JournalistenAkademie

Workshop-Reportagen

Hier zu lesen sind die Workshop-Reportagen der BerichterstatterInnen der Jungen Presse NRW

Journalisten haben manchmal das Nachsehen

Von Julian Heck

Privatpersonen machen es, Journalisten machen es und Unternehmen machen es auch. Sie alle sind in sogenannten "Social Networks" vertreten – Facebook, Twitter und Co. sind allseits bekannt. Ein Neuer in dieser Runde ist seit kurzer Zeit das Netzwerk des Mega-Konzerns Google. Während Facebook Anfang 2008 gerade einmal 34 Millionen Nutzer vorweisen konnte, sind es im Juni 2011 bereits 750 Millionen. Google Plus möchte nachziehen. Auch Twitter vergrößert seine Nutzergruppe stetig. Wie die beiden, in Zukunft drei großen Vertreter im Social Web funktionieren und welchen Profit Journalisten daraus ziehen können – darüber spricht David Röthler, Social Media-Experte und Online-Journalist aus Salzburg, auf der MedienSommerAkademie der Friedrich-Ebert-Stiftung in seinem Workshop.

Etwa fünfzehn interessierte Teilnehmer blicken nach vorne zu dem Referenten des Workshops "Social Media für den Online-Journalismus". David Röthler öffnet seine Präsentation, ist mit dem Internet verbunden und mehrere Fenster in seinem Browser sind bereits geöffnet. Der externe Lautsprecher wird angeschaltet, der Beamer nachjustiert. Technisch gut ausgestattet und vorbereitet beginnt David Röthler mit der Frage an die Teilnehmer, wer von ihnen denn Facebook nutze. "100 Prozent?! Das hatte ich noch nie", gesteht er, nachdem alle ihre Hand gehoben haben. Twitter nutzen weniger, Google Plus, seit einer Woche zugänglich, nur eine Person.

"Das Publikum ist zum Sender der Information geworden". Röthler verdeutlicht mit dieser Aussage den Wandel der Medien und der Berichterstattung. Früher saß die ganze Familie um 20 Uhr auf der Couch vor dem Fernseher und schaute die Tagesschau, Pflichtprogrammpunkt jeden Tages. Woher auch sonst sollte man sich über das aktuelle Geschehen informieren? Heute sieht die Realität anders aus. Das Internet versorgt die Menschen rund um die Uhr mit Informationen, Nachrichten und Wissen. Eine zeitnahe Berichterstattung ist im 21. Jahrhundert selbstverständlich. Facebook und Twitter geben dieser rasanten Geschwindigkeit noch einen weiteren Schub. Millionen von Menschen werden in diesen Netzwerken erreicht und mit Neuigkeiten gefüttert, sodass man nun eher eine Entscheidung treffen muss, welche Nachrichten man von diesem reichhaltigen Buffet auswählt. Aber auch für Nachrichtenmagazine, Firmen und Unternehmen ergeben sich Vorteile aus der Nutzung von Facebook und Twitter. David Röthler erläutert: "Man kann die Leser an sich binden, erhält Aufmerksamkeit, die sich schnell multiplizieren kann, wenn man etwas sichtbar für seine Freunde macht, der Traffic für die eigene Webseite erhöht sich und man kann sich über das Thema austauschen und kommentieren."

Doch wovon profitieren Journalisten noch, außer, die eigene Präsenz zu erhöhen und Kontakte zu knüpfen? "Wer von euch recherchiert gezielt in Facebook oder Twitter?", fragt der Salzburger Referent in die Runde. Zögerlich melden sich zwei bis drei Teilnehmer. Der Social Media-Experte verweist auf die Möglichkeit, in Facebook beispielsweise auf www.youropenbook.org nach Statusnachrichten mit bestimmten Stichworten zu suchen. Sogar nach weiblichen und männlichen Nutzern kann gesucht werden. Doch noch wesentlich besser zur Recherche diene Twitter. Auf www.search.twitter.com ist es möglich, nach speziellen Inhalten zu recherchieren. Röthler macht dies an einem Beispiel live im Internet fest und gibt in die Suchleiste "Friedrich-Ebert-Stiftung" ein. Als zweites Ergebnis wird folgendes angezeigt: "@julianheck: Auf dem Weg zur Friedrich-Ebert-Stiftung (@FESonline) nach Bonn: MedienSommerAkademie 2011! Natürlich mit Verspätung… #bahn". Diese Nachricht wurde zufällig von einem Teilnehmer dieses Workshops geschrieben, der Twitter schon rege nutzt. Gibt man zum Beispiel "Bonn" als Suche ein, erhält man alle Tweets, in denen "Bonn" als Stichwort auftaucht. Interessiert man sich sehr für ein Thema, zum Beispiel "Partizipation", so gibt man diesen Begriff ein und hat dann die Möglichkeit, per RSS regelmäßig aktualisiert alle weltweit eingegebenen Twitter-Nachrichten mit diesem Stichwort zu erhalten. Ein einfaches, aber effektives Recherchemittel. Als nützliches, übersichtliches Programm zur Verwaltung der ganzen Twitter-Nachrichten, sogenannten "Tweets", empfiehlt David Röthler "Tweetdeck".

Hinzu kommt aber noch ein ganz anderer Aspekt, der die Medienlandschaft spürbar verändert, denn: Jeder kann twittern. Man muss dafür kein ausgebildeter Journalist sein oder Medienwissenschaften studiert haben. Über Twitter lassen sich Informationen rasant verbreiten, auch mit Fotos. So bezeichnet man die hohe Twitter-Aktivität im Iran 2009 auch als "140-Zeichen-Revolution". Bricht irgendwo ein Großbrand aus oder trifft man zufällig einen Prominenten auf der Straße – über Twitter kann man als erster berichten, bevor Journalisten informiert werden und an Ort und Stelle kommen. "Journalisten haben manchmal das Nachsehen", meint der Experte.

In gewisser Art und Weise ist mit den Social Media Diensten wie Facebook und Twitter und nun auch mit Google Plus, mit dem man sich auch schnell per Video-Chat präsentieren kann, jedermann ein kleiner Journalist. Über die Qualität lässt sich sicherlich streiten. Aber die unappetitlichen Dinge kann man bei einem Buffet ja schließlich auch liegen lassen. Die Wahl trifft man ganz alleine ...

Schokolade für die Ohren – Die Kunst des bildhaften Erzählens im Radio, erläutert an Radioeinspielern

Workshop mit Tom Schimmeck
Von Sabrina Greifenhofer

Ohrenschmaus

"Schokolade für die Ohren" so schmackhaft klingt der Workshop von Tom Schimmeck, freier Journalist und "taz"-Mitbegründer, in dem er die Entstehung von Radio-Feature veranschaulicht. Eigentlich veranschaulicht er diese nicht sondern macht sie an Radio-Einspielern hörbar und liefert, was sein Workshop-Titel verspricht: Schokolade für die Ohren. Den silbernen Materialkoffer voll mit Eddings und Notizblättern räumt er zuerst zur Seite. Sie sind keine der Zutaten aus den Rezepten, die Schimmeck den Teilnehmern der Mediensommerakademie vorstellt.

"Beim Radio geht es nur ums hören." Der daher gesagte Eindruck, den seine Weisheit macht, verfliegt nach wenigen Minuten Hörbeispielen. Wenn er, der Feauture für den NDR, Deutschlandfunk und den WDR produziert, mit funkelnden blauen Augen auf den Beat der fünften Tonebene hinweist, wird klar, dass ein Feature mit der klassischen Länge von 55 Minuten, die noch genug Platz für die Nachrichten frei lässt, ein Kuchen aus liebevoll zusammengetragenen Zutaten ist.

Die Zutaten

Man sammle mit möglichst gut handhabbarer und flexibler Technik, Mikrophonen und Aufnahmegeräten, O-Töne, Stimmen, Expertenmaterial und Umgebungsgeräusche. Soweit die Zutaten für ein Radiofeature. Detaillierte Planung hat viel Einfluss darauf, wie gut die Materialien sind, die ein Radiomacher aufnimmt, aber er sollte auch Platz für die Wirklichkeit lassen. "Man kann alles planen, aber man muss die Reserve haben, etwas zu erleben", erklärt Schimmeck, während er schildert, dass er bei einem Feature über Jugendalkoholismus alles hat fallen lassen, als ihm in einer Klinik ein abreisender Jugendlicher auffiel, der ihm einen idealen Abschluss-O-Ton lieferte.

Wichtig ist auch die rechtliche Absicherung bei schwierigen Themen, etwa mit schriftlichen Einverständniserklärungen.

Das Gewürz

Man würze das ganze mit ein wenig Reporterglück, mit einer atmosphärischen Situation, einem gut erzählenden Charakter beispielsweise. Die Dosis dieses Gewürzes ist nicht absehbar, und darum sollte ein Feature-Macher das Scheitern jederzeit einplanen. Vielleicht lässt sich kein Experte zum Interview bitten, vielleicht ist eine Situation nicht so spannend wie erhofft. Dann liegt es an dem Journalisten, den Kuchen trotzdem aufgehen zu lassen.

Die Vorbereitung

Sobald die Materialien zusammengetragen sind, werden sie bearbeitet und ein Skript erstellt. Man verdichte Aufnahmen, verfremde Töne , schneide Passagen, erzeuge Stimmungen, Atmosphären, bastle Collagen mit Klang-Elementen zusammen, überlagere O-Töne, federe Statements auf Soundteppiche durch, schalte Over-Voice-Stimmen. Doch unabhängig davon, wie kreativ man mit den Elementen experimentiert, wichtig ist, "seinem Material zu vertrauen", ein gutes Interview für sich stehen zu lassen, ohne unterschwellige Musikebene, oder ein Statement deutlich einzuspielen.

Ein Feature zu konzipieren beschreibt Schimmeck: "Es ist als würde man am Klavier eine Melodie ausprobieren."

Die Backmaschine

Ist ein Skript erstellt, sind alle Tonmaterialien zusammengetragen, kann der Kuchen gebacken werden. Backmaschine ist das Tonstudio, in dem ein Regisseur das Feature mit Technikern und Sprechern produziert. Der Journalist kann dann nur gespannt warten, wie sein Kuchen hinterher aus dem Ofen kommt. Überraschungen sind dabei keinesfalls ausgeschlossen. Bei einem Feature über die Geschichte des Mikrophons habe man ihm eine unpassende Märchenonkelstimme in seine Arbeit gesetzt, beklagt sich Schimmeck und schüttelt sich dabei, wie beim Kosten einer versalzenen Suppe. Die Geschmäcker sind verschieden, auch hier, dieses Feature wurde mit einem Preis gekrönt.

Mit Werken "aus der eigenen Küche" aber auch mit historischen Hörbeispielen aus 1929, den 50ern und 60ern, in denen erst mehrere Erzählebenen üblich wurden, verwöhnt Schimmeck die Ohren seiner Zuhörer. Heute greife man auf eine so ausführliche Datenbank von Tönen, Musik und Geräuschen zurück, dass eigentlich ein Überschuss an Möglichkeiten bestünde. Ein guter "Featurebäcker" muss vorsichtig dosieren, bedacht würzen und überlegt zusammenstellen. Zum Üben muss er so viel wie möglich bei anderen probieren, probieren, probieren. Hören, hören, hören. Es ist eben wie Schimmeck sagt: "Beim Radio geht es nur ums hören."

"Kein Respekt vor dem Amt des Politikers, aber vor der Person!" Politisches Interview – Praktische Erfahrung zur Interviewtechnik an TV-Einspielern erläutert

Von Jennifer Küppers

Adrian-Basil Mueller atmet hörbar ein, leise wieder aus und sagt nichts. Stumm steht der Mitarbeiter des ARD-Politmagazins Fakt in dem kühlen, abseits gelegenen Raum des Gustav Stresemann Instituts und blickt erwartungsvoll in die Runde. In einem halbförmigen Stuhlkreis sitzen zwei Jungen und fünf Mädchen. Sie wollen in einem zweistündigen Workshop Tipps bekommen, wie sie ein Interview erfolgreich führen können. Die Sekunden verstreichen. Die Nachwuchsjournalisten blicken unsicher, sie schauen beschämt zur Seite und tauschen nervöse Blicke aus: Erstes Ergebnis des Workshops "Politisches Interview": Journalisten müssen fragen!

Nach dieser Freigabe schießen die Fragen nur so aus den Nachwuchsjournalisten heraus: "Wie kann man denn wichtige Informationen aus jemandem herauskitzeln?", traut sich ein Teilnehmer. "Blöde Frage", kommentiert Basil Mueller. Erschrockenes Zusammenzucken, irritierte Blicke. "Gibt es noch eine weitere Frage?", fragt der Interview-Profi genervt. "Wo haben Sie denn Ihre Interviewtechnik gelernt" wagt sich der Nächste. "Kein Kommentar!" Verlegenes Lächeln bei den Teilnehmern, die Blicke richten sich auf den Boden, Hände werden geknetet und Haarsträhnen hastig zurechtgezupft.

Adrian-Basil Mueller entspannt sich, löst die verschränkten Arme und lächelt freundlich und ein wenig entschuldigend in die Runde: "So kann es einem ergehen", berichtet er und appelliert: "Lasst euch nicht verunsichern! Außerdem: Manchmal ist keine Antwort auch ein Statement." Eine Reaktion auf die gestellten Fragen war jedoch nicht gespielt: "Bitte nicht siezen! Journalisten duzen sich! Außerdem komme ich mir sonst so alt vor", verrät Basil Mueller.

Nun aber in medias res. Nachdem Basil Mueller die wichtigsten Interviewformen und deren Vor- und Nachteile vorgestellt hat, kommen endlich die erhofften Insider-Tipps:

"Politiker sind immer perfekt vorbereitet und haben für jeden Topf einen Deckel", warnt Basil Mueller "schließlich haben sie mit Medienberatern jede Reaktion eingeübt! Hier gilt: Bloß nicht einfach eine Frage nach der anderen vorlesen. Das Geheimrezept heißt: Zuhören! Dann wird es praktischer: An TV-Einspielern analysieren die Teilnehme, dass leise gestellte Fragen oft das Interesse der Politiker wecken. Sie hören genauer hin und sind eher geneigt, eine Antwort zu geben.

"Dürfen Politiker einen auch rausschmeißen?", erkundigt sich ein Teilnehmer.

"Na ja, an gewisse Spielregeln sollte man sich schon halten", weicht Basil Mueller aus. Sein Motto: "Keinen Respekt vor dem Amt des Politikers haben, aber vor der Person!" Einige Tricks sind jedoch erlaubt. Er selbst hat beispielsweise den Fahrstuhl leicht manipuliert und auf allen Etagen halten lassen, um Klaus Wowereit einige Minuten mit Fragen löchern zu können. "Den habe ich gecrasht", beschreibt Basil Mueller seine Technik mit dem branchenüblichen Fachjargon. Auch die Provokation ist erlaubt. Wie ein Kind freut sich Basil Mueller über Wowereits Reaktion auf seinen roten Schal, den er – natürlich rein zufällig – nach seiner erst im zweiten Wahlgang erfolgten Wiederwahl trägt.

Ein paar Formalia sollte laut Basil Mueller jeder Journalist beachten: Die Anrede mit akademischem Titel und Amtsbezeichnung ist Pflicht. "Schön ist eine Frage, die keine unnötigen "ähms" enthält." Die sieben Teilnehmer schreiben fleißig mit. Die Stifte kratzen über das Papier und die Köpfe nicken begeistert. Auch Basil Mueller ist sichtlich von seinem Thema eingenommen. Mit weit ausholenden Gesten unterstreicht er seine Worte.

"Wie kann ich denn eine provozierende Frage formulieren?" "Versuch es doch einfach mal mit "und? - eine der besten Möglichkeiten, nachzuhaken. Du ahnst nicht, wie sich da manche um Kopf und Kragen reden", freut sich Basil Mueller.

Wie bei so vielen Dingen im Leben gilt auch für die Interviewtechnik: Übung macht den Meister. "Ich habe etwa acht Jahre gebraucht, bis ich mich bei Interviewfragen sicher gefühlt habe", gesteht Basil Mueller. Auch heute noch passiert es ihm, dass er im Nachhinein nicht mit dem Verlauf zufrieden ist. Und dennoch ist dies sein absoluter Traumberuf: "Ich habe Spaß daran, keinen Tagesablauf zu haben und manche Nächte im Büro durchzuarbeiten." Daher lautet sein Appell an Nachwuchsjournalisten: "Habt Mut, frech zu sein!"

Geschichten vom Hindukusch

Von Christopher Unger

Shikiba Babori berichtet als freie Autorin aus Afghanistan

Im zehnten Kriegsjahr ist die Berichterstattung aus Afghanistan immer noch mangelhaft. Medien verlassen sich auf die Berichte freier Journalisten – ohne ihnen angemessenen Schutz und Unterstützung zu geben. Geschichten aus dem Land sind selten und deshalb umso wertvoller. Wenn Shikiba Babori sich in Fahrt redet, spürt sie manchmal, dass sie im Eifer am Ende des Satzes nicht das richtige Verb finden wird. Dann stockt sie einen Augenblick, blickt hilfesuchend in den Raum und ihre wilden, schwarzen Haare wippen um ihren Kopf herum.

Doch niemand springt ihr zur Hilfe, denn die Nachwuchsjournalisten im Raum hängen gebannt an ihren Lippen, saugen jeden ihrer Sätze auf. Für jene, die bisher höchstens über Hochzeitsmessen oder den Verkaufsoffenen Sonntag berichten durften, ist die 45jähige das Ideal einer Journalistin, der Inbegriff von Freiheit, Abenteuer und Reisen an die Enden dieser Welt.

Seit fast 10 Jahren berichtet Shikiba Babori regelmäßig aus Afghanistan, sie produziert Hörfunkstücke und -reportagen für den WDR, den Deutschlandfunk und die Deutsche Welle. Ein- bis zweimal pro Jahr reist sie dafür in das Land, in dem sie geboren wurde.

Es ist ein Land im Umbruch, sagt sie und klingt mehr wie eine Aktivistin als eine Journalistin. Die Presse in Afghanistan, sagt Babori, ist so frei wie niemals zuvor in der Geschichte. Aber es gibt noch viele, die nicht wollen, dass über ihre Verbrechen berichtet wird, Warlords und Leute, "die etwas nicht-Koscheres wollen", sagt sie, nachdem sie einen Moment nach einem Wort gesucht hat.

Afghanistan, das ist das Land ihrer Vorfahren. 1980, sie war gerade 14 Jahre alt und ihr Vater als Diplomat nach Bonn versetzt worden, entschied die Familie die Heimat, in die gerade die Rote Armee der Sowjetunion einmarschiert war, für immer zu verlassen. Babori wuchs in Deutschland auf, aber Afghanistan blieb für immer der Rahmen, in das ihr Bild von allen gesetzt wurde.

"Warum trägst Du kein Kopftuch?" fragte man sie so lange bis sie Islamwissenschaften studierte, und "Oh nein...", seufzte man mitleidsvoll, wenn sie nach dem 11.September 2001 erwähnte, dass sie vom Hindukusch stammt.

Es war zu dieser Zeit, Babori hatte gerade als freie Hörfunkautorin beim WDR angefangen, als sie das erste Mal als Journalistin dorthin fuhr. Ihre Familie war natürlich dagegen, aber davon hat sie sich nicht abbringen lassen.

Deutsche Medien sind nicht übermäßig interessiert an Geschichten aus Afghanistan. Seit im Juni der Korrespondent des Magazins "Stern" abgereist ist, hat keine deutsche Zeitung, keine Hörfunkwelle und keine Fernsehstation einen festen Korrespondenten dort, wo nach einem überstrapazierten Zitat des früheren SPD-Fraktionschefs im Bundestag und ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck Deutschlands Freiheit verteidigt wird.

Die Geschichten, die das deutsche Publikum zu lesen bekommt, stammen von Reportern, die in Nachbarstaaten tausende Kilometer entfernt sind oder embedded mit der Armee unterwegs sind. Oder aber wie Shikiba Babori auf eigene Rechnung fahren.

So ist Babori ein Beispiel für ein strukturelles Problem der Medien, dass freie Journalisten natürlich nicht auf eigene Rechnung als politische Beobachter in Afghanistan arbeiten, um Informationen und Analysen aus erster Hand zu liefern. Diese Seite der Berichterstattung fehlt dann aus dem Land, in dem Deutschland seit fast 10 Jahren Krieg führt – übrigens der längste Krieg mit deutscher Beteiligung seit dem Pfälzischen Erbfolgekrieg 1688.

"Wenn ich vor der Abreise eine Redaktion anrufe und frage, ob sie Interesse an Themen haben, winken alle ab", sagt Babori, "sie wollen keine Verantwortung übernehmen, wenn mir etwas zustößt." Im Ernstfall wäre sie dann nur eine freie Journalistin gewesen. "Aber wenn ich wieder zurückkomme und meine Geschichten anbiete, bekomme ich sie immer los."

Seit Jahren kümmert sie sich insbesondere um die Situation der Kriegswaisen, "soziopolitische Themen" nennt Babori das. Mit echter Politik will sie nichts zu tun haben, die interessiere sie nicht.

Was sie interessiert und begeistert, sind die Menschen, die alles auf sich nehmen, um die neue Freiheit zu ergreifen. Babori ist immer noch begeistert von den Teilnehmerinnen ihres ersten Workshops für Journalistinnen, den sie 2004 in Herat leitete. Es war mitten im Ramadan, dem islamischen Fastenmonat. Die Frauen hatten den ganzen Tag über nichts gegessen und getrunken, waren vormittags an der Universität gewesen und saßen dann nachmittags in ihrem Kurs. Es war gefährlich, weil niemand rausfinden durfte, was die Frauen dort machen – aber sie nahmen es trotzdem auf sich.

Um den Absolventen der zahlreichen Journalistenworkshops im Land eine Chance zu geben, ihr Können anzuwenden, hat Babori vor einigen Jahren Kalima-News gegründet. Kalima – arabisch für "Wort" – soll eine Plattform sein, auf der Afghanen selber über ihr Land berichten können. Wenn Leute in Deutschland an Afghanistan denken, hat das Land "immer so eine Träne um sich", sagt Babori. Vielleicht kann sie die mit ihrer Arbeit trocknen.

"Ein gutes Thema sticht immer" - Wie biete ich meine Geschichte den Medien an?

Von Christina Quast

Eine Anleitung nach Gert Monheim

Als Autor und Redakteur ist Gert Monheim fast 40 Jahre beim WDR gewesen. Der TV-Journalist hat Formate wie "Die Story" und "Menschen hautnah" verantwortet und selbst Reportagen produziert, die mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurden.

Erster Schritt: Die passende Redaktion finden

Es gilt das richtige Ressort oder Format für die eigene Geschichte zu finden. Eine Rolle spielt, wann das Thema aktuell ist - sofort, mittelfristig oder langfristig - und wo es sich abspielt - lokal, regional oder national. Mit diesen Kriterien lässt sich die passende Redaktion finden. Bevor man zum Telefon greift oder eine E-Mail abschickt, sollte man mindestens eine Ausgabe des gewählten Mediums kennen. "Einige Autoren informieren sich nicht, ob ein Beitrag wirklich zum Format passt. Dieser Eindruck kann beim Redakteur verheerend sein." warnt Gert Monheim.

Zweiter Schritt: Den Kontakt aufnehmen

"Es gibt keinen Königsweg, aber ein paar Grundregeln, die aus meiner Autoren- und Redakteurserfahrung stammen", erzählt Monheim. Beim WDR erreichten den Journalisten rund 20 Themenvorschläge pro Woche für "die story" oder "Menschen hautnah". Er empfiehlt, den einen Redakteur anzurufen, um auf sich und sein Thema aufmerksam zu machen. "Nutzen sie die Gelegenheit zum Gespräch , wenn es sich ergibt", empfiehlt Monheim, allerdings sollte man den Redakteur nicht von Arbeit abhalten, sondern einen Termin vereinbaren.

Dritter Schritt: Das Exposé verfassen

Ist der Anruf erfolgreich gewesen, sendet man ein Exposé der eigenen Geschichte per E-Mail oder Brief an die Redaktion. Nicht vergessen: eine kurze Vorstellung und Arbeitsproben. "Auch Artikel aus der Schülerzeitung müssen keinen schlechten Eindruck machen, denn ein gutes Thema sticht immer", findet Gert Monheim. Maximal ein bis zwei Seiten sollte das erste Exposé lang sein, das an die Redaktion geht. "Die Chance das Thema zu platzieren, erhöht sich mit der Präzision und Knappheit des Exposés", sagt der Journalist. Das Exposé soll die Grundidee beschreiben, die Protagonisten vorstellen und deutlich machen, wie die Geschichte zur Redaktion passt. "Vermerken sie, was noch zu tun ist, denn sie servieren keine fertige Suppe" so Monheim.

Vierter Schritt: Den Redakteur überzeugen

Beim vereinbarten Termin wird der Vorschlag besprochen und vielleicht auch kritisiert: "Sie müssen entscheiden, in welchen Punkten sie auf die Kritik eingehen oder ihre Meinung vertreten", rät Monheim. Neues zur Geschichte wirkt positiv: "Sie erwecken den Eindruck, dass sie weiter am Thema gearbeitet haben", sagt der Journalist.Um kurz vorm Ziel nicht ins Fettnäpfchen zu treten, sollte man mindestens einen Beitrag des Redakteurs oder eine Ausgabe des Mediums gut kennen. "Statt übertrieben zu loben, sollten sie ihre eigene Meinung sagen und gut formulieren können", empfiehlt Monheim. Schließlich fällt die Entscheidung, ob man die eigene Geschichte weiterverfolgen darf oder ob man es bei einer anderen Redaktion versuchen muss.

 

Service:
Seminar "Guter Vorschlag!" Wie biete ich meine Geschichte an?
mit Gert Monheim
vom 6. bis 9. Februar 2012

Recherche mit Vertrauen und Respekt

Von Felix Winnands

Themen über Migranten und Flüchtlinge sind oftmals unbeliebt in den Redaktionen. Davon weiß Kathrin Erdmann zu berichten. Die Hörfunkjournalistin hat das Integration vor rund sechs Jahren zu ‚ihrem’ Thema gemacht. Seither berichtet sie für Radiosender wie NDRinfo, die Deutsche Welle und Funkhaus Europa zumeist aus Hamburg. "Meist ist es Unkenntnis oder Desinteresse der Redaktionen, dass sie diese Themen weniger schätzen", sagt Erdmann. Dabei gäbe es gerade im Zusammenhang mit den Bereichen Bildung und Jugendkriminalität immer wieder Aufhänger für die Berichterstattung.

Im Erzählcafé der MedienSommerAkademie in Bonn berichtet die Journalistin den meist bereits erfahrenen jungen Journalisten über Recherchetechniken und ihre ganz persönlichen Tipps und Erlebnisse für das Erstellen einer Radioreportage über Flüchtlinge. "Wesentlich ist es, Vertrauen mit den Migranten zu schaffen", erläutert sie. "Dafür braucht man ein gutes Netzwerk von Familien, Verbänden und Organisationen." Auch spricht sie davon, den Protagonisten ihrer Geschichten bereits frühzeitig Respekt entgegen zu bringen, den diese sonst nur selten erfahren. Mit einiger Vorbereitungszeit gelingen ihr dann auch Reportagen aus Flüchtlingswohnheimen in Hamburg. "Eine Familie hat mich 24 Stunden bei ihr erleben lassen. Das war alles andere als einfach", erinnert sie sich und hebt dennoch den großen Wert dieser Recherche hervor. "Es lohnt sich oft, Zeit zu investieren. Dafür muss man auch persönliches Interesse mitbringen. Dieses Themenfeld kann man nicht einfach nebenbei machen."

Mittlerweile ist ihr Smartphone gefüllt mit Kontaktdaten von Familien, Jugendlichen, Anwälten, Behörden, Prostituierten. Das Telefonbuch ist die Grundlage für ihre journalistische Arbeit. Ihre Sprachkenntnisse in Englisch, Spanisch, Französisch und neuerdings auch Persisch helfen ihr zusätzlich weiter. "Statistiken sind oftmals nicht auf dem aktuellen Stand. Daher geht nichts über das Gespräch mit den Betroffenen", fasst sie zusammen. Besonders helfen ihr kleine Flüchtlingsorganisationen oder Anwälte weiter. "Staatliche Organisationen dürfen meist keine konkrete Auskunft geben. Stattdessen kontaktiere ich Stellen, die sich für die Menschen engagieren."

Ist die monatelange Recherche dann einmal gemacht, geben Erdmanns Radiobeiträge in zweieinhalb Minuten bis zu einer Stunde wieder, in welcher Lebenssituation sich Migranten und Flüchtlinge in Deutschland befinden. "Dabei vergesse ich nicht, meine Informanten zu schützen. Ich ändere stets die Namen – besonders von Kindern und Jugendlichen", betont sie abschließend. "Da stehe ich schließlich auch selbst in der Verantwortung."

Eröffnungsrede

weiter

Programm & Lebensläufe

weiter

Keynotes

weiter

O-Töne

weiter

Berichterstatter-Interviews

weiter

Stimmungsbilder mit Worten

weiter

Film MSA 2011 von Frank Schnelle

weiter

Fotostrecken von Katrin Heyer

weiter

Auswertung

weiter

Literaturangaben zum Theater

weiter

nach oben