benachteiligte Stadtteile auch entwickelt? Werden Umweltfragen mitgedacht?

Eine Gefährdung der Demokratie besteht dann, wenn solche Entscheidungen beliebig getroffen werden, Wählerinnen und Wähler nicht mehr wissen, welches Gesamtpaket sie wählen oder die Wählergemeinschaften nur kleine Bevölkerungsgruppen mit Partikularinteressen repräsentieren.

Das Interview stammt aus: DEMO. Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik 9/10 2019, S. 4-5, hier nochmal auf der DEMO-Website nachzulesen.

 

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